Mehr als zwei Jahre nach Inkrafttreten des gesetzlichen Verbots von Plastiktüten in Marokko erweisen sich die Konsumgewohnheiten als hartnäckig. Illegale Produktionsstätten sind an die Stelle ordnungsgemäß gemeldeter Betriebe getreten.
Dieser Beitrag ist Teil unseres Dossiers "Clean it up! Müll in Nahost und Nordafrika".
Samstag um 9:30 Uhr auf dem Bab-Marrakech-Markt in der Altstadt von Casablanca: Dutzende von Einkäufern sind hier an diesem freien Tag unterwegs. Der Markt ist in zwei große Karrees aufgeteilt, in denen jeweils gut zwanzig Marktstände zu finden sind, Obst- und Gemüsehändler auf der einen, Fischhändler und Fleischverkäufer auf der anderen Seite. In der Mitte ein Brunnen, der allen gemeinsam zugänglich ist. Entlang der Umfassungsmauer des mehr als 3.000 Quadratmeter großen Marktes haben sich rund vierzig kleinere Läden angesiedelt, die eine Vielzahl von Waren feilbieten: Oliven und eingelegte Zitronen, Gewürze, Haushaltswaren, Speise- und Duftöle, Honig und vieles mehr.
Wie in jeder Woche, so herrscht auch heute geschäftiges Treiben. Nur wenige Kunden tragen Jutetaschen oder die traditionellen Körbe, für die so massiv geworben wurde während der von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Behörden im Jahr 2016 organisierten Kampagne „zéro Mika“ – keine Plastiktüten. Ganz im Gegenteil: Mehr denn je werden Plastiktüten genutzt, um die Einkäufe nach Hause zu tragen. Ein kurzer Rundgang über die verschiedenen Märkte oder durch die traditionellen Souks von Casablanca bestätigt diesen Eindruck. Die Plastiktüte wird für Waren jeglicher Art von den Händlern systematisch angeboten.
Massenhafter Konsum
In allen Größen und Farben erhältlich, haben die Plastiktüten ihren festen Platz innerhalb der Konsumgewohnheiten der Einwohner Casablancas zurückerobert. Längliche hauchdünne Tüten für Gewürze, feste Klarsichtbeutel für Fisch, Obst und Gemüse, blass rote oder blaugrüne Plastikbeutel für den Großeinkauf oder um alles zusammenzupacken. Genau die gleichen Verhältnisse, wie es sie schon einmal gab, bevor das im Juli 2016 in Kraft getretene Gesetz Nr. 77-15 Herstellung, Export, Import und Gebrauch von Plastiktüten untersagte.
Taschen aus gewebtem Polypropylen (ein Kunststoff), die als Ersatz für Plastiktüten dienen sollen, werden denjenigen zum Kauf angeboten, die keine Plastiktüten wollen. „Es hängt von der Größe ab. Wir verkaufen sie ab 1 Dirham. Aber nehmen Sie doch eine Plastiktüte, die gibt es gratis“, ruft Hamid, ein auf dem Bab-Marrakech-Markt anzutreffender Gemüsehändler. Tatsächlich greift der Gebrauch von Plastiktüten erneut um sich, nun da das Öko-Fieber, von dem Marokko anlässlich des Umweltgipfels COP22 in Marrakesch im November 2016 ergriffen wurde, wieder nachgelassen hat.
Damals wurde in Marokko der Beschluss gefasst, den Gebrauch von Plastiktüten zu verbieten. Mit dieser Maßnahme reihte sich das Land ein in den globalen Kampf gegen Umweltverschmutzung durch Plastikmüll. Man muss wissen, dass jeder Marokkaner im Durchschnitt 900 Plastiktüten pro Jahr verwendet, in der Summe sind das 26 Milliarden Plastiktüten jährlich. Mit dieser Nutzungsquote liegt das Königreich Marokko hinter den Vereinigten Staaten weltweit auf Platz zwei.
Ein Gesetz ohne Wirkung?
Welche Folgen hat also dieses Gesetz, das wochen- und monatelang Gesprächsthema in der Presse war? Allenfalls minimale, soweit wir dies beobachten konnten – aber auch nach Einschätzung der von uns befragten Experten. Das strikte Verbot der Verwendung von Plastiktüten wird de facto nur im modernen Vertriebsnetz konsequent eingehalten, das heißt in den Supermarkt-Ketten, die jedoch nur 15 Prozent des marokkanischen Einzelhandels ausmachen. Auf den Märkten und in den kleinen Lebensmittelläden in den Stadtvierteln ist der ursprüngliche Trend fast zum Erliegen gekommen.
Eine Ende Juni 2018 von der Organisation Zero Zbel (Arabisch für „Null Abfall“) veröffentlichte Studie bestärkt diesen Eindruck. Die vom UN-Umweltprogramm unterstützte Studie wurde in drei marokkanischen Großstädten durchgeführt, darunter Casablanca, der Wirtschaftsmetropole des Landes. Die Studie hat gezeigt, dass 65 Prozent der befragten Kunden bei jedem ihrer Einkäufe zwischen fünf und fünfzehn Plastiktüten verwenden. Eine Rückkehr zu den alten Gewohnheiten. Und das trotz der Sanktionen, die von Gesetzes wegen vorgesehen sind.
Nominell kann ein Verstoß gegen das Gesetz Geldstrafen von bis zu einer Million Dirham (100.000 Euro) zur Folge haben. Für die Herstellung von Plastiktüten werden Bußgelder von 20.000 bis 100.000 Euro verhängt. Für die Vermarktung von Plastiktüten liegen die Geldstrafen zwischen 1.000 und 50.000 Euro. Die Verwendung von Plastiktüten durch Händler wird mit Strafen in Höhe von 2.000 bis 10.000 Euro geahndet. Als gesetzliche Regelung recht repressiv, wenn man bedenkt, dass das BIP pro Kopf in Marokko nur bei knapp 3.000 Euro im Jahr liegt.
Einer Mitteilung des zuständigen Ministeriums zufolge wurden in den zwei Jahren seit Anwendung des Gesetzes 757 Tonnen Plastiktüten beschlagnahmt. Dennoch ist die Lage nahezu unverändert, was den Generalstaatsanwalt, Mohamed Abdennabaoui, im September 2018 zu dem Aufruf veranlasst hat, die „Ermittlung von Verstößen gegen das Gesetz Nr. 77-15 zu beschleunigen“, die „mit den Ermittlungen und der Ausstellung von Bußgeldbescheiden beauftragten Dienststellen tatkräftig zu unterstützen“ und „dazu überzugehen, Werkzeuge, Maschinen und sonstige delikttaugliche Gegenstände zu beschlagnahmen.“
Attraktiver Markt
Auch wenn es heutzutage schwierig sei, Polyethylen legal einzuführen, da man eine Sonder-genehmigung des Industrieministeriums benötige, erläutert Aziz, Inhaber eines der größten Fertigungsbetriebe für Verpackungsmaterial in Marokko, laufe die Produktion dennoch weiter, da sie nur schwer zu kontrollieren sei.
„Plastik ist überall und der Bestimmungsort von Importware lässt sich nicht kontrollieren. Außerdem ist der Import von Extrusionsmaschinen für die Herstellung von Plastiktüten günstig und leicht durchzuführen“, fügt Aziz hinzu.
In der Tat sind kleinere Maschinen schon für 20.000 bis 30.000 Euro zu haben. Für ihren Betrieb braucht man Werkshallen von weniger als 200 m² Größe mit einer Deckenhöhe von 12 Metern. In illegalen Werkstätten können bis zu vier Personen beschäftigt werden. Dem Produktionsverbot zum Trotz haben die geringen Betriebsinvestitionen und das Gewinnstreben zu einer wachsenden Informalisierung der Branche geführt. Umso mehr, als „die vorhandenen Maschinen auf dem regulären Markt weiterverkauft werden konnten, weil die Behörden sie nicht beschlagnahmt hatten, was den Marktzugang noch günstiger werden ließ“, betont der von uns befragte Firmeninhaber, der es vorzieht, anonym zu bleiben. Er sagt:
„Kleinere Betriebseinheiten können 50 Tonnen pro Monat produzieren, während Großbetriebe bis zu 300 Tonnen schaffen. Die Kosten für den Rohstoff belaufen sich auf 1.200 bis 1.300 Euro pro Tonne. Vor Inkrafttreten des Verbots lag der Verkaufspreis bei 1.700 bis 1.800 Euro. Heute, da die gesamte Produktion auf dem Schwarzmarkt vertrieben wird, zahlt man das Doppelte. Das Verbot hat den Markt interessanter gemacht.“
Nach wie vor fehlen geeignete Ersatzprodukte, so dass angesichts der weitgehend verinnerlichten Konsumgewohnheiten von Händlern und Käufern das Gesetz „Zéro Mika“ den Markt nur noch intransparenter, die Profitgier nur noch stärker gemacht hat. Beides zusammengenommen verstärkt wiederum die illegale Fertigung. Im Juli 2018 stellte das Industrieministerium anlässlich des zweijährigen Bestehens des Gesetzes eine Gesetzesnovelle in Aussicht.
Es ist jedoch keineswegs garantiert, dass die Neuregelung der Situation besser gerecht wird, wenn sie erneut nur auf Repression setzt, die Branchenakteure nicht einbezieht und keinen pädagogisch überzeugenden und progressiveren Verbotsansatz wählt – mangels gleichwertiger Produkte sowohl unter dem Aspekt der Nutzungsgewohnheiten als auch der Kosten wird der Markt erneut auf Plastik zurückgreifen, denn es besteht ein echter Bedarf.
Übersetzt aus dem Französischen von Oliver Groß-Herdegen. Dieser Beitrag ist Teil unseres Dossiers "Clean it up! Müll in Nahost und Nordafrika".