Die Europawahl 2024 findet vom 6. bis 9. Juni im Schatten multipler Krisen statt. Unsere Studie erfasst die Stimmung der Bürgerinnen und Bürger vor der Wahl und zeigt, dass das Interesse an der Europawahl hoch ist. ► Zu allen Inhalten der «Selbstverständlich europäisch?!» Studie.
Die Europawahl 2024 findet vom 6. bis 9. Juni im Schatten multipler Krisen statt. Populistische und radikal rechte Kräfte könnten davon profitieren. Prognosen sagen einen Rechtsruck im nächsten Europäischen Parlament voraus. Entsprechende Kräfte streben eine Renationalisierung europäischer Politik und eine Schwächung der Handlungsfähigkeit der EU an. Konkret könnten etwa der Europäische Green Deal und die Unterstützung der Ukraine gebremst werden. Die EU würde in einer Zeit geschwächt, in der sie große Zukunftsaufgaben zu lösen hat. In diesem Kontext untersucht die sechste Ausgabe der Langzeitstudie Selbstverständlich europäisch!?, wie die deutsche Bevölkerung auf die Europawahl blickt und die Rolle Deutschlands in der EU beurteilt.
Die wichtigsten Ergebnisse der repräsentativen Umfrage1
- Hohes Interesse an Europawahl, hohes Desinteresse im AfD-Lager: 66,1 Prozent der Bürgerinnen und Bürger haben mehrere Monate vor dem Urnengang ein sehr oder eher hohes Interesse an der Europawahl. Bei 11,0 Prozent ist das Interesse sehr gering. Überdurchschnittlich groß ist der Anteil der sehr gering Interessierten im Lager der AfD (15,3 Prozent), weitere 6,0 Prozent der AfD-Unterstützenden sind eher gering interessiert (vgl. Abb. 1).
- Europäische Krisenlösungen in den Fokus des Wahlkampfes: Geht es nach den Befragten, sollen im Wahlkampf die Themen im Mittelpunkt stehen, für die es auch europäische Lösungen braucht: 74,7 Prozent wollen, dass das Thema Migration debattiert wird, gefolgt von Sicherheit/ Verteidigung (63,3 Prozent), Wirtschaft (48,8 Prozent), Klima/Energie (37,2 Prozent) und Inflation (37,1 Prozent).
- Rückhalt für EU-Unterstützung der Ukraine: Mehr als 60,0 Prozent der Befragten plädieren für einen höheren (41,8 Prozent) oder gleichbleibenden (18,3 Prozent) Umfang der EU-Unterstützung der Ukraine. In den ostdeutschen Bundesländern spricht sich dagegen eine knappe Mehrheit von 51,0 Prozent für eine geringere Unterstützung der Ukraine aus.
- Zweifel am wirtschaftlichen Nutzen Europas: Für 56,9 Prozent der Bürgerinnen und Bürger überwiegen weiterhin die Vorteile der EU-Mitgliedschaft und 52,9 Prozent meinen, dass die aktuellen Krisen eher auf europäischer als auf nationaler Ebene gelöst werden können. Allerdings sagen nur noch 45,2 Prozent, dass der wirtschaftliche Nutzen der EU-Mitgliedschaft die Kosten übersteigt.
- Kooperative und aktive EU-Politik der Bundesregierung: Das Auftreten der Bundesregierung in der EU nehmen 46,4 Prozent in letzter Zeit als aktiv wahr und 41,7 Prozent als weniger aktiv. Für die Zukunft wünscht sich eine klare Mehrheit von knapp zwei Dritteln ein kooperatives und aktives Auftreten Deutschlands in Europa.
Trends und politische Empfehlungen
- Interesse an Europawahl nutzen: Das hohe Interesse an der Europawahl – insbesondere unter pro-europäischen Wählerinnen und Wählern – sollten Parteien und Zivilgesellschaft nutzen, um vor der Wahl konkrete europäische Lösungsansätze für aktuelle Krisen (z. B. Sicherheit, Klima, Migration) zu diskutieren. Die EU sollte etwa ihre Verteidigungsfähigkeit stärker als gemeinsames europäisches Projekt denken und kohärenter gestalten. Auch die Unterstützung der Ukraine gegen Russlands Angriff sollte gemeinsam vorangetrieben werden.
- Europas Nutzen betonen: Der Trend dieser Langzeituntersuchung zeigt zwar, dass die Bürgerinnen und Bürger vom politischen Nutzen der EU überzeugt sind, gleichzeitig glaubt nur noch eine Minderheit an den wirtschaftlichen Nutzen. Diese Wahrnehmung dürfte auch mit der Krise der hiesigen Wirtschaft zusammenhängen. Gerade deshalb sollte die Politik herausstellen, dass der EU-Binnenmarkt ein Wohlstandsgarant für die Exportnation Deutschland ist und diesbezügliche Desinformation – z. B. von Seiten der AfD – durch Fakten widerlegen. Die zahlreichen Blockaden der Bundesregierung auf EU-Ebene hingegen sind nicht hilfreich, um den Glauben an Europas Handlungsfähigkeit zu stärken.
- In die Zukunft investieren: Eine deutliche Mehrheit befürwortet mehr Spielraum für gemeinsame europäische wie auch nationale Zukunftsinvestitionen. Daher wäre es angezeigt, den Stabilitäts- und Wachstumspakt der Eurozone um eine „goldene Investitionsregel“ zu erweitern, die Investitionen in Zukunftsaufgaben von konsumtiven Staatsausgaben unterscheidet. Den Bürgerinnen und Bürgern geht es vor allem um eine Stärkung der Resilienz durch Investitionen in Sicherheit, Forschung/Innovation und einen sozialgerechten European Green Deal.
Die Studienzusammenfassung als PDF gibt es hier.
1 Das Meinungsforschungsunternehmen Civey hat für diese Studie 5.000 Personen im Februar 2024 online befragt. Die Ergebnisse sind repräsentativ für die deutsche Bevölkerung ab 18 Jahren. Der Fragebogen der Langzeitstudie wurde u. a. auf Basis von Fokusgruppen konzipiert, die 2019 und 2021 durchgeführt wurden.
Dieser Artikel erschien zuerst hier: www.boell.de