Sabine Groß, Jahrgang 1973, ist seit dem Sommer 2021 Bürgermeisterin von Offenbach. Hier kommentiert die Grüne das gute Abschneiden ihrer Heimatstadt im Großstädteranking.
Offenbach ist auf Platz 1 des Rankings. Wie hat Ihre Stadt das geschafft?
Sabine Groß: Das Kommunalwahlrecht in Hessen sieht die Möglichkeit zum Kumulieren und Panaschieren vor. Dass im Offenbacher Stadtparlament viele Frauen vertreten sind, zeigt also, dass dies ein expliziter Wunsch der Wählerinnen und Wähler ist. Und es gibt viele Programme zur Förderung von Geschlechtergerechtigkeit. Die Stadtverordnetenversammlung hat zum Beispiel gerade ein neues politisches Mentoring-Programm speziell für Mädchen und junge Frauen beschlossen, um sie für (Kommunal-)Politik zu begeistern und sie dabei mit den jungen weiblichen Stadtverordneten zu vernetzen. Politische Beteiligung von Frauen und Mädchen wird in Offenbach also bereits früh praktiziert. Und das auch schon länger. Wir fördern und unterstützen seit 1998 ein Kinder- und Jugendparlament. Da sind viele Mädchen und junge Frauen aktiv. Und gezielte Unterstützung von Mädchen und Frauen steht auch im Jugendamt weit oben auf der Agenda. Nahezu jede städtische Jugendeinrichtung in Offenbach hat spezielle Angebote für Mädchen. Eine beispielhafte Einrichtung ist da etwa unsere „Mädchen-Etage“, die seit 2001 ausschließlich für Mädchen und junge Frauen offen steht. Dort gibt es Beratungs-, Kultur-, Bildungs- und Freizeitangebote, so werden wichtige Freiräume zur eigenen Entwicklung jenseits von Rollenklischees geschaffen. Wichtig ist da auch der Girls’ Day, zu dem wir in der Stadtverwaltung und auch in meinem Dezernat regelmäßig einladen. Es liegt mir am Herzen, Schülerinnen eine Vorstellung davon zu vermitteln, was es bedeutet, kommunalpolitisch etwas zu bewegen und Verantwortung zu übernehmen.
Wie sind Sie denn Politikerin geworden? Hatten Sie weibliche Vorbilder?
Ein weibliches Vorbild hatte ich nicht direkt. Aber schon als Jugendliche habe ich mich für Politik interessiert, konkret hat mich die Änderung des Asylrechts im Grundgesetz interessiert. Das war auch der Grund, später Jura zu studieren. Denn das Thema hat mir vor Augen geführt, wie wirkmächtig gesetzliche Änderungen sind und was Politik alles erreichen kann. Nachdem ich dann rund zehn Jahre in der Verwaltung gearbeitet habe, bin ich in die Kommunalpolitik gewechselt. Daran reizt mich vor allem der Mix aus Gestaltungsmöglichkeiten bei konkreten Projekten und auch bei strategischen Fragestellungen.
Was hält Frauen Ihrer Meinung nach aus der Politik heraus?
Die Antwort hat wohl viele Facetten. Ein Grund dürfte sicher in den weiter bestehenden Geschlechterstereotypen liegen. Frauen sind ja bis heute oft stärker als Männer in Care-Arbeit innerhalb der Familie eingebunden. Ein anderer Grund: Wenn Frauen Führungsaufgaben übernehmen – in der Politik, aber auch in anderen Bereichen – wird oft gefragt „Traust du dir das wirklich zu? Wird denn deine Familie nicht darunter leiden, wenn du so viel arbeitest?“. Davon lassen sich einige Frauen verunsichern.
Wie kann man diese Frauen fördern?
Wichtig ist, die Aufteilung der Care-Arbeit zwischen den Geschlechtern weiter zu hinterfragen. Mädchen und junge Frauen frühzeitig zu ermuntern und zu unterstützen, ihre Interessen in politischen Strukturen durchzusetzen, ist ebenso relevant. Mehr Frauen in hohen politischen Führungsämtern zu sehen ist sicher hilfreich, damit es selbstverständlicher wird und dadurch dann auch bessere Netzwerke für Frauen entstehen können.
Erleben Sie in Ihrem beruflichen Alltag denn Diskriminierung?
Eine persönliche Diskriminierung erlebe ich nicht. Im politischen Kontext wird mitunter mit harten Bandagen gekämpft. Das trifft Frauen und Männer. Als Frau sollte man sich der unterschiedlichen Wahrnehmung von bestimmtem Verhalten und von Sprache bewusst sein. Wenn beispielsweise ein Mann lauter wird und sich vehement für etwas einsetzt, wird das meist als Stärke interpretiert. Frauen wird das eher negativ ausgelegt und als Schwäche und Unsicherheit verstanden. Und teilweise wird offen und härter kritisiert, als es bei männlichen Kollegen üblich ist.
Haben Sie eigentlich einen Politikerinnenstammtisch in Offenbach?
Es gibt Stammtische der einzelnen Parteien. Ein Politikerinnenstammtisch ist eine gute Anregung. Denn die Förderung von Frauen durch Frauen halte ich für wirklich wichtig, auch über Parteigrenzen hinweg.
Was könnte denn in Offenbach trotzdem noch besser laufen?
Viele Frauen engagieren sich derzeit außerhalb politischer Gremien für politische Ziele. Es wäre wichtig, mehr von ihnen in die politischen Entscheidungsprozesse zu holen.
Das Gespräch führte Laura Ewert.
Dieser Artikel erschien zuerst hier: www.boell.de