Karlsruhe hat vor knapp 15 Jahren beschlossen, den Radverkehr konsequent zu fördern. Ihren ehrgeizigen Zielen kommt die Kommune immer näher.
Ein „heilsamer Schock“ war der Auslöser dafür, dass Karlsruhe im Jahr 2005 sein Radkonzept komplett überarbeitete: Die Stadt hatte 2004 im deutschlandweiten ADAC-Test „Radfahren in Städten“ schlecht abgeschnitten. Das kam unerwartet: Die Kommune hatte sich bis dahin als Fahrradstadt gesehen.
Der damalige Bereichsleiter Verkehr im Stadtplanungsamt Alfons Brisbois berichtet in einem Leitfaden des Bundesumweltministeriums, wie konsequent Karlsruhe vorging. „Ein Grundsatzbeschluss des Gemeinderates zur Verbesserung der Situation für Radfahrer/innen und Fußgänger/innen ist unumgänglich. Auf ihn können sich alle Beteiligten und Betroffenen – Politiker, Verwaltung, Polizei, Bürger – immer wieder berufen“, so Brisbois. „Dafür ist es wichtig, zuvor alle AkteurInnen einzubinden, ihre Meinungen anzuhören und ernst zu nehmen. So lassen sich Informationen aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln sammeln, und es werden keine gegnerischen Gruppen geschaffen.“ Verkehrsverbände wie ADAC, Verkehrsclub Deutschland VCD und ADFC, Seniorenbeiräte, Studentenvertreter/innen, Tourismusbeauftragte, Fahrradkuriere, Polizei, Ortsverbände der Parteien, all diese Interessenvertreter/innen müsse die Verwaltung gewinnen. Und es müsse Menschen geben, die voranmarschierten – wie in Karlsruhe die Mitarbeiter/innen im Stadtplanungsamt.
Die Stadt startete eine schonungslose Bestandsaufnahme und ließ die Schwachstellen im Radverkehr analysieren. Sie befragte verschiedene Akteur/innen, wie sie die Situation des Radverkehrs einschätzten und wie die Situation künftig aussehen sollte. Im Anschluss an das sogenannte Bypad-Verfahren (Bicycle Policy Audit – übersetzt etwa Fahrrad-Überprüfungs-Politik) mit Öffentlichkeitsbeteiligung entwickelte die Kommune ein 20-Punkte-Programm: Leitbild und Handlungskonzept zugleich.
Den Radverkehr immer mitdenken
Das Programm enthält messbare Ziele und konkrete Maßnahmen, die zuletzt 2013 aktualisiert wurden. Unter anderem schreibt es den gewünschten Anteil des Radverkehrsanteils am Gesamtverkehr vor. Bis 2020 soll er 30 Prozent betragen. Zurzeit liegt er bei 27 Prozent. Das Programm sieht den Bau zweier neuer Radrouten pro Jahr vor. Und es bestimmt, dass bei allen Straßenbaumaßnahmen stets zu prüfen ist, ob und wie der Umbau die Situation für Radfahrer/innen verbessert.
Gut für den Radverkehr in der Stadt ist auch, dass die Verantwortlichen nicht in Einzelmaßnahmen, sondern in Netzen denken. Ein Radnetzkonzept gibt es in Karlsruhe bereits seit mehreren Jahrzehnten. Die Stadt passt es immer wieder an und baut das Netz nach und nach aus. Zurzeit werden Pläne für Radschnellwege diskutiert, die Karlsruhe mit umliegenden Städten verbinden sollen.
Seit 2011 trägt Karlsruhe den Titel „Fahrradfreundliche Stadt“, vergeben vom Land Baden-Württemberg. Eine Voraussetzung dafür ist die Mitgliedschaft in der Arbeitsgemeinschaft Fahrradfreundlicher Kommunen in Baden-Württemberg (AFGK-BW). Deren Vorstandsvorsitzender war bis zu seiner kürzlichen Pensionierung der Karlsruher Michael Obert. Obert war zehn Jahre lang Baubürgermeister der Stadt, bevor er sich Ende September 2018 in den Ruhestand verabschiedete. Er brachte den Radverkehr in seiner Kommune und auch im Land entscheidend voran. Sein Ziel: Menschen davon zu überzeugen, dass das Fahrrad ein modernes Verkehrsmittel ist.
Mit den Bürger/innen kommunizieren
Bereits bevor Karlsruhe AGFK-Mitglied wurde, investierte die Kommune in umfassende Öffentlichkeitsarbeit für den Radverkehr. Als die Stadt die ersten Schritte ihres 20-Punkte- Programms umsetzte, gewann sie die Öffentlichkeitskampagne des Bundesumweltministeriums (BMU) „Kopf an: Motor aus. Für null CO2 auf Kurzstrecken“. 2009 und 2010 warb die Stadt mit Plakaten, Kinospots, Aktionen auf der Straße und Veranstaltungen dafür, auf Kurzstrecken vom Auto aufs Fahrrad umzusteigen oder zu Fuß zu gehen, finanziell gefördert vom BMU. In den Folgejahren setzte die Stadt die Kampagne mit eigenen Mitteln fort, zuletzt unter dem Motto „Tu’s aus Liebe“.
Die Kampagnen warben nicht mit erhobenen Zeigefinger für mehr Umwelt- und Klimaschutz, sondern mit augenzwinkernden Botschaften, Mitmach-Aktionen und positiver Bestärkung. Die Stadt ließ Familien, Handwerker/innen und Unternehmen Lastenräder testen, verloste Fahrradtaschen und Gutscheine für Radläden, verschenkte Schokoherzen an Radfahrer/innen, die im Dunkeln mit Licht unterwegs waren.
Eine breit angelegte Imagekampagne leiste einen erheblichen Beitrag zu einer nachhaltigen Mobilitätskultur, sagt Kathrin Herold vom Stadtplanungsamt. „Öffentlichkeitsarbeit und Kampagnen informieren über umgesetzte Maßnahmen. Sie bringen aber auch ganz allgemein das Thema Radverkehr regelmäßig ins Bewusstsein der Karlsruherinnen und Karlsruher und besetzen es positiv.“ Politik, Verwaltung und Bürger/innen kommunizierten miteinander. „Das verstärkt die Außenwirkung der kommunalen Radverkehrspolitik. Idealerweise bewirken alle Akteur/innen gemeinsam einen Kulturwandel.“
„Fahrradstadt Nummer 1 in Süddeutschland“ werden – das Ziel gab sich die Stadt in ihrem 20-Punkte-Programm 2005. Dieser Fahrradeifer hat die gesamte Verwaltung angesteckt – und auch viele andere Karlsruher/innen.