Erklärung des Landesnetzwerks Politische Bildung Baden-Württemberg zum 23. Mai 2020
Damals vor 71 Jahren...
begründeten die Väter und Mütter des Grundgesetzes unsere demokratische Ordnung. Ihr
Verfassungswerk markiert die Abkehr von der nationalsozialistischen Herrschaft, einer
Herrschaft der Willkür, des Terrors und der Gewalt. An seinen Anfang setzten sie daher die Verpflichtung zum Schutz der Menschenwürde.
Seit 1949...
legt das Grundgesetz mit seinen Grundrechten und anderen Normen eine stabile Basis für unser demokratisches Zusammenleben. Es schützt die Freiheiten der Einzelnen und begründet staatliche Pflichten. Alle Eingriffe in Rechte sind parlamentarischer und gerichtlicher Kontrolle unterworfen.
Heute, 71 Jahre später...
erleben wir in Corona-Zeiten schwierige Monate einer in der Geschichte der Bundesrepublik einmaligen Einschränkung von Grundrechten. Wir wissen, wie kompliziert und doch wichtig es ist, diese Freiheiten in verantwortungsbewusster und wissenschaftlich fundierter Auseinandersetzung mit der Pandemie Stück für Stück sicherzustellen.
Weiterhin gilt,...
dass das Grundgesetz unser aller Freiheit verbrieft. Aber es setzt die Freiheit des Einzelnen nicht absolut. Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo sie in die Freiheit und Unversehrtheit anderer eingreift. Dieser Freiheitsbegriff fordert zu ständiger Abwägung auf; führt zu parlamentarisch legitimierten Vereinbarungen und Regeln; baut auf Verantwortung und darauf, dass sich alle unter Wahrung der Minderheitenrechte an Mehrheitsentscheidungen halten. Dies ist ein Grundprinzip unserer Demokratie.
Zum 71. Jahrestag der Verkündung des Grundgesetzes
Auch jetzt gilt:
Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung sind durch Grundrechte auf die Würde des Menschen verpflichtet. Deshalb gilt auch während der Pandemie die im Grundgesetz garantierte Versammlungsfreiheit und der Rechtsweg zur gerichtlichen Prüfung der derzeitigen Einschränkung von Freiheitsrechten.
Es ist aber nicht akzeptabel, dass die vermeintliche Verteidigung der Verfassung mit Lüge und Hass ausgetragen wird. Ebenso wenig kann hingenommen werden, dass bei Demonstrationen für das Grundgesetz das Grundgesetz durch Worte und Handlungen mit Füßen getreten wird.
Wer mit extremistischen Kräften Seite an Seite demonstriert, vertieft die Spaltung der Gesellschaft. Wer die Regeln zum Schutz der Gesundheit nicht einhält, gefährdet andere und verhöhnt den Rechtsstaat. Wer Verschwörungsmythen verbreitet, Ressentiments schürt und andere zu Sündenböcken erklärt, hat nicht verstanden, welche Botschaft uns das Grundgesetz vermittelt. Das Grundgesetz ist eine Botschaft der Menschenwürde, der Freiheit und Toleranz! Es vertraut auf die Vernunft und Verantwortung von Bürgerinnen und Bürgern, diese Botschaft mit Leben zu füllen!
Bewahren wir den Geist unserer Verfassung!
Das Landesnetzwerk Politische Bildung Baden-Württemberg
Mitgliedsorganisationen
- Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart
- Bildungswerk für Kommunalpolitik
- DGB-Bildungswerk Baden-Württemberg e. V.
- Europa Zentrum Baden-Württemberg
- Evangelische Akademie Bad Boll
- Friedrich-Ebert-Stiftung Baden-Württemberg
- Haus der Geschichte Baden-Württemberg
- Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg
- Initiative Allianz für Beteiligung e. V.
- Internationales Forum Burg Liebenzell e. V.
- Konrad-Adenauer-Stiftung (Politisches Bildungsforum Baden-Württemberg)
- Landesakademie für Jugendbildung
- Landesarbeitsgemeinschaft für Offene Jugendbildung Baden-Württemberg e. V. (LAGO)
- Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg
- Pädagogisch-Kulturelles Centrum Ehemalige Synagoge Freudental e. V.
- Reinhold-Maier-Stiftung Baden-Württemberg
- Studienhaus Wiesneck e. V.
- Volkshochschulverband Baden-Württemberg
Der Erklärung hat sich zudem angeschlossen
Stand: Mai 2020
In dem Bündnis Landesnetzwerk Politische Bildung Baden-Württemberg engagieren sich 18 politische, gesellschaftliche und kirchliche Einrichtungen der Politischen Bildung in Baden-Württemberg. Sie bieten Information und Orientierung in einer zunehmend komplexen Welt. Sie ermöglichen den notwendigen öffentlichen Diskurs und ermutigen zu politischem und bürgerschaftlichem Engagement. Sie stärken die Demokratie.
In den „Zehn Thesen zur Politischen Bildung in Baden-Württemberg – Demokratie braucht Demokratinnen und Demokraten“ haben die Mitgliedsorganisationen Grundsätze formuliert, die sie als Landesnetzwerk verbindet.
1. Demokratie will gelernt sein
Die Entwicklung der demokratischen Gesellschaftsordnung
lebt von der Bereitschaft der Menschen, politische Verantwortung für das
Wohlergehen des Ganzen zu übernehmen. Demokratie setzt deshalb informierte, urteilsfähige, politisch gebildete und somit mündige Bürgerinnen und Bürger voraus. Demokratie ist die einzige politische Gesellschaftsordnung, die von jeder Generation neu gelernt werden muss.
2. Demokratie braucht Politische Bildung
Politische Bildung erfüllt eine öffentliche Aufgabe, die für die Akzeptanz, Stabilität und Zukunft des politisch-gesellschaftlichen Systems von grundlegender Bedeutung ist. Sie trägt dazu bei, dass die Verfassung sowie die demokratischen und rechtsstaatlichen Strukturen der Bundesrepublik mit Leben gefüllt werden. Politische Bildung muss ein fester Bestandteil der politischen Kultur sein und benötigt dauerhafte sowie verlässliche
Rahmenbedingungen. Sie sollte nicht als ‚Feuerwehr‘ bei der Gefährdung von Demokratie
verstanden werden.
3. Demokratie braucht Orientierung
Politische Bildung vermittelt demokratische Werte, Prinzipien und Ideen. Sie weist auf drängende politische Gestaltungsaufgaben hin, informiert über komplexe Strukturen, Prozesse und Interessen und ermöglicht Orientierung und Handlungsfähigkeit.
4. Demokratie braucht Begegnung
Politische Bildung wirkt der Kluft zwischen Gesellschaft und Politik entgegen. Im direkten
Kontakt zu Politikerinnen und Politikern schafft politische Bildung eine Brücke, die die
mediale Vermittlung von Politik ergänzt. Lebensnahe und praktisch erfahrbare politische
Bildung trägt zum Zusammenhalt unseres Gemeinwesens und zum Gelingen der Demokratie bei.
5. Demokratie braucht Vielfalt
Politische Bildung vermittelt demokratische Grundwerte wie Verantwortungsübernahme für sich und andere, gesellschaftliche Solidarität, Fairness, Zivilcourage und Toleranz gegenüber anderen Meinungen. Sie spiegelt die Pluralität gesellschaftlicher Strömungen und politischer Meinungen wider und vermittelt Prinzipien einer demokratischen Streitkultur.
6. Demokratie braucht Engagement
Politische Bildung ermutigt und befähigt Bürgerinnen und Bürger zu politischem und bürgerschaftlichem Engagement in Parteien, Vereinen, Verbänden und Initiativen. Sie fördert Beteiligung und stärkt die Zivilgesellschaft.
7. Demokratie braucht öffentlichen Diskurs
Politische Bildung ermöglicht öffentlichen Diskurs zwischen Politik, Wissenschaft und Gesellschaft über die Weiterentwicklung unserer Demokratie und die Gestaltung unseres Gemeinwesens im digitalen Zeitalter.
8. Demokratie ist keine Insel
Politische Bildung ist auch international. Sie schafft Verständnis für die Herausforderungen der Europäischen Integration und erklärt globale Zusammenhänge.
Sie baut Brücken zwischen Baden-Württemberg, Deutschland und der Welt.
9. Demokratie ist Dialog
Politische Bildung informiert über Länder und Kulturen. Sie schärft den Blick für Menschenrechte und fördert interkulturellen Dialog. Das „Sich-hinaus- Begeben“ erweitert die Perspektive auf die Stärken und Schwächen unserer Gesellschaftsordnung.
10. Demokratie braucht … uns alle!
Politische Bildung spricht alle Menschen unabhängig von Herkunft, Bildungsstand, politischer Haltung, Geschlecht, sexueller Identität, Religion oder Alter an. Sie fördert die Teilhabe aller und trägt zur demokratischen Willensbildung bei.