Wir alle kommen täglich mit ihr in Kontakt; oft ohne es zu wissen, besonders dann, wenn wir einkaufen gehen und frisches Obst und Gemüse erwerben. Kaum jemand weiß es, und anzusehen ist es den Produkten auch nicht. Dennoch, fast überall, liegen den Agrarerzeugnissen viele Stunden ’unsichtbarer’ Arbeit zugrunde; oft ausgeführt von Arbeitsmigranten aus Afrika, Lateinamerika, Asien und Osteuropa, die in der mediterranen Landwirtschaft tätig sind.
Mobilität, ein wesentliches Kennzeichen unserer modernen Gesellschaft, betrifft Personen, Waren und Informationen; sie bewegen sich mit immer größerer Geschwindigkeit zwischen unterschiedlichen Regionen. Dabei kommt es zu vielfältigen Überlagerungen, Übersetzungen und auch Konflikten, letzteres besonders wenn die Regeln des Zusammentreffens und des Austauschs unklar und intransparent sind und dabei Ungleichheit verstärkt statt behoben wird. Die Arbeitsmigranten, die in der europäischen Landwirtschaft tätig sind, zeigen exemplarisch die hochgradigen Verflechtungen unserer globalisierten Welt und machen deutlich, wie sich diese in konkreten Lebensverhältnissen niederschlagen: Arbeitsmigranten arbeiten teilweise seit Jahrzehnten unter verschiedenen, aber oft prekären Bedingungen; sie produzieren Nahrungsmittel für unseren Konsum, veräußern ihre Arbeitskraft und werden dabei Teil neuer Netzwerke und Gemeinschaften.
Die drei Beiträge sprechen Prozessen an, mit denen wir alle verflochten sind, mittelbar oder unmittelbar, Prozesse, die wir implizit mitbestimmen, oft ohne uns dafür verantwortlich zu fühlen oder gar für Missstände zu haften. Folgende Aspekte sind dabei bedenkenswert:
- In Europa und besonders im Mittelmeerraum existiert eine lange Geschichte der Arbeitsmigration. Dabei ist die Landwirtschaft keineswegs irrelevant; sie ist noch immer bedeutsam, sowohl was die Produktionsleistungen als auch was die Beschäftigungseffekte betrifft, besonders in Spanien, Italien und Griechenland. Viele Personen, bis zu zehn Prozent der berufstätigen Bevölkerung, sind hier noch immer beschäftigt. Mehr noch, da landwirtschaftliche Arbeit, je nach Tätigkeit, oft nur geringe Eintrittsschwellen, wie etwa formelle Qualifikationen, aufweist, kann sie wie kaum ein anderer Wirtschaftsbereich relativ einfach Arbeitsmigranten absorbieren.
- Gleichzeitig ist die europäische Landwirtschaft von Überalterung, Abwanderung, Auflösung der Familienbetriebe und einem demographischen wie ökonomischen Exodus gekennzeichnet, besonders periphere Gebiete, die maschinell kaum zu erschließen sind. Arbeitsmigranten leisten hier beachtliches; sie verdrängen dabei keine lokalen Arbeitskräfte, sondern ermöglichen, wie die jungen zugewanderten Lohnhirten in den europäischen Bergregionen, ein Weiterbestehen des lokalen Alltagslebens.
- Demgegenüber kommt es in bestimmten Gunstgebieten zu Konzentrationsprozessen; es entstehen neue landwirtschaftlich intensiv genutzte Gebiete, etwa dort wo unter Plastikplanen wie in Südspanien Gemüse in Lohnarbeit für den Export produziert wird. Selbst in ökonomischen Krisenzeiten kann es dabei zur Expansion der Agrarflächen kommen, was wiederum erst durch Zuwanderung ermöglicht wird, wie das Beispiel der Erdbeerproduktion in Griechenland zeigt.
- Dennoch, Arbeitsbindungen und Entlohnung sind für verschiedene Zuwandergruppen unterschiedlich. In der kommerziellen Landwirtschaft stellen die Lohnkosten oft die wichtigste noch verbleibende Stellschraube dar, um Produktionskosten weiter zu senken. Aus Sicht der Unternehmer gelingt dies am besten mit irregulären Arbeitskräften. In der Praxis kommerzieller Agrarbetriebe ist oft eine Mischung von Arbeitskräften zu beobachten, die sich zudem im Jahresverlauf ändert: je nach temporärem Arbeitsbedarf kommt es zur flexiblen Mischung von Festangestellten, saisonalen Kräften, und irregulären Arbeiterinnen, die über verschiedene Verträge verfügen, unterschiedlichen Gefährdungen ausgesetzt sind und jeweils anders entlohnt werden.
- Die sozialen Kosten sind unterschiedlich verteilt: Einerseits werden durch Arbeitsmigration in die Landwirtschaft, Ausbeutung und Unsicherheit fortgeschrieben. Immer wieder zeugen lokale Protestaktionen und Streiks von massiver Ungerechtigkeit und lokalem Rassismus (El-Ejido, Spanien; Rosarno, Italien). Andererseits ermöglicht Arbeitsmigration auch sozialen Aufstieg für bestimmte Gruppen, bisher besonders, wenn sie über einen längeren Zeitraum und im ’richtigen’ Zeitfenster erfolgt. Hierzu zählen Phasen ökonomischen Wachstums und Zeitpunkte der Legalisierung irregulärer Migranten (Marokkaner in Spanien; Albaner in Griechenland). Darüber hinaus können selbst durch prekäre Lohneinkommen neue Geschlechterpositionen ausgehandelt werden; bei zirkulärer Arbeitsmigration, die über mehrere Jahre verläuft, kann es zur Selbstermächtigung von Frauen kommen.
- Die Legalisierung bestimmter Dienstleistungen, wie die Rekrutierung von landwirtschaftlichen Arbeitskräften, die zunehmend von privaten, temporären Arbeitsagenturen durchgeführt wird, bedeutet allerdings nicht per se, dass sich die Arbeitsbedingungen für die Migranten auch verbessern. Das Gegenteil kann der Fall sein. Für viele, oft wenig gebildete Arbeitskräfte geht die Rekrutierung mit einer neuen Intransparenz einher, etwa was die Bedingungen der Entsendung betrifft wie Arbeitsort, Arbeitsdauer, Entlohnung von Überstunden etc... Es entstehen neue Abhängigkeiten, die bisher kaum durch Auditverfahren aufdeckt werden. Hier ist besonders die Rolle von NGOs gefragt.
- Dynamiken: Die Rekrutierung von Arbeitskräften hat sich international ausgeweitet. Doch wer möchte migrieren? Eine aktuelle Studie zeigt, dass von den jungen Menschen in den arabischen Ländern heute nur noch eine kleine Gruppe sich ernsthaft mit dem Gedanken zur Arbeitsmigration trägt (vgl. Gertel & Hexel 2017). Vielmehr zeigt sich auch am Beispiel von Griechenland, dass eine Verschiebung stattgefunden hat: Die internationalen Flüchtlingszahlen steigen und besonders Situationen mit Mehrfachkrisen (complex emergencies) wie in Syrien oder im Süd Sudan werden zu neuen Herkunftsländern. Flucht und Arbeitsmigration überlagern sich.
- Regulierung und Gesetzgebung. Eine transparente Einwanderungspolitik ist daher auf europäischer Ebene mehr den je gefordert. Aus den Befunden zur Arbeitsmigration in die europäische Landwirtschaft zeigt sich, dass es nicht nur einseitig Gewinner oder ’Wohltätigkeitsempfänger’ gibt, vielmehr können alle nur gewinnen, wenn wir durch Gegenseitigkeit Sicherheit herstellen. Immer dann, wenn Unsichtbares, Unsicheres und Ungewisses aufgelöst wird, gewinnen wir Planbarkeit und Vertrauen und damit eine Grundvoraussetzung für Produktivität. Wir alle sollten dafür eintreten.