Es ist leicht, dieser Tage in einen Pessimismus über den gesellschaftlichen Zusammenhalt und den Zustand der Demokratie zu verfallen. Doch die Wahl in Polen zeigt: Es lohnt sich, für die Demokratie zu kämpfen.
Derzeit könnte man den Eindruck gewinnen, dass die Krisen nur immer heftiger werden. Dass Stabilität, Demokratie und Freiheit immer stärker gefährdet sind. Dabei stellt sich die Frage, was gegen dieses Gefühl zunehmender Verdunklung hilft und wo die Hoffnung auf Rückgewinnung von demokratischen Räumen und von menschlichem Zusammenhalt bereits greifbar wird. Es gibt diese Lichtblicke und gerade jetzt ist es wichtig, an sie zu erinnern: So wie die Wahlen in Polen, mit deren Ergebnis die in Teilen bereits verloren geglaubte Chance auf ein Ende der PiS-Regierung tatsächlich Realität werden kann.
Über die letzten Jahre konnten wir miterleben, wie sichtbar und systematisch Axt angelegt wurde an die Errungenschaften von Demokratie und Rechtsstaat in Polen und damit auch in der Europäischen Union. Wie das Gift des Autokratismus immer weiter eingesickert ist in alle Teile des Landes, in Institutionen und das Alltagsleben der Menschen. Und wie dafür Hass und Vorurteile als Instrumente bemüht wurden. Der Hass, den wir auch an vielen anderen Orten der Welt und vor allem in sozialen Medien verstärkt sehen, er stellt vor allem eines in Frage: Gibt es noch eine gemeinsame Wertebasis, ein geteiltes Fundament, auf dem wir gemeinsam stehen, miteinander reden und Entscheidungen treffen können?
Durch eine immer radikalere Sprache, durch das Schüren von Ängsten und durch die Instrumentalisierung von tatsächlichen Nöten und Schwierigkeiten zur Mobilisierung der eigenen Wählerschaft wurden selbst die grundlegendsten Regeln von Anstand und Respekt in einer Demokratie in Frage gestellt. Wie in Polen wurden in verschiedenen Demokratien unabhängige Richter*innen diskreditiert und entmachtet, freie Medien systematisch zurückgedrängt. Die Existenz von freiheitlich-demokratischen Grundwerten wie der Meinungs- und Versammlungsfreiheit und ihr Gebrauch wird von vielen Menschen in Demokratien gar nicht mehr als jene Errungenschaft wertgeschätzt, die sie gerade im Vergleich zu den vielen autokratischen Staaten dieser Welt darstellen. Ihre Verteidigung haben die demokratischen Gesellschaften über die vergangenen Jahre zunehmend verlernt.
Gleichzeitig haben uns die Wahlen in Polen gezeigt, dass wir dem Autokratismus keineswegs ausgeliefert gegenüberstehen. Dass die Menschen ihre über viele Jahre erkämpften und gelebten Errungenschaften nicht einfach vergessen und verloren geben. Viel mehr als die vielen erschreckenden Umfrage- und Wahlergebnisse für Antidemokrat*innen vielerorts sollte uns dieses positive demokratische Beben aufwecken und Hoffnung geben. Zeigt es doch: Es liegt an uns, die Mehrheiten für Menschenwürde, Demokratie und Freiheit zu gewinnen, immer wieder aufs Neue. Es ist möglich. Dafür ist es nötig – und das ist überhaupt nicht trivial – mit den Menschen zu sprechen, auf sie zuzugehen. Denn sie sind ganz offensichtlich erreichbar.
Dabei fällt eines besonders auf: In Polen waren es vor allem junge Wähler*innen, deren Wahlbeteiligung um über 20 Prozent angestiegen ist. Sie haben damit die Wahl entschieden. Das strahlte bis nach Griechenland aus: Als ich jüngst auf unserem Europäischen Jugendforum in Thessaloniki war, konnte ich im Gespräch mit den jungen Menschen dort spüren, wie sehr sie diese Tatsache inspiriert hat und wie sich für sie plötzlich ein ganz neues Fenster demokratischer Möglichkeiten geöffnet hat. Angesichts der vielen undenkbaren Ereignisse der letzten Jahre und der wie ein Damoklesschwert über uns hängenden Szenarien – etwa von einer erneuten Wahl Trumps oder einer französischen Präsidentin Le Pen – ist das ein enorm wichtiges Signal.
Gleichzeitig wird deutlich, dass es nicht allein durch Wahlsiege getan ist. Auch eine der Demokratie zugewandte Regierung in Polen wird es schwer haben, die gesellschaftliche Zustimmung zu erringen und den entstandenen Schaden zu reparieren. Oder sollte es etwa in Großbritannien einen Regierungswechsel geben, ist dennoch nicht mit einer schnellen Rückkehr in die EU zu rechnen. Entscheidend wird also sein, den Einsatz für freiheitlich-demokratische Grundwerte vor allem auch als gesellschaftlichen Auftrag zu sehen. Dabei geht es auch darum, sich über diese Werte wieder zu verständigen und sie sich auch selbst vor Augen zu führen. Denn es geht um den Schutz individueller Freiheiten, demokratischer Räume und rechtsstaatlicher Institutionen. Dafür einzustehen, erfordert Haltung. Von allen Demokrat*innen.
Dieser Artikel erschien zuerst hier: www.boell.de