In Ostafrika hält sich das gesellschaftliche Bild, dass Homosexualität „unafrikanisch“ sei und wird von Politik und Kirche massiv für den eigenen Machterhalt propagiert. Tatsächlich hat es queere Lebens- und Liebesform in Uganda immer gegeben, was dagegen importiert wurde, ist die Homophobie. Wir sprachen mit SSenfuka Joanita Warry über queeren Aktivismus in Uganda und darüber, warum sie jede Gelegenheit ergreift, die sich ihr bietet, um ihre Meinung zu äußern und falsche Vorstellungen über Homosexualität richtig zu stellen.
Das Interview führte Claudia Simons, Referentin für Afrika in der Heinrich-Böll-Stiftung.
Was bedeutet queerer Feminismus für dich?
Joanita: Ich definiere queeren Feminismus als etwas, das alle Frauen, unabhängig von Geschlechtsidentität oder Körperpolitik, ebenso wie queere Menschen einbezieht. So sehe ich mich und so ist meiner Meinung nach auch Feminismus zu verstehen.
Was bedeutet Aktivismus für dich und was trägt er zum Feminismus bei?
Aktivismus ist ein Motor, der mich in meinem Leben Tag für Tag antreibt. Jedes Mal, wenn ich über Unterdrückung spreche, wenn ich auf respektloses Verhalten hinweise, wenn ich etwas anfechte, das unfair ist, ist das für mich Aktivismus. Aktivismus spiegelt sich auch in jedem Aspekt meines Lebens wider. Sogar mein Essverhalten ist von meinem Aktivismus beeinflusst, denn ich muss schnell sein, ich muss aufmerksam sein und ich muss mich gesund ernähren, um weiterhin gegen Unterdrückung kämpfen zu können (lacht).
Wer oder was inspiriert dich bei deinem tagtäglichen Aktivismus? Wofür lohnt es sich für dich jeden Morgen aufzuwachen und aufzustehen? Hast du Vorbilder, Idole?
Ich habe so viele Idole. Aber was mich wirklich alltäglich inspiriert, sind meine Großeltern. Sie beflügeln mich, weil sie mich unvoreingenommen akzeptiert haben. Viele in meiner Familie haben mich bis heute nicht akzeptiert. Aber dieser alte Mann und diese alte Frau haben mir gezeigt, dass ich ihr Liebling bin, und sie haben mir und auch den anderen mitgeteilt, dass sie mich so akzeptieren, wie ich bin. Das macht mir Freude und ermutigt mich Tag für Tag andere zu unterstützen, die wie ich sind und niemanden haben, dem sie erzählen können, dass sie queer sind, die keine Chance haben, von jemandem akzeptiert zu werden, weder von ihren Eltern noch von ihren Großvätern und Großmüttern, Tanten oder Schwestern.
Erzähl mir ein bisschen was über den politischen Kontext, in dem du dich bewegst.
Der politische Kontext und das Umfeld, in dem wir agieren, ist eine unwissende Gesellschaft mit falschen Vorstellungen darüber, wer ich bin. Es gibt in Uganda und Ostafrika viel Irrglauben in Bezug auf Homosexualität. Es existiert diese Auffassung, dass Homosexualität „unafrikanisch“ sei, aber in Wirklichkeit ist sie etwas sehr afrikanisches. Was dagegen importiert wurde, ist die Homophobie. Als die christlichen Missionare ins Land kamen, fanden sie Menschen vor, die sich liebten, und schufen ein Gesetz, das die Liebe zwischen Menschen gleichen Geschlechts verbietet. Demzufolge ist die Homophobie unafrikanisch, aber Homosexualität ist afrikanisch.
Auch über Homosexualität in Zusammenhang mit Religion gibt es viele irrige Annahmen. Einige - darunter auch der Präsident von Uganda -, würdigen mich im Namen des Christentums herab. Als würde ich nicht selbst an Gott glauben. Ich bin eine überzeugte Katholikin, Katholikin und Lesbe. Wie können sie das Christentum benutzen, um mich zu erniedrigen, als ob ich die Bibel nicht kennen würde, dieselbe Bibel, die besagt, dass wir alle nach dem Bilde Gottes erschaffen wurden? Sie machen Gesetze, die uns mit Tieren gleichsetzen und beschuldigen uns, pädophil zu sein und so weiter. Das tut weh. Und ich habe keine Möglichkeit, an die Verantwortlichen heranzukommen, ihnen klar zu machen, dass Menschen wie ich normal sind und immer da waren, dass Homosexualität etwas Normales ist, etwas afrikanisches ist und nicht im Konflikt mit der Religion steht. Das ist das politische Umfeld, in dem wir uns bewegen.
Uganda kann für queere Menschen ein sehr gefährlicher Ort sein, aber sowohl du als auch viele andere hier zeigt euch ganz offen und macht euch sichtbar. Woher nimmst du die Kraft, dich in einer repressiven Gesellschaft so klar zu outen?
Wenn du immerzu unterdrückt wirst, erreichst du irgendwann den Punkt, an dem du dich an den Schmerz gewöhnst. Es ist wie mit Tätowierungen. Wenn sie mit dem Tätowieren anfangen, tut es noch furchtbar weh. Aber der kontinuierliche Vorgang macht den Körper ein bisschen taub gegen den Schmerz. Bei mir hatte die Unterdrückung dieses Ausmaß erlangt und darum habe ich beschlossen: jetzt reicht´s.
Ich spiele Rugby. Im Rugby-Club weiß jeder, dass ich lesbisch bin. Einige Leute diskriminieren mich deswegen, weil sie glauben, ich sei schlecht. Das ist mir egal. Ich spiele trotzdem weiter. Wenn ich aufs Spielfeld komme, sorge ich dafür, dass ich eine der besten bin: mich am diszipliniertesten verhalte, mich als eine der besten Ballträgerinnen und eine der besten Verteidigerinnen erweise. Damit das Team auch mitbekommt, was es bedeutet, falls ich mal fehle auf dem Platz. Wegen dem, was ich durchgemacht habe, kann ich mich behaupten. Ich habe die Diskriminierung satt. Ich weiß, dass es Leute gibt, die mich niemals mögen werden. Sogar meine eigene Familie, meine Schwester mag mich vermutlich nicht, von ihr weiß ich, dass sie homophob ist, aber das ist mir wirklich egal. Ich bin ich und ich bin ihre Schwester. Ich werde es immer sein, weil wir blutsverwandt sind.
Ich ergreife jede Gelegenheit, die sich mir bietet, um meine Meinung zu äußern und falsche Vorstellungen richtig zu stellen. Das spornt mich an. Im Rugby-Club gab es einen Trans*-Bruder, der noch nicht mit der Geschlechtsangleichung oder Testosteron begonnen hatte. Die anderen waren besorgt und verwirrt und wandten sich an mich, damit ich es ihnen erkläre. Ich habe ihnen erklärt, was trans* bedeutet, wie die Hormone den Körper verändern. Ich habe mich dafür eingesetzt, dass er mit den Mädchen zusammen spielen kann, bis er sich körperlich weiter verändert hat. Und dass er gleichzeitig trotzdem schon die Männertoilette benutzen darf. Und sie akzeptierten ihn. Selbst jetzt, wo er mit der Geschlechtsangleichung angefangen hat, kommt er immer noch in den Rugby-Club und besucht seine ehemaligen Teamkolleginnen.
Wenn ich mich nicht hier dafür einsetzen würde, würden sie uns nirgendwo akzeptieren. Es geht mir einfach um die Gelegenheit über diese Dinge zu reden: Lass mich dir das, was dich an mir beunruhigt, verständlicher machen. Vielleicht hast du ja ein falsches Bild von mir. Vielleicht bin ich gar nicht das Tier, für das mich die Leute halten. Du wirst mich erst verstehen können, wenn du mit mir darüber sprichst oder wenn du mir dazu Fragen stellst und mir Gelegenheit gibst, darauf zu antworten. Das ist es, was mich Tag für Tag antreibt.
Wie schützt du dich selbst?
Ich weiß, dass es eine sehr, sehr unsichere Umgebung ist. Und ich weiß auch, dass ich an erster Stelle selbst für meine Sicherheit verantwortlich bin. Wenn ich tot bin, kann ich mich niemandem mehr mitteilen. Deshalb muss ich vorsichtig sein. Und ich ermahne die Leute, mit denen ich zu tun habe, immer wieder aufmerksam zu sein: Schutz und Unversehrtheit fangen mit dir selbst an. Wenn du uns zu spät anrufst, werden wir dich möglicherweise nur noch tot vorfinden. Aber wenn du versuchst, gut auf dich aufzupassen und vorsichtig bist, können wir zumindest Wege finden, zusammenzuarbeiten und uns auf die eine oder andere Weise gegenseitig helfen. Von daher weiß ich sehr gut, wie wichtig es ist, vorsichtig zu sein. Und zugleich weiß ich, dass es mich nicht davon abbringen kann, meine Arbeit weiterzumachen und weiter darüber zu reden.
Welche Strategien verfolgt ihr innerhalb der Community, um Sicherheitsnetzwerke aufzubauen und Unterdrückung entgegenzuwirken?
Es gibt je nach Situation unterschiedliche Strategien. Wir haben für unser Büro von FARUG (Freedom and Roam Uganda) Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Wer uns dort besuchen will, muss sich vorher anmelden. Wir haben überall Überwachungskameras installiert usf. Es gibt Gefahrenhinweise und interne Schulungen zum Thema Sicherheit. Für jede Veranstaltung, die in unserem Büro stattfindet, gibt es spezielle Sicherheitsmaßnahmen, um uns und die Teilnehmer*innen zu schützen.
Welche Form der Mobilisierung und des Aktivismus bevorzugst du?
Ich bin tatsächlich davon überzeugt, dass es am besten ist, direkt und offen mit den Leuten über sich selbst und seine Arbeit zu sprechen. Vor allem mit denen, die noch nie einer Lesbe begegnet sind. In diesen Momenten geht mir durch den Kopf: Achtung ich komme -- eine Lesbe, eine ugandische Lesbe (oh mein Gott!), eine katholische Lesbe (oh mein Gott!), die anderen von ihrem Leben erzählt (lacht).
Die Treffen vor Ort sind gut – dadurch erreichen wir die Leute im näheren Umkreis und können sie so mobilisieren. Darüber hinaus finde ich die sozialen Medien wirklich sehr hilfreich – damit können auch diejenigen erreicht werden, die sonst nicht zu einem Treffen kommen würden. Und auch diejenigen, die nicht mit mir übereinstimmen, kann ich dadurch erreichen, ganz gleich, welche Art von Nachricht ich poste. Sie werden darauf reagieren, selbst wenn sie sich abfällig oder beleidigend äußern, aber zumindest ist meine Botschaft bei ihnen angekommen. Deshalb sind die sozialen Medien in meinen Augen ein sehr wirkungsvolles Mittel zur Mobilisierung.
Viele junge Queers betrachten dich als Vorbild und als Anführerin. Was lehrst du sie?
Ich habe mich gleich von Anfang an aktiv eingebracht, habe Verantwortung übernommen und wurde zur Direktorin von Freedom and Roam ernannt. Jetzt konzentriere ich mich auf die jungen Aktivistinnen. Sie sind wirklich ein starker Ansatzpunkt : Junge Lesben, junge queere Feministinnen und junge LBQ für unsere Arbeit zu gewinnen und den Nachwuchs zu fördern, damit sie noch besser werden. Sie lernen von mir, und ich sage ihnen immer, sie sollen sich ansehen, was wir tun, uns nacheifern, das Positive aus meiner Arbeit herausziehen, das Negative verwerfen und das, was mir nicht gelingt, besser machen. Bringt eure eigenen Ideen ein! Als ich noch eine junge Aktivistin war, war es für mich sehr ermutigend, meine Vorstellungen äußern zu können, die dann innerhalb der Organisation zu Projekten herangereift sind. Das hat mir so viel Freude bereitet, dass ich jungen Menschen heute immer die Möglichkeit biete, Ideen zu entwickeln. Ich ermutige sie dazu. Das ist das Erbe, das ich gern hinterlassen möchte. Aber ich fordere die jungen Menschen auch auf, mit Bedacht vorzugehen. Wir ermutigen sie, in der Schule zu bleiben, wir beraten sie. Wir betreuen aber auch diejenigen ohne Ausbildung. Wir geben ihnen die Möglichkeit, durch Praktika am Arbeitsplatz zu lernen. Ich selbst habe durch meinen Beruf gelernt, weil ich leidenschaftlich dabei war, ich bin eigentlich gelernte Ingenieurin, aber dann habe ich mich mit Finanzverwaltung beschäftigt und jetzt bin ich Direktorin.
Du bringst jungen Menschen auch bei, sich bewusst mit ihrer Situation und den damit verbundenen Gefahren auseinanderzusetzen.
Genau. Ich sage ihnen ganz klar: Überstürz dein Coming-Out nicht. Wenn die Situation unsicher ist und ihr noch zur Schule geht, macht zuerst einen Schulabschluss. Die meisten von uns haben die Gelegenheit verpasst, einen Abschluss zu machen, denn wenn die Eltern erfahren, dass du ‚schwul oder lesbisch‘ bist, streichen sie dir das Schulgeld. Solange noch die Möglichkeit besteht, dass eure Eltern die Schulgebühren bezahlen, wartet noch ab. Streit mit den Eltern bringt dich selten weiter. Es sind nur ein paar Jahre. Und wenn du erst mal die Schule hinter dir hast, bist du frei wie ein Vogel. Kümmert euch um eure Ausbildung, damit ihr euch dann outen und der Community einen guten Dienst erweisen könnt. So habe ich das gemacht. Ich bin in der Schule geblieben. Ich habe mir Zeit gelassen. Wir brauchen eine gut ausgebildete Community. Ihr braucht eine gute Ausbildung, um euer Wissen in unsere Organisationen einfließen lassen zu können. Wir brauchen eure Bildung, damit ihr nach außen geschickt auftreten und euch für unsere Zwecke einsetzen könnt. Weil die Zukunft mit euch beginnt. Ihr müsst euch schützen. Ihr müsst eure Ausbildung beenden, bevor ihr euch outet. Lasst euch nicht einschüchtern, aber seid vorsichtig und euch eurer Umgebung bewusst. Es ist ein schwieriger Balanceakt.
Du ermutigst also junge Menschen erst stark, um belastbar zu werden, bevor sie ihr Coming-out haben, damit sie gegen das feindliche Umfeld und die Attacken, mit denen sie unweigerlich konfrontiert sein werden, gewappnet sind?
Wir waren überhaupt nicht vorbereitet, wir haben uns einfach gezeigt, und – zack-- standen wir an vorderster Front. Wir tauchten in den Schlagzeilen der Zeitungen auf und haben uns dann schnell wieder zurückgezogen, aus Angst davor, was passieren könnte. Wir hatten niemanden, die uns beraten hätte. Von daher ist es unser Auftrag, die jungen Aktivistinnen vorzubereiten, auf was immer sie da erwarten mag. Wir ermahnen sie immer wieder, sich nicht zu schnell zu outen. Irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem sie sagen werden: „jetzt reicht‘s“, ganz gleich, was sie erwartet. Aber zuerst müsst ihr auf diese Art von Attacken vorbereitet sein. Ich möchte sehr gern ein Vermächtnis an Aktivistinnen hinterlassen, die das, was sie tun, besser machen als ich. Und deshalb möchte ich sie vorbereiten. Unabhängig davon, was sie sonst mitbringen, ob sie einen Abschluss haben oder nicht – sie sollen gewappnet sein.