Dr. Magdalena Mittermeier (LMU) begibt sich für uns auf eine Klimazeitreise – 30 Jahre in die Zukunft. Wie könnte unsere Welt aussehen, wenn wir die Klimaziele umsetzen – und wie, wenn nicht? Wir sind an einem Scheidepunkt und man wird sich, so oder so, an unserer heutiges Handeln in Zukunft erinnern.
Ich habe einen kleinen Sohn. Er ist gerade neun Monate alt und fängt an zu krabbeln. Er wacht morgens mit einem Grinsen im Gesicht auf und freut sich auf einen neuen Tag. Einen neuen Tag, an dem er die Welt erkunden kann: sich am Blumentopf hochziehen und mit den Händen in der Erde wühlen, zum ersten Mal eine Kirsche essen, testen wie viel Krach er machen kann, wenn er mit dem Kochlöffel auf die Fliesen unserer Küche schlägt und so weiter und so fort, bis ich ihn abends ins Bett bringe und am nächsten Morgen zum Glück ein neuer Tag beginnt. Seit unser Sohn bei uns ist, habe ich nicht nur mit neuer Qualität gelernt, was Lebensfreude ist und was es bedeutet vollkommen im Moment zu leben. Ich blicke auch auf meine Arbeit als Klimaforscherin mit anderen Augen.
Warming Stripes für die Lebensspanne heutiger Babys
Es gelingt mir nicht mehr zu verdrängen, dass es bei den Zukunftsszenarien des Weltklimarates (Intergovernmental Panel on Climate Change; IPCC) um die Zukunft meines Sohnes und zum Großteil hoffentlich um unsere gemeinsame Zukunft geht. Die Graphik aus dem neuesten IPCC-Sachstandsbericht zeigt das Ausmaß, zu dem gegenwärtige und zukünftige Generationen eine andere, heißere Welt erleben werden, abhängig von den Entscheidungen die Jetzt und in der nahen Zukunft getroffen werden. Oben in der Graphik ist ein waagrechtes Band mit warming stripes dargestellt. Jeder vertikale Streifen zeigt die globale Temperaturveränderung gegenüber dem vorindustriellen Klima von 1850 bis 1900. Mit einem schwarzen Strich ist das Jahr 2020 markiert. Rechts davon gibt es fünf verschiedene Bänder mit warming stripes. Jedes steht für ein anderes IPCC-Szenario. Im untersten Szenario very low wird das Pariser Klimaschutzabkommen eingehalten und die Erderwärmung auf „deutlich unter 2°C, möglichst 1,5°C begrenzt“ (UNFCCC, 2015). Das mittlere Szenario intermediate beschreibt eine Erderwärmung von knapp 3°C bis Ende des Jahrhunderts. Das gilt unter Fortschreibung der aktuellen globalen Klimapolitik als das wahrscheinlichste Szenario (Climate Action Tracker, 2023). Die beiden oberen Bänder stehen für eine stärkere Erderwärmung von mehr als +4°C gegen Ende des Jahrhunderts. Es versteht sich von selbst, dass die Erderwärmung dann nicht im Jahr 2100 plötzlich endet: vielmehr verändert sich im intermediate und den beiden oberen Szenarien das Klima und das Leben auf der Erde für Tausende von Jahren und für entsprechend viele kommenden Generationen von 9-Monate alten Babys.
Klima der Generationen
Dass es um nicht weniger als unsere Kinder geht, ist im unteren Teil der Abbildung dargestellt. Dort sind nämlich Silhouetten von Babys, Kindern, jungen Erwachsenen, Erwachsenen und älteren Menschen abgebildet. Ein Mensch, der 1950 geboren wurde (also in der Generation der Baby-Boomer, zu der auch meine Eltern gehören) hat einen Großteil seines Lebens in einem beige-farbkodierten, für unsere Region durchschnittlichem Klima verbracht. In den letzten Jahrzehnten dann mit einem halben Grad erhöhten Temperaturen bis sich die Lufttemperaturen der Erde in den frühen 2020ern im globalen Mittel bereits um 1,2°C erhöht hat. Für Menschen im Alter kann das z. B. eine große Belastung an den häufigeren Hitzetagen bedeuten. Ein Mensch, der 1980 geboren ist und sich somit in meiner Generation der Millennials befindet, verbringt bereits die Hälfte seiner Lebenszeit in einer Welt mit einem Klimawandel von > 1°C. Ein Kind, das 2020 zur Welt kam (oder wie mein Sohn 2022) ist in seinem ganzen Leben dem Klimawandel ausgesetzt. Die entscheidende Frage ist nun: welchem Grad an Klimawandel? Also welchem der fünf Balken? Und genau darüber entscheidet die heute lebende Menschheit Jetzt und in den nächsten Jahren (IPCC, 2023) durch Handeln und Entscheiden von Gesellschaft und Politik, die in Treibhausgasemissionen münden. Unsere Entscheidungen werden folglich nicht in Beton, sondern in Treibhausgasemissionen gegossen. Und diese sind deutlich langlebiger. Mit den Konsequenzen dieser Entscheidung müssen dann alle Menschen auf unserem Globus sowie die Menschen hunderter zukünftigen Generationen leben.
Entscheidungen im Jetzt und der nahen Zukunft geben den Ausschlag
In 30 Jahren, um das Jahr 2050 herum, wird die schwerwiegende Entscheidung, mit welcher Durchschnittstemperatur der fünf Szenarien sich die Erde weiterdrehen wird, schleichend getroffen worden sein. Denn auch Abwarten und Nicht-Handeln ist eine Entscheidung. Je nachdem wie stark wir die Treibhausgasemissionen bis dahin reduzieren konnten, werden wir uns auf einem guten Weg befinden den Klimawandel nachhaltig zu begrenzen oder die Niedrigemissionsszenarien werden unwiderruflich passé sein (IPCC, 2023). Die implizite Entscheidung der nächsten Jahre ist dann nicht mehr rückgängig zu machen. Mein Sohn wird in meinem Alter nicht mehr die Möglichkeit haben, die Weichen in Richtung warme oder heiße Zukunft zu stellen.
Was werde ich meinem Sohn später über das Leben und die Gesellschaft von Heute erzählen – der Zeit, in der der Klimawandel noch gebremst werden konnte?
Klimazeitreise 30 Jahre in die Zukunft: Intermediate-Szenario
Um mir das vorstellen zu können, mache ich in Gedanken eine Zeitreise ins Jahr 2053 – 30 Jahre in die Zukunft. Stellen wir uns vor, wir schreiben das Jahr 2053. Die Künstliche Intelligenz ist stark fortgeschritten. Jeder von uns hat mehrere Roboter zu Hause, die uns den Alltag erleichtern. SpaceX schickt die ersten Menschen auf den Mars. Und wir befinden uns im Intermediate-Szenario. Die globalen Treibhausgasemissionen stagnieren global noch immer auf dem Niveau der 2020er Jahre. Die globale Lufttemperatur der Erde liegt +2°C vor dem vorindustriellen Niveau (+2°C im Zeitraum 2041-2060; IPCC, 2023) und sie wird weiter steigen. Es ist deshalb bereits jetzt klar, dass das Pariser Klimaschutzabkommen, die Erderwärmung gegen Ende des Jahrhunderts auf deutlich unter 2°C zu begrenzen, krachend verfehlt wurde.
Mein Sohn ist 30 Jahre alt – so alt wie ich heute. Und ich bin 60 – so alt wie meine Mutter heute. Welche Gespräche werden wir führen?
Vielleicht wird mein Sohn mich fragen, wie die Stimmung in der Gesellschaft so war in den frühen 2020er Jahren. Vielleicht wird er vor allen Dingen nach dem „Warum“ fragen. „Warum habt ihr nicht mehr für Klimaschutz getan, als es noch die Möglichkeit dazu gab?“. Was soll ich ihm dann sagen? Vielleicht zeige ich ihm alte Zeitungsartikel aus dem Jahr 2023, die mir ein Chatbot zu dem Thema heraussucht, um einen Schnappschuss auf die Gesellschaft dieser Zeit in unserem Land zu vermitteln:
Klimazeitreise 30 Jahre in die Zukunft: Low-Szenario
Nun geben wir dem Gedankenspiel eine entscheidende Wendung und springen in ein Paralleluniversum mit einem anderen Szenario. Wir schreiben erneut das Jahr 2053. Wir nutzen wieder AI und Roboter ganz selbstverständlich in unserem Alltag, aber diesmal befinden wir uns im Low-Szenario. Und sind auf dem besten Weg die Erderwärmung langfristig auf deutlich unter 2°C zu begrenzen. Wir haben es geschafft! Ich kann die Erleichterung förmlich spüren.
Diesmal stellt mir mein Sohn andere Fragen. Er fragt nach dem „Wie?“. „Wie habt ihr die Kurve gekratzt?“.
Wieder sucht mir ein Chatbot Zeitungsartikel aus dem Jahr 2023 heraus, die einen Schnappschuss aus dieser Zeit vermitteln. Nur sind es diesmal positive Nachrichten zum Klimaschutz, die es damals auch gab, aber die unter den vielen Negativschlagzeilen häufig untergegangen sind:
In diesem Low-Szenario hat Deutschland seine Klimaziele eingehalten und die Treibhausgasreduktion von 65 % bis 2030 gegenüber 1990 umgesetzt. Seit 2045 ist Deutschland klimaneutral. So wie es im Klimaschutzgesetz vom Jahr 2021 verankert war (Bundesregierung, 2022). Deutschland hält damit seinen Beitrag, die Erderwärmung auf unter 2°C zu begrenzen, ein. Die EU wurde „Fit for 55“ und ist wie 2021 beschlossen seit 2050 klimaneutral (European Council, 2023). Und neben ambitioniertem Klimaschutz in europäischen Ländern haben unter anderem auch die USA und China massiv auf Klimaschutz gesetzt. Natürlich ist auch in diesem Szenario nicht alles happy ever after. Wir spüren bereits gravierende Auswirkungen der bereits geschehenen Erderwärmung von mehr als 1,5°C und es sind weiterhin deutliche Anstrengungen von Nöten, um gegen 2070 global klimaneutral zu werden und die Erderwärmung langfristig zu begrenzen (IPCC AR6, SPM).
Zurück ins Hier und Jetzt
Zurück ins Hier und Jetzt stehen wir an einer entscheidenden globalen Weggabelung.
Je nachdem, wie wir die schleichenden, oft impliziten Entscheidungen zum Klimaschutz in den nächsten Jahren treffen oder eben nicht treffen, werden wir es in 30 Jahren geschafft haben, die Welt zumindest auf einen guten Pfad Richtung Stabilisierung des Klimas gebracht, oder unseren Kindern und sämtlichen zukünftigen Generationen die Möglichkeit dazu genommen zu haben. So oder so: wir schreiben massiv Geschichte! Denn eines ist sicher: man wird sich an uns erinnern.
Über die Autorin des Artikels:
Quellen:
UNFCCC (2015): Adoption of the paris agreement. report no. fccc/cp/2015/l.9/rev.1. URL: http://unfccc.int/resource/docs/2015/cop21/eng/l09r01.pdf
Bundesregierung (2022): Klimaschutzgesetz. Generationenvertrag für das Klima. URL: https://www.bundesregierung.de/breg-de/schwerpunkte/klimaschutz/klimaschutzgesetz-2021-1913672 (Stand: 07.11.2022).
European Council (2023): Fit for 55. URL: https://www.consilium.europa.eu/en/policies/green-deal/fit-for-55-the-eu-plan-for-a-green-transition/ (Stand: 25.07.2023).
Climate Action Tracker (2023): The CAT Thermometer. URL: https://climateactiontracker.org/global/cat-thermometer/ (Stand: 25.07.2023).
IPCC, 2023: Summary for Policymakers. In: Climate Change 2023: Synthesis Report. Contribution of Working Groups I, II and III to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [Core Writing Team, H. Lee and J. Romero (eds.)]. IPCC, Geneva, Switzerland, pp. 1-34, doi: 10.59327/IPCC/AR6-9789291691647.001
Dieser Artikel stammt von Dr. Magdalena Mittermeier. Eine Änderung durch die Petra-Kelly-Stiftung oder Andere ist nicht erfolgt. Urheberrechtslizenz: Alle Rechte vorbehalten
Dieser Artikel erschien zuerst hier: petrakellystiftung.de