Null-Emission: Der klimaneutrale Landkreis (13/16)

Podcast

Wege der Klimaneutralität sind eng verbunden mit Klimaschutz, Energiewende und regionaler Wertschöpfung. Aber auch die Akzeptanz der Bürger*innen und politischen Gremien sind unverzichtbar. Wie es der Rhein-Hunsrück-Kreis geschafft hat sein Ziel der Klimaneutralität zu erreichen, darüber sprachen wir mit Bertram Fleck, Landrat a.D.

Lesedauer: 19 Minuten

Der rheinland-pfälzische Rhein-Hunsrück-Kreis ist seit über 10 Jahren einer der ersten klimaneutralen Landkreise in Deutschland. Ein Pionier der ersten Stunde, mit handfesten Zahlen, konkret umgesetzten Projekten, die sich sehen lassen können. Der Landrat a.D., Bertram Fleck, spricht in dieser Böll.Regional Podcast-Folge darüber, wie das Thema der Klimaneutralität im Landkreis entstanden ist, welche Hürden und Wege bei Bürger*innen, politischen Gremien und der Landkreisverwaltung genommen werden mussten. Außerdem spricht Bertram Fleck über Mut, Fantasien, die zum Mitmachen einladen und über Chancen die ergriffen werden müssen. Inspiriert fragen wir nach der Bedeutung der Klimaneutralität, wie sich diese für ein „Wirtschaften mit Zukunft“ auszahlt.

 

Ein Podcast mit:

  • Bertram Fleck, Landrat a. D. des Rhein-Hunsrück-Kreises

  • Mandy Schielke, Radiojournalistin und Redakteurin vom Audiokollektiv

 

Diese Podcastfolge wurde im Auftrag der Landesstiftung Rheinland-Pfalz produziert.

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Diese Podcastreihe wurde im Rahmen des Verbundprojektes„Wirtschaften mit Zukunft“ konzipiert.

Shownotes:

Heinrich-Böll-Stiftung Rheinland-Pfalz: https://www.boell-rlp.de/startseite 

Kreisverwaltung Rhein-Hunsrück-Kreis: www.rheinhunsrueck.de

Referenzregion für Klimaschutz Rhein-Hunsrück-Kreis: https://www.kreis-sim.de/Klimaschutz/

Gelobtes Land Rhein-Hunsrück-Kreis: https://www.gelobtesland.de

YouTube: https://www.youtube.com/@GelobtesLand

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LinkedIn: https://de.linkedin.com/company/gelobtesland

Webseite des Verbundprojektes „Wirtschaften mit Zukunft“: https://www.boell.de/de/wirtschaften-mit-zukunft 

Transkription:

Intro: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge der Reihe „Böll Regional“, in der wir euch Projekte aus verschiedenen Bundesländern vorstellen.

Diese Staffel dreht sich um die Frage nach dem Wirtschaften mit Zukunft. Wir werden dabei Projekte und Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen präsentieren, die uns Wege zu einem nachhaltigen Wirtschaften zeigen.

 

Mandy Schielke: Wirtschaften mit Zukunft. So haben wir diese Podcast Serie genannt. Und jetzt kann ich mit Bertram Fleck darüber sprechen. Landrat außer Dienst aus dem Rhein Hunsrück Kreis in Rheinland-Pfalz, Hallo Herr Fleck.

 

Bertram Fleck: Hallo! Ich grüße Sie.

 

Mandy Schielke: Wirtschaft mit Zukunft. So haben wir die Serie genannt. Sie haben sich in Ihrer Zeit als Landrat in Rheinland-Pfalz vor allem dafür eingesetzt, dass die Themen Klimaschutz und Energiewende eng mit der regionalen Wertschöpfung verknüpft werden. Das politische Ziel Klimaneutralität wird schon seit über zehn Jahren umgesetzt, eine wahre Pionierleistung. Herr Fleck, was haben Sie da genau angeschoben?

 

Bertram Fleck: Na ja, manchmal staune ich ja selbst mit meinem Team und dem ganzen Netzwerk, was wir auf die Reihe gebracht haben. Wir haben ja anfangs gar nicht diese Dimensionen erahnt. Und wenn Sie jetzt nach dem heutigen Ergebnis fragen, mithilfe von Aktivitäten im Klimaschutz erneuerbare Energien, haben wir eine unheimlich tolle regionale Entwicklung angestoßen, indem wir die regionale Wertschöpfung vor Ort gefördert haben, statt Energieimporten zu Kosten von 200 Millionen €. Heute wären 500 Millionen € nach außen zu zahlen. Das Geld ist dann weg, haben wir versucht, die durch Eigenproduktion und Eigenaktivität das Geld in der Region zu erhalten. Wir haben die regionale Wertschöpfung im Augenblick von 44 Millionen € pro Jahr, haben Gemeinde-Rücklagen von 106 Millionen und bei der Verschuldung mit 20 % des Durchschnitts ist dabei ein tolles Ergebnis.

 

Mandy Schielke: Also die Gemeinde steht gut da. Was haben Sie dafür genau angeschoben? Also welche Projekte haben Sie in Gang gebracht?

 

Bertram Fleck: Wir haben das erste Solar Kataster in Rheinland-Pfalz entwickelt. Das heißt, jeder Private konnte 2009/2010 im Internet nachschauen, ist sein Dach geeignet? Besonders gut geeignet, Wie auch immer... Und wenn der Kreis dann mit seinen Gebäude vorangeht, private Bürger folgen, dann kann man zu jeder Ortsgemeinde gehen und auch sie animieren. Zu sagen Kindergärten, Schulen, macht PV, eure Genossenschaft können euch helfen.

 

Mandy Schielke: Also Photovoltaik für alle war schon eine Idee, die Sie sehr früh verfolgt haben.

 

Bertram Fleck: Anderes Beispiel wir sind ja waldreich und Landwirtschaftsreich. Das Problem ist ja weniger, die Stromerzeugung als Wärme zu gewinnen. Wir haben gesagt, bevor wir das in drei Schulzentrum groß installieren, fangen wir doch mal mit der HolzhackSchnitzel Anlage in einer kleinen Förderschule an. Folge war: wir haben in drei Schulzentren des Kreises, später bei fast 40, 50 Gebäude alle Heizungen rausgerissen, alle drei jeweils ein Nahwärme-Zentrum verschafft auf der Basis von Baum und Strauch Schnitt, der gesammelt wird. Und das war nicht nur ein guter Ansatz für den Kreis, sondern viele Bürgermeister kamen zu der Zeit und haben auch die Wärmegewinnung in ihrem Kreis so gestaltet mit Nahwärme Zentren.

 

Mandy Schielke: Ja, das sind ja schon zwei sehr konkrete Beispiele. Aber Sie haben es auch schon so ein bisschen angedeutet. Das Ganze war natürlich nicht ganz ohne Widerstände, wenn ich Sie richtig verstehe. Welche Widerstände mussten Sie denn überwinden und wie es Ihnen das gelungen? Vielleicht können Sie das auch mal einer ganz konkrete Geschichte erzählen.

 

Bertram Fleck: Also das Schwierigste war so eine Gesetzgebung, die damals starr und stur war. Datenschutz hat uns ins Photovoltaik-Kataster rein gefunkt. Wir haben ein halbes Jahr verhandelt mit dem Datenschutzbeauftragten. Der kleine Landrat Fleck mit seinem Juristen halbes Jahr im Clinch mit dem, was der im Internet an Daten einstellen, was nicht? Heute lachen die Leute drüber, aber es war halt vor 13,14,15 Jahren ein Problem. Die Bezirksregierung wollte uns nicht erlauben, Photovoltaik auf der Deponie zu machen. Da gab es noch keine Rechtsgrundlagen. Dicker Brocken war die Überzeugung der politischen Gremien.

 

Mandy Schielke: Bevor wir über die politischen Gremien sprechen, würde ich Sie jetzt noch mal fragen. Sie haben jetzt ja auch schon mehrmals angedeutet, dass das eine ziemliche Pionierarbeit war und viele Leute gar nicht so richtig wussten, was sie da wollen und man einfach zu der Zeit, über die wir da sprechen, 89 sind Sie Landrat geworden und haben das gemacht bis 2015, also ziemlich lang…und Sie haben in den Neunzigerjahren schon die ersten Dinge angeschoben. Was war eigentlich Ihr Antrieb? Und wo kam dieser Landkreis überhaupt her? Was war die Vorgeschichte und was war Ihre Vision?

 

Bertram Fleck: Als Landrat - Sie brauchen ein bisschen Fantasie. Mussten Sie damals gar nichts machen. Kein PV, kein Windrad, eigentlich nichts. Und viele haben das auch als Last angesehen. Und wir haben es als eine Chance angesehen. Das ist eine Mischung aus privaten Gründen und dienstlich und privat. Meine Mutter stammt aus der Landwirtschaft. Da hat man Nähe zur Natur, zur Landschaft, zu Tieren, zur Schöpfung. Der Hausbau meines Vaters, erinnere mich noch 1967 Können wir uns Doppel-Fenster leisten.. Das ist ja Luxus! Heizöl kostet nur 19 Pfennig, also neun 1/2 Cent. Das habe ich noch gut in Erinnerung. Als er starb, war wir bei 0,95 €. Dann hatten wir einen Kreisvorsitzenden Töpfer, den nicht mehr so viele kennen. Der war mal Umweltminister in Rheinland-Pfalz und im Bund und hat damals schon 30, 40 Jahre voraus geschaut. Der hat mich unheimlich inspiriert und letztendlich dienstlich betroffen. Wir hatten Import-Kosten, Heizöl-Kosten ohne Ende. Wir wollten das simpel reduzieren und wenn sie Erfolg haben und das spornt auch ein bisschen an und wir haben dann auch geguckt, wie können wir weitere Energie-Importkosten vermeiden? Können wir selbst regional Energie herstellen? Dann haben wir Wertschöpfung. Das war der nächste Punkt - Senken CO2. Das haben wir am Anfang gar nicht auf dem Radarschirm gehabt. Wir tun was für den Klimaschutz. Und ich denke, jeder ist gefordert, erst recht Kommunen und Kreise, dort voranzugehen.

 

Mandy Schielke: Und geben Sie uns mal einen Einblick von Ihrem Landkreis. In was für einer Verfassung war er mit Blick auf die Energieversorgung, Klimaschutz? Wo kamen Sie her, als Sie da angefangen haben zu wirken?

 

Bertram Fleck: Wirtschaftlich ein so genannter strukturschwacher Kreis, heute 106.000 Einwohner, verteilt auf 137 Gemeinden. Alle reden über den ländlichen Bereich. Wir sind es! 45 % Waldfläche, 42 % Landwirtschaft. Und wir hatten deswegen Ende der 80/90er Jahre große wirtschaftliche Probleme zusätzlich, weil bei uns gab es einen riesigen amerikanischen Flugplatz - Hahn. Es gab mehrere Bundeswehr-Einheiten. Wir haben alle den Frieden gewollt. Als der Frieden dann ausbrach, hatten wir extrem wirtschaftlich schwierige Zeiten, schlechte Finanzen, Wirtschaftsdaten. Also umso mehr nach einem Strohhalm zu greifen, zu sagen, das könnte eine Chance sein, uns aus der wirtschaftlichen Not herauszubringen. Das eine ist, was man sich vornimmt, das andere: Ein wichtiger Schlüssel ist die Menschen, die haben ja nicht gerade gewartet, bis wir so was machen. Sie waren, mal vornehm ausgedrückt, zurückhaltend interessiert. Man muss die Leute dann echt beteiligen. Die müssen auch wissen, was ist mein Nutzen für mich Meine Gemeinde, mein Betrieb, meine Region? Die Menschen sind konservativ und man hat schon lange Jahre, Jahrzehnte gebraucht, um sie mitzunehmen. Umso leichter ist es heute, weil heute die Aufgeschlossenheit ist eine ganz andere, sehr positiv.

 

Mandy Schielke: Das hatten Sie ja auch schon am Anfang gesagt und das finde ich auch total interessant, dass es bei Ihnen vor allem auch darum ging, Sie sich gedacht haben das, was total wichtig ist, dass wir irgendwie die Menschen mitnehmen müssen. Wir haben jetzt über Photovoltaik gesprochen, wir haben über Nahwärme gesprochen. Aber wie haben Sie das geschafft, die Menschen bei sich im Landkreis mit einzubinden? Vielleicht nochmal auf einen ganz konkreten Beispiel.

 

Bertram Fleck: Meine Kollegen haben mich auch teilweise verlacht und sozusagen nach dem Motto: Das ist doch gar nicht dein Job, du bist doch Landrat. Kümmere Dich um Kindergärten und Schulen. Wieso rufst Du einen Wettbewerb aus „Wer hat den ältesten Kühlschrank?“? Das hat der Kreis gemacht, mit Verbraucherberatung, mit allen… Warum? Jeder hat einen Kühlschrank. Die Botschaft war ganz einfach: Was wir ja wussten, der Kühlschrank, der 15, 20 Jahre alt ist, sein Alter erreicht hat, verbraucht 130 € Strom im Jahr. Der neue A drei plus - die heißen jetzt ein bisschen anders – 30 € Strom. Wenn Sie das so banal über Wochen Presse, Rundfunk, Fernsehen die Leute informieren. Sie machen die Siegerehrung Kühlschrank 1950 und zeigen den Verbrauch und die heutige. Dann merken sie, die Leute denken nach. Und wenn sie über den Kühlschrank nachdenken, dann kommen alle andere Elektrogeräte.

Das waren eine Aktion des Kreises oder ein, zwei Jahre später. Wir haben relativ viel kleine Häuschen Eigenheime. Mich hat ein Handwerker darauf aufmerksam gemacht. Alle haben Umwälzpumpen und die Leute wissen es nicht. Ich wusste es auch nicht. Die laufen Tag und Nacht. Die so genannten ungeregelten Umwälzpumpen, die das warme Wasser der Heizung durch den Kreislauf pumpen. Statt den ganzen Tag und Nacht ungeregelt gibt es geregelte, die nur einmal die Stunde das pumpen, das reicht auch. Dann wird der Heizkörper langsam weniger warm und dann setzt die Pumpe wieder an. Genau der gleiche Effekt: die ungeregelte Pumpe 80-100 € mehr Strom, die neue geregelte Pumpe 20- 30 € Strom. „Wer hat die älteste Pumpe?“ Wettbewerb, Presse eingeschaltet…

 

Mandy Schielke: Bertram Fleck, Wenn ich Ihnen so zuhöre, dann habe ich ja den Eindruck, Sie haben vor allem total viel Aufklärungsarbeit geleistet. Aber was hat das jetzt mit Wertschöpfung zu tun? Also an welchem Punkt ist es so weit gekommen, dass Sie so eine Sensibilität erreicht hatten und die Menschen Lust hatten auch bei Projekten, mit denen man nicht nur spart, sondern auch Geld verdienen kann, mitzumachen?

 

Bertram Fleck: Das war eine Initialzündung der Agentur für Erneuerbare Energien in Berlin, die eine Pressereise mit überregionalen Journalisten veranstaltet durch Rheinland-Pfalz. Die Ministerin war dann in Nurbach war bei uns. Es war, glaube ich, 2004 oder 2003. Und da rief der zuständige Mitarbeiter an und sagte, wir sollten dran denken, dass wir die regionale Wertschöpfung den Journalisten präsentieren. Ich muss ehrlich eingestehen, wir hatten das damals noch gar nicht so intensiv auf dem Radar. Es gab sogenannte Tools, heißt es ja vornehm. Wenn Sie ein Windkraftrad mit drei Megawatt errichten, eine PV Anlage, dann steht genau, können Sie nachzählen und nachrechnen, was das bedeutet, wenn eine PV Anlage, die zwar in China hergestellt ist oder die Windräder in Norddeutschland, was aber das fürs heimische Handwerk zum Beispiel bedeutet für Banken, Versicherungen, was mit der Einspeisevergütung geschieht. Und als die uns aufmerksam machten, haben wir uns ans Werk gesetzt und ausgerechnet, Jetzt haben heute ja das Glück 972 Windkraftanlagen zu haben. Aus den anfänglich 2300 PV Anlagen sind 6200 geworden, E-Car Sharing haben wir gemacht, 18 Nahwärmeverbünde - vor allem können Sie ausrechnen, was ist für den Handwerker, für den Bauunternehmer, für den Förster, für den Landwirt, für die Raiffeisen Genossenschaft -  was bleibt in der Region hängen? Und da kommt diese Zahl 44 Millionen pro Jahr her. Und wenn Sie jetzt zum Beispiel sehen, die Windräder verursachen eine Pachteinnahmen – weil es gemeindeeigenen Flächenwaren - von 8 Millionen knapp 8 Millionen, die an die Gemeinden gehen. Das ist ein traumhaftes Ergebnis, bei 3,6 Millionen Einspeisevergütung, weil leider die meisten Windräder den Stadtwerken außerhalb gehören und noch etwa anderthalb Millionen Wartung, Service und so weiter. Da haben Sie einen Betrag für 20 Jahre. 232 Millionen fließen in den Kreis. Das ähnlich ist es bei der Photovoltaik: Der jährliche Wert ist 20,4 Millionen, hauptsächlich die Einspeisevergütung, aber auch andere Dinge. Rechnen Sie das mal 20 Jahre. Also man unterschätzt diese Chancen, wenn man selbst Energie herstellt, Anlagen errichtet, pachtet, dass man Energie Import-Kosten vermeidet und sich - letztlich auch eine Frage der Versorgungssicherheit -  autark macht und eine wirtschaftliche Belebung im Kreis stattfindet.

 

Mandy Schielke: Das kann man jetzt natürlich aus der Retrospektive auch total toll nachvollziehen und anhand der Zahlen, die Sie auflisten, ist das natürlich auch sehr beeindruckend, weil ich jetzt daraus entnehme, dass natürlich mit diesem Geld kann dann wieder investiert werden in öffentliche Strukturen, in Kitas, in Schulen, und so weiter. Aber wie war das? Ja, wenn wir jetzt. zurückgehen, wie war das zu der Zeit, als Sie da mit Ihrer Pionierarbeit noch ziemlich am Anfang standen? Wie haben Sie es geschafft, die Menschen auch für so größere Projekte, Windanlagen und so weiter zu begeistern? Mit dieser Kühlschrank Aktion, von der Sie uns schon vorhin erzählt haben, da ist damit ja noch nicht erreicht, dass man auch für andere Dinge aufgeschlossen ist.

 

Bertram Fleck: Wenn ich, eine Besonderheit bei uns, Gemeinde eigene Fläche habe, und ich kann das verpachten. Und Sie müssen sehen, da gibt es Gemeinden, die haben einen Etat von 50.000 - 100.000 und kriegen plötzlich 200.000 Euro Pacht-Einnahmen, möglicherweise auch teilweise Gewerbesteuer für 20 Jahre. Dann plötzlich haben sie diese Chance, wo ich immer darum gekämpft habe, erkannt und gesagt, lass uns das voranschreiten. Das gleiche bei PV-Anlagen. Also es darf im Prinzip kein Feuerwehrhaus, kein Gemeindehaus, kein Kindergarten ohne PV sein. Wenn wir die Personen unserer Bürgerschaft animieren wollen mitzumachen, müssen wir vorangehen und bei der PV ist relativ einfach, weil es kostet zunächst mal eine gewisse Summe, aber nach einigen Jahren 8 bis 10 oder zwölf, je nachdem, wie groß die Anlage ist, ist es ja rentierlich, sie verdienen Geld damit. Und wenn Sie den Speicher mitnehmen, können sie ein Elektroauto anhängen. Also diese Entwicklung haben die Leute dann nach und nach gesehen und es spricht sich rum. Und die Gemeinden waren sehr offen und die Bürgermeister auch. Und dann sind es die Bürger, die meisten jedenfalls irgendwann auch.

 

Mandy Schielke: Okay, das heißt, es geht vor allem darum, dass man erst mal den Anfang macht und auch darauf vertraut, dass sich Gutes durchsetzt, wenn ich Sie da richtig verstanden habe. Nun geht es ja bei solchen Projekten, über die wir gerade gesprochen haben, auch immer darum, politische Mehrheiten zu finden, Mehrheiten zu sammeln. Vielleicht können Sie uns davon noch ein bisschen erzählen. Was waren da Hürden, die Sie überwinden mussten?

 

Bertram Fleck: Ja, das ist auch ein kleiner Kraftakt, der nicht jeder Kommune und jedem Kreis gelingen kann. Weil es gibt sehr unterschiedliche Verhältnisse, wie man mit Parteien, Fraktionen von der Verwaltung aus umgeht und zwischen den Parteien, Fraktionen. Und wenn sie einen Kreis haben, wo reflexartig Nein gesagt wird, wenn die oder jene Fraktion Ja sagt oder umgekehrt, dann haben sie es schwer. Und wenn die Führungskräfte auch sehr politisch ihrer Partei anhängen, dann umso schwerer. Also es hängt schon mal sehr ab von den Personen, die an der Spitze stehen, wie sie mit den Parteien, Fraktionen umgehen. Ich bin immer sehr überparteilich unterwegs gewesen, habe immer Kontakt mit allen gesucht. Ich sag „Es geht um den Kreis. Es geht nicht nur um Parteien und Fraktionen. Wir wollen das beste Ergebnis haben.“

 

Mandy Schielke: Sie haben einen langen Atem, Das höre ich. Sie betonen die Vorreiterrolle bei dem Thema. Was ist denn in Ihrem Landkreis seitdem passiert? Sie sind bis 2015 Landrat gewesen. Das heißt, Sie sind das jetzt schon fast acht Jahre nicht mehr. Was ist danach passiert? Welche Ausstrahlwirkung konnten Sie beobachten?

 

Bertram Fleck: Es gibt nicht Aktionen im Klimaschutz, Energiewende, wo die sagen - jetzt haben wir erreicht, das war's. Das ganze Thema ist ein Prozess. Ich habe natürlich eine Riesenfreude, weil das Netzwerk hat ja funktioniert. Wir haben ja die Preise erzielt bis zur Energie Kommune des Jahrzehnts von der Agentur für Erneuerbare Energien Berlin. Das ist schon was für so einen kleinen Kreis deutschlandweit so herausgestellt zu werden. Das heißt, alle Beteiligte waren umso motivierter. Die Presse hat immer berichtet, teilweise haben dann Nachbargemeinden gesehen, also passiert was. Das möchten wir auch gern haben. Ich habe die Zahl 2300 PV Anlagen erwähnt, heute sind es 6300. Ich weiß nicht ob es vier oder vereinhalbtausend waren als ich ausgeschieden bin. Es geht einfach weiter. Die Nahwärmeverbünde sind weitergegangen. Jetzt kommt schon die nächsten, die sich erkundigen. Macht man was mit einer Biogasanlage in Kombination mit Landwirten macht man Solarthermie.. Mein Nachfolger hat jetzt eine tolle Idee, eine weitere alte Deponie mit PV zu versehen großen Speicher. Er will eigentlich Selbstversorger sein und alle Kreis-Gebäude dann durch die alte und diese neue PV Anlage mitversorgen.

 

Mandy Schielke: Auf einer Müllhalde...

 

Bertram Fleck: Ja, die eigentlich da rumsteht und zu nichts nutze ist und zur Ausstrahlung selbst. Natürlich haben wir dadurch, dass wir Preise gewonnen haben, überregionale Preise - Bund, Land, EU Energie Kommune des Jahrzehnts in Deutschland. Also es hat eine Riesen-Ausstrahlung und die letzte Ausstrahlung ist die, dass mein Klimaschutzmanager - ich sage noch immer meiner - und ich selbst reihum deutschlandweit war, vor zwei Jahren auch in Griechenland immer noch eingeladen wird zu Vorträgen. Also so versuchen wir die Botschaft weiterzutragen an Interessierte und schauen wir mal, was draus wird.

 

Mandy Schielke: Würde jemand ihre Projekte nachahmen wollen, und natürlich sind wir jetzt zeitlich schon ziemlich fortgeschritten und vieles, was bei Ihnen noch Pionierarbeit war, ist jetzt auch sozusagen im Mainstream angekommen. Aber dennoch, was wären konkrete erste Schritte, die Sie sehen würden, um ähnliche Sachen aufzuziehen? Was würden Sie empfehlen?

 

Bertram Fleck: Erstens mit Gleichgesinnten zusammentun, zweitens mit Energieeffizienz, Energie-Controlling beginnen. Da haben Sie eine breite Mehrheit, später erst PV und Windkraft. Viele Mitmach-Veranstaltungen machen, die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen. Wir haben heute die Best Practice Modelle. Fahrt hin, schaut euch das an, stell die regionale Wertschöpfung in den Mittelpunkt, weil dann habt ihr den Nutzen für die Stadt, für die Region, sensibilisiert die Bevölkerung. Ihr braucht ein Klimaschutzkonzept, einen Manager und meine Schlusssatz würde lauten: Wege entstehen dadurch, dass man sie geht. Warum tut man nicht das, was wir wissen? Also fangt einfach an!

 

Mandy Schielke: Das ist ein total schöner Gedanke, auch zum Schluss. Was sind aber, wenn ich das noch sagen darf, Was sind Ihre Wünsche und Anliegen für die Zukunft?

 

Bertram Fleck: Dass wir nicht nur drüber reden. Wir hatten nämlich schon mal eine Krise. 1973. Sie sind noch so jung, die meisten wissen das gar nicht mehr. Da sind wir als Jugendliche und junge Männer über die Autobahn gelaufen, ohne PKW. Und da haben sich viele vorgenommen: Club of Rome... Empfehlungen. Was machen wir in den nächsten Jahren? Geschehen ist relativ wenig und jetzt haben wir genau 50 Jahre weiter. Und ich finde jetzt diese Wende sollten wir hin zu mehr Klimaschutz, zu wirklicher Energiewende, die sollten wir alle anpacken, keine Schuldzuweisung machen, jeder für sich. Also was ich sehr schade finde. Ich würde, wenn ich Macht hätte, sagen, PV gehören auf Neubauten. Tempolimit würde ich einführen, Landwirtschaft verändern und vor allen Dingen immer der Appell, dass wir alle mitmachen müssen.

 

Mandy Schielke: Und eine Frage noch Bertram Fleck, die wir allen Interviewpartnern und der Interviewpartnerinnen hier stellen in dieser Serie. Was würden Sie sagen: Sie haben uns natürlich schon ganz viel gesagt, Aber wenn Sie das auf zwei Punkte reduzieren dürften- worin besteht Ihr Beitrag zum Wirtschaften mit Zukunft?

 

Bertram Fleck: Wir haben in unserer Region all das versucht, was im Prinzip fast jeder machen kann: Einstieg erneuerbare Energien in Windräder, in PV, ECar-Sharing. Das sollte jeder machen, das bleibt auch nachhaltig. Das Zweite ist, wir wirken mit, - auch wenn es ein Millimeter - dass wir insgesamt diesen Klimawandel vielleicht in unserer Region ein bisschen positiv beeinflusst haben. Das letzte: Wenn meine Kinder und meine Enkel mich fragen, sage ich: Wir haben das Mögliche versucht, wir sind weiter auf dem Weg und eigentlich kann jeder mitmachen. Der letzte Punkt war diese enorme regionale Wertschöpfung: der Kreis hat jetzt überdurchschnittliche Wirtschafts- und Finanzzahlen. Ich glaube, das bleibt abhängen. Also diese gute Mischung zwischen Zukunft, nachhaltige Regionalentwicklung, regionale Wertschöpfung und wirtschaftlicher Aufschwung.

 

Mandy Schielke: Bertram Fleck Vielen Dank für dieses interessante und sehr inspirierende Gespräch.

 

Bertram Fleck: Vielen Dank, Frau Schielke!

 

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Dieser Artikel erschien zuerst hier: www.petrakellystiftung.de