Ein zentraler Bestandteil unserer politischen Bildungsarbeit als grüne politische Stiftung ist die Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen oder rechtsradikalen Parteien, Bewegungen und Ideologien, Verschwörungsmythen, Hate Speech und anderen Phänomen, die die Gesellschaft und den öffentlichen Diskurs polarisieren und gesellschaftlichen Gruppen und Minderheiten ausgrenzen.
Wir möchten politisch aktiven Bürger*innen sowie der gesamten Zivilgesellschaft Wissen bereitstellen und dazu befähigen, eine politische Haltung zu entwickeln. Kritikfähigkeit, Urteilskraft und eigenes Engagement wollen wir stärken. Wir sehen es außerdem als unsere Aufgabe, Debattenräume zu eröffnen, in denen auch kontroverse Themen auf informierter Basis diskutiert werden können. Zu dieser politischen Bildungsarbeit gehört auch die Auseinandersetzung mit Phänomen wie der „Querdenken“-Bewegung und der daraus resultierenden politischen und gesellschaftlichen Folgen.
Die „Querdenken“-Bewegung gegen die Maßnahmen, die die Corona-Pandemie eindämmen sollen, hat auch uns in Gestalt und Ausmaß überrascht – gerade mit Blick auf Baden-Württemberg. Viele Fragen haben sich gestellt: Wie kann es sein, dass Leute, die augenscheinlich aus der oft bemühten Mitte der Gesellschaft kommen, in schöner Harmonie neben Menschen mit Reichsbürgerfahnen marschieren? Woher rührt dieser „fehlende Mindestabstand“, um einen aktuellen Buchtitel über die „Querdenken“-Bewegung in Deutschland zu paraphrasieren? Warum ist diese Bewegung gerade in Baden-Württemberg entstanden und fest verankert? Wo kommen diese Leute her?
In Medien, Politik und Öffentlichkeit wurde vielfach spekuliert, um dieses Phänomen zu erklären. Sind da frustrierte Wutbürger aus dem Umfeld früherer Protestbewegungen unterwegs? Manifestiert sich vielleicht eine typisch baden-württembergische Widerständigkeit? Ist es der schwäbische Pietismus, der die Leute zu Querdenker*innen macht? Oder die Anthroposophie? Gibt es Parallelen zu früheren Bewegungen, etwa der „Demo für alle“, bei der sich ebenfalls bemerkenswerte Koalitionen auf der Straße manifestierten?
Es gab also viele mehr oder minder gut begründbare Hypothesen, aber keine fundierten Erklärungen. Deshalb haben wir uns im Frühjahr entschlossen, Prof. Dr. Oliver Nachtwey und Dr. Nadine Frei von der Universität Basel zu beauftragen, eine Studie zur „Querdenken“-Bewegung in Baden-Württemberg zu erstellen. Oliver Nachtwey und Nadine Frei hatten zuvor eine erste Studie zur „Politischen Soziologie der Corona-Proteste” in Deutschland und in der Schweiz veröffentlicht und waren damit für dieses Forschungsprojekt prädestiniert. Unser Interesse war es, wissenschaftlich fundierte Antworten auf zwei Fragen zu bekommen: Welche besonderen Merkmale weist die „Querdenken“-Bewegung in Baden-Württemberg auf? Und: Warum ist die „Querdenken“-Bewegung in Baden-Württemberg so stark verwurzelt?
Erste Antworten liegen jetzt in Form dieser Studie vor. Einiges ist überraschend – anderes war zu erwarten. Mit der Studie von Oliver Nachtwey und Nadine Frei stellen wir der interessierten Öffentlichkeit die erste wissenschaftliche Analyse der „Querdenken“-Bewegung in Baden-Württemberg zur Verfügung. Dabei ist uns bewusst, dass es sich um keine vollständige Erklärung dieses Phänomens handelt. Dazu bedarf es sicherlich weiterer Forschung. Wir hoffen aber sehr, damit zu einer Diskussion darüber beitragen zu können, wie diese Gesellschaft sich wieder zusammenfindet, wenn die Pandemie einmal vorbei sein wird. Mehr über die Quellen der gegenwärtigen enormen Polarisierung und Entsolidarisierung zu wissen, ist unseres Erachtens eine notwendige Voraussetzung für diese Debatte. Wir sind überzeugt davon, dass die Katastrophe, in die wir gerade hineinsteuern, auch eine Folge der Tatsache ist, dass sich eine signifikante Minderheit der Bevölkerung wissenschaftlicher Erkenntnis, politischer Vernunft und gesellschaftlicher Solidarität bewusst verweigert hat.