Afrika: Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf Ernährung und Landwirtschaft

Interview

Wie verändert Covid-19 die Bedingungen, unter denen Nahrungsmittel produziert und gehandelt werden? Wir schauen Ernährungssysteme in Afrika genauer an. Unsere senegalesische Kollegin Fatma Sylla befragte den Entwicklungsexperten Thierno Sall.

Frauen in ländlichen Gebieten des Senegal­­­­­­ müssen gestärkt werden.

Der größte Teil der landwirtschaftlichen Produktion in Afrika wird von Frauen geleistet. Trifft das auch auf den Senegal zu?

Senegalesische Frauen in ländlichen Gebieten spielen eine zentrale Rolle in der landwirtschaftlichen Produktion. Sie bauen einen großen Teil der Nahrungsmittel an, die für den Eigenverbrauch bestimmt sind. Aber die landwirtschaftlichen Betriebe werden wiederum hauptsächlich von Männern geführt. Das liegt daran, dass Frauen nur begrenzten Zugang zu Land oder Saatgut haben - und an gesellschaftlichen Normen, die die Chancen von Frauen systematisch einschränken. Es gibt zwar Frauen, die Familienbetriebe führen, doch die überwiegende Mehrheit der Frauen auf dem Land hat nicht die Mittel, um große landwirtschaftliche Flächen zu bestellen.

Ein Bericht der UN-Landwirtschaftsorganisation aus dem Jahr 2019 zeigt, dass im Jahr 2015 80,7% der landwirtschaftlichen Betriebe von Männern und nur 19,3% der Betriebe von Frauen geführt wurden. Im Jahr 2014 war die Verteilung noch ungerechter: da waren nur 16,4% der Landwirtschaftsbetriebe in Frauenhand. Die Zahlen deuten also auf eine leichte Verbesserung der Situation für Frauen hin.

Wie stand es Ende 2019 um Senegals Lebensmittelproduktion?

Unsere subsistenzwirtschaftlichen und familiengeführten Betriebe sind seit über fünfzig Jahren stark auf die Cash Crops (Exportfrüchte) Erdnüsse und Baumwolle ausgerichtet. Der Erdnussanbau spielt beispielsweise seit der Kolonialisierung eine wichtige Rolle im senegalesischen Agrarsektor. Unsere landwirtschaftliche Produktion ist in hohem Maße von Niederschlägen abhängig. Aber durch den vermehrten Einsatz von Bewässerungssystemen, besonders im Flusstal des Senegal im Norden des Landes, konnten die Reiserträge gesteigert werden. Auch Hirse, traditionell im Regenfeldbau kultiviert, wird zunehmend für den Eigenbedarf und zum Verkauf produziert, nachdem das Getreide in der Vergangenheit stark an Bedeutung verloren hatte.

Die Gartenbauwirtschaft konzentriert sich hauptsächlich auf den Küstenstreifen der Niayes und das Tal des Senegal-Flusses, zwei Gebiete mit hohem agrarökologischem Potenzial. Das Niayes-Gebiet, das sich von Dakar bis Saint-Louis erstreckt, liefert einen wesentlichen Teil der Produktion von Zwiebeln, Kartoffeln, Karotten, Wirsing, Kirsch- und Tafeltomaten, Auberginen, Salat und Chilischoten. Das Flusstal mit seinem immensen Potenzial ist wiederum auf die Produktion von Industrietomaten, Zwiebeln und Süßkartoffeln spezialisiert. Der Agrarsektor wächst – 2012 machte er nur 7,1% des Bruttoinlandsproduktes aus, 2017 waren es bereits 16%. Der Senegal hat also eine große landwirtschaftliche Tradition und der Sektor beschäftigt fast die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung. Es ist jedoch anzunehmen, dass die Covid-19-Krise diesen Trend erheblich verändern könnte. Laut einem Bericht der FAO vom November 2019 sind die negativen Erträge der vorangegangenen Regenzeit im Senegal bereits die Vorboten einer unsicheren Ernährungslage und einer sich zuspitzenden, besorgniserregenden Situation.

Was könnten Ihrer Meinung nach die schlimmsten Folgen der Covid-Krise für die landwirtschaftliche Produktion, aber auch für die Ernährung im Senegal sein?

Die Pandemie hat den Senegal auf dem Höhepunkt der landwirtschaftlichen Produktion erreicht. Die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus haben sich auf die Wirtschaft ausgewirkt. Der Vertrieb von verderblichen landwirtschaftlichen Erzeugnissen wurde besonders durch die eingeschränkte Bewegungsfreiheit stark beeinträchtigt. Das Verbot der Loumas - also der Wochenmärkte - hat die lokalen Vertriebs- und Versorgungssysteme für Nahrungsmittel hart getroffen.

Angesichts der besorgniserregenden Krisenlage könnten Ernährungsunsicherheit und der Zusammenbruch der Volkswirtschaft zu einer realen Bedrohung werden. Laut dem staatlichen Amt für Wirtschaftsprognose und -forschung hat sich das Handelsdefizit im Senegal bereits im März 2020 verschlechtert.

Es ist momentan noch zu früh, um eindeutige Aussagen über die Auswirkungen von Covid-19 auf unsere Produktions- und Konsumsysteme zu treffen. Doch diese Pandemie lehrt uns, dass wir sie schon vor langer Zeit hätten auf den Prüfstand stellen müssen.  Bedenkt man, mit welcher Geschwindigkeit sich die Pandemie weltweit ausbreitet, erscheint das Risiko einer anhaltenden Lebensmittelknappheit groß. Da unsere Lebensmittelversorgung in  hohem Maße von Importen abhängig ist, könnte es bald zu Versorgungsengpässen kommen. Dadurch könnten der Lebensmittel- und der Arbeitsmarkt in Schwierigkeiten geraten, da beide hauptsächlich Menschen beschäftigen, die im landwirtschaftlichen und informellen Sektor tätig sind. Das hätte wiederum Auswirkungen auf das Einkommen der Akteur*innen in den landwirtschaftlichen Wertschöpfungsketten und auf die Belieferung der städtischen Märkte mit Getreide, Gemüse und Obst. Auch die Versorgung entlegener Teile des Landes mit Fisch wäre gefährdet. Es könnte auch zu einem erheblichen Rückgang der Kaufkraft der Verbraucher*innen kommen, die noch dazu weniger Lebensmittel zur Auswahl hätten, die eine vielseitige Ernährung und eine qualitativ hochwertige Nährstoffzufuhr gewährleisten. Eine Lebensmittelknappheit könnte neue Gesundheitskrisen – wie Unterernährung und Fettleibigkeit – im Senegal zur Folge haben.

Welche Ansätze zur Stärkung der Resilienz von Frauen – insbesondere in ländlichen Gebieten – gegen Covid-19 gibt es?

Langfristig werden die Auswirkungen von Covid-19 eine nachhaltige Finanzierung der Tätigkeiten von Frauen erforderlich machen. Die Stärkung der Resilienz von Frauen auf dem Land, mit der Covid-19-Krise umzugehen und sich von ihr zu erholen, muss ein wesentlicher Aspekt der staatlichen Entwicklungspolitik sein. Denn die Marginalisierung von Frauen auf den ländlichen Arbeitsmärkten könnte zunehmen, besonders wenn sie mit Männern um die wenigen bezahlten Arbeitsplätze konkurrieren müssen.

Die Beschäftigungsquote von Frauen im informellen Sektor – Landwirtschaft, Tierhaltung, Fischerei, Handel und Verarbeitung – ist so hoch, dass sie in der gegenwärtigen Situation von größeren Einkommensverlusten bedroht sind. Auch wenn einige von ihnen in der Produktion tätig sind, sind sie vornehmlich im Vertrieb und in der Verarbeitung lokaler Produkte beschäftigt.

Frauen brauchen Unterstützung, um ihre Produktionsgrundlagen zu verbessern und zu sichern – gute Böden, sauberes Wasser in ausreichender Menge und zertifiziertes Saatgut. Sie können durch Anreize wie landwirtschaftliche Versicherungen zur Risikominimierung und Infrastruktur für die Lagerung und Frischhaltung unterstützt und dazu ermutigt werden, auf nachhaltige Produktionssysteme zu setzen. Die Ressourcen und die Führungsrolle von feministischen Bewegungen und Frauenrechtsbewegungen – wie die Vereinigung Senegalesischer Juristinnen AJS und das Nationale Netzwerk von Frauen in Ländlichen Gebieten des Senegal – müssen gestärkt werden, damit die Anliegen der Frauen in den Strategien zur Anpassung an Covid-19 Berücksichtigung finden.

Welche Möglichkeiten des sozioökologischen Wandels zugunsten nachhaltiger Produktions- und Konsumsysteme gibt es?

Die industrielle Landwirtschaft hat ihre Grenzen. Der massive Einsatz von Chemikalien verschärft den Klimawandel, die Erosion landwirtschaftlicher Böden, Umweltverschmutzung und Krankheitsrisiken. Es ist Zeit für eine Veränderung, um vulnerable Bevölkerungsgruppen, insbesondere Frauen und Jugendliche, zu schützen.

Die Covid-19-Pandemie bestärkt uns darin, auf nachhaltige Produktions- und Konsumsysteme umzustellen,  um die Unabhängigkeit und Widerstandsfähigkeit des Senegal in Bezug auf eine quantitativ und qualitativ adäquate Versorgung mit Nahrungsmitteln zu gewährleisten. Gemeint sind Systeme, in denen die Unterstützung für Familienbetriebe erheblich ausgedehnt wird. Wenn Familienbetriebe entlang der gesamten Wertschöpfungskette (Produktion, Verarbeitung und Vertrieb) organisiert und unterstützt werden, könnten sie erheblich zur Ernährungssouveränität und -sicherheit des Senegal beitragen.

Eine Lösung ist das Konzept der Agrarökologie. Agrarökologie bringt wirtschaftliche, ökologische und soziale Dimensionen miteinander in Einklang. Sie beruht auf einem territorialen Ansatz, garantiert gute Erträge und sorgt dafür, dass Nutzpflanzen und -tiere widerstandsfähiger gegenüber dem Klimawandel und Krankheiten sind.

Eine staatliche Boden-, Agrar- und Entwicklungspolitik, die die Anliegen aller gesellschaftlicher Gruppen, insbesondere der Frauen, berücksichtigt, steht bei der Bewältigung dieser Art von Krisen immer an erster Stelle. Es geht darum, einen fundamentalen Wandel herbeizuführen.

Welche Rolle spielen Frauen bei diesem Wandel und bei der Gestaltung politischer Maßnahmen zur Umsetzung von Ernährungssicherheit und -souveränität?

In den meisten Entwicklungsländern produzieren Frauen 60% bis 80% der Nahrungsmittel für den Familienverbrauch. Männer dagegen bauen Feldfrüchte für den Verkauf bzw. für die Lebensmittelindustrie an, um ein Einkommen für ihre Familien zu erzielen. Obwohl ihre Rolle oft vergessen und wenig anerkannt wird, liegt die Hauptverantwortung für die Ernährungssicherheit der Familien also bei den Frauen.

Daher ist es wichtig, sie auf allen Ebenen der Wertschöpfungskette zu unterstützen und zu begleiten, damit sie ihre zentrale und entscheidende Rolle bei der Neugestaltung der Politik im Bereich Ernährungssicherheit und -souveränität vollumfänglich wahrnehmen und gleichzeitig neue Einkommensquellen für sich erschließen können.

Frauen werden viel stärker an der Volkswirtschaft teilhaben, wenn sie Zugang zu Ressourcen und Absatzmärkten, hochwertiger Bildung und Technologie sowie zum ländlichen Arbeitsmarkt haben. Wenn sie bei der Produktion unterstützt werden und die Gleichstellung der Geschlechter gefördert wird, werden sie zu gleichberechtigten Akteurinnen des senegalesischen Agrarsektors.


 

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Unser Gesprächsparnter Thierno Sall hat einen Bachelor in Geographie der Universität Cheikh Anta Diop (Dakar) sowie einen Bachelor im Fach Digitale Informations- und Kommunikationstechnologien der Fakultät für Wissenschaft und Technologie der Universität Dakar. Derzeit ist Thierno Sall Informations- und Kommunikationsbeauftragter bei Enda Pronat, einer NGO, die Mitglied im internationalen Enda Third-World-Netzwerk ist.

Als Experte für Entwicklungsfragen verfügt er aufgrund seiner Erfahrung in der Verwaltung und Auswertung von Entwicklungsprojekten in ländlichen Gebieten über ein fundiertes Wissen und Verständnis über den sozioökologischen Kontext im Senegal.

 

Die Reihe mit Texten zu den Auswirkungen von Covid 19 auf Nahrungsmittelsysteme wird mit Berichten aus Nigeria, Südafrika und Kenia fortgesetzt.