Die Privatwirtschaft schafft es nicht allein

Meinungsbeitrag

Ökonom Jens Südekum plädiert für einen kreditfinanzierten staatlichen Transformationsfonds, um Zukunftsinvestitionen zu bezahlen.

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Die deutsche Schuldenbremse ist „logisch inkonsequent“. Diese Position vertrat Ökonom Jens Südekum bei der Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung über „Nachhaltige Finanzpolitik“ am 15. Juni 2021. Im Bemühen, künftigen Generationen ungerechtfertigte finanzielle Belastungen zu ersparen, würden diese gerade verursacht, erklärte der Professor für internationale Volkswirtschaftslehre der Uni Düsseldorf.

Südekum ist einer der Autor:innen des Berichts „Nachhaltige Finanzpolitik – wie man in die Zukunft investiert“, kürzlich vorgelegt vom finanzpolitischen Arbeitskreis der Heinrich-Böll-Stiftung. Diesem gehören unter anderen die Bundestagsabgeordneten Anja Hajduk und Franziska Brantner, die Berliner Wirtschaftssenatorin Ramona Pop, der Finanzwissenschaftler Michael Thöne und Ute Brümmer, Referentin für Wirtschaft und Finanzen in der Heinrich-Böll-Stiftung, an.

Südekum erläuterte die drei Prinzipien, die dem Bericht zugrunde liegen. Die Finanzpolitik der vier föderalen Ebenen EU, Bund, Länder und Kommunen müsse „solide, investiv und grün“ sein.

In der Säule der Solidität stecken die konsumptiven Ausgaben etwa für den öffentlichen Dienst, das Militär und die soziale Sicherung. „Es wäre keine gute Idee, diese mit Schulden zu finanzieren“, sagte Südekum, „laufende Kosten müssen aus laufenden Einnahmen bestritten werden“. Er plädierte damit für eine „strukturelle schwarze Null“, die aber situationsbezogene Ausnahmen beinhalten müsse. Auch die heutige im Grundgesetz geregelte Schuldenbremse kennt die Möglichkeit der vorübergehenden Abweichung vom Null-Schulden-Pfad im Falle von Wirtschaftskrisen, exogenen Schocks, Naturkatastrophen oder Pandemien wie momentan wegen Corona.

Zur investiven Säule sagte der Ökonom: „Kreditfinanzierung macht dabei absolut Sinn.“ Sein Argument: Die heutige Schuldenbremse verhindere zurecht, dass Politiker:innen Aufgaben der Gegenwart aus Mitteln der Zukunft finanzierten. Eine zu hohe vererbte Schuldenlast kann den finanziellen Handlungsspielraum späterer Generationen beschränken. Allerdings beschneide die Schuldenbremse in ihrer heutigen Konstruktion auch massiv die Möglichkeit, in der Gegenwart Ausgaben für die Zukunft zu tätigen, etwa gegen den Klimawandel. Dem wohne die Gefahr inne, den Handlungsspielraum künftiger Generationen durch heutige Tatenlosigkeit zu verringern. „Wir brauchen eine goldene Regel“, so Südekum, Zukunft solle aus Zukunft finanziert werden. Heißt: Kreditfinanzierte Politik kann sinnvoll sein, wenn sie künftigem Wohlstand dient. Heutige Schulden, sowie deren spätere Verzinsung und eventuelle Tilgung, reduzieren dann zwar die finanziellen Möglichkeiten der Nachkommen, jedoch auf generationengerechte Weise. 

Mit der grünen Transformation zur dekarbonisierten Wirtschaft schließlich komme auf Deutschland und Europa „während der nächsten zehn Jahre eine einmalige Menschheitsaufgabe“ zu, meinte der Düsseldorfer Volkswirt. Das Volumen zusätzlich notwendiger Investitionen in Europa bezifferte er in diesem Zeitraum auf eine Größenordnung von 2,6 Billionen Euro (2.600 Milliarden Euro). Zum Vergleich: Das ist etwa ein Fünftel des jährlichen Bruttoinlandsprodukts der EU. Diese Summen müssten sowohl aus öffentlichen, wie auch privaten Quellen finanziert werden, so Südekum. Wegen des vermutlich schnell steigenden Kohlendioxid-Preises seien die Unternehmen gezwungen, die Transformation mit hohem Tempo zu bewältigen. Und das, so Südekum, könne zu einem „Kostenschock“ für die Privatwirtschaft führen – und sie möglicherweise überfordern.

„Die Privatfirmen können das nicht einfach mal alleine stemmen“, vermutete Südekum. Auch der Bankensektor sei dem möglicherweise nicht gewachsen, berichtete er unter Bezugnahme auf Deutsche Bank-Vorstand Christian Sewing. Dessen Einschätzung zufolge sieht das Institut Probleme voraus, das für die Dekarbonisierung nötige gigantische Kapital in derart kurzen Zeiträumen zu beschaffen. Möglicherweise könnten Unternehmen deshalb auch nicht ausreichend mit Krediten unterstützt werden. Grund: In vielen Fällen seien die technologischen Pfade und Geschäftsmodelle der dekarbonisierten Wirtschaft noch unklar. Die damit verbundene Unsicherheit beschränke die Finanzierungsmöglichkeiten durch die Institute.

Aus dieser Lagebeschreibung leitete Südekum sein Plädoyer für „staatliche Transformationsfonds“ ab. Als Finanzierungsmechanismus neben den laufenden Haushalten sollten diese die Mittel für Zukunftsinvestitionen aufbringen – per Kreditaufnahme am Kapitalmarkt. Diese Konstruktion müsse aber zunächst einmal auf EU-Ebene geregelt und ermöglicht werden. Dabei solle der Staat den Privaten nicht die unternehmerische Entscheidung über Technologiepfade und Geschäftsmodelle abnehmen. Vorstellbar sei es, so Südekum, dass beispielsweise nationale Institute wie die öffentliche Förderbank KfW einen Teil des Risikos von Projekten übernehme, die Unternehmen beantragten.

Eine Gefahr für die öffentlichen Finanzen sah Südekum vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Lage nicht. „Die Zins-Steuer-Quote ist auf dem niedrigsten Stand seit 40 Jahren.“ Soll heißen: Die Kosten öffentlicher Schulden fallen gering aus, während die Finanzkraft des deutschen Staates nach zehn Jahren Aufschwung hoch ist. Ein gewisser Zinsanstieg sei sogar erwünscht, dieser werde aber langsam verlaufen. Deshalb sprach sich Südekum dagegen aus, den Transformationsfonds nach oben zu begrenzen. Es solle finanziert werden, was sinnvoll erscheine.