Die grüne Geschichte ist ohne die Frauenbewegung und den Feminismus nicht denkbar, auch wenn das Verhältnis nicht immer konfliktfrei war und ist. Nicht alle Frauen bei den Grünen, und bei Bündnis 90 schon gar nicht, waren und sind Feministinnen, nicht alle Männer keine. Auch gab und gibt es unter den Feminist*innen unterschiedliche Strömungen, die sich im Laufe der 1980er immer stärker ausdifferenzierten. Heute spricht man längst nicht mehr nur von einem Feminismus, sondern von Feminismus im Plural, auch wenn über die Jahrzehnte immer wieder versucht wurde, ihn als «monolithische Einheit» zu konstituieren.
Zu Beginn der zweiten Frauenbewegung Anfang der 1970er-Jahre ging es vor allem um eine Abgrenzung gegenüber der männlich geprägten Herrschaftskultur und gegenüber jenen infolge der Studentenbewegung gegründeten linken Gruppen, für die Gleichberechtigung von Frauen nur ein Nebenwiderspruch war.
Ende der 1970er-Jahre waren Teile der autonomen Frauenbewegung einer politischen und institutionellen Arbeit nicht mehr abgeneigt, und es gab heftige Diskussionen innerhalb der Bewegung, in welcher Form diese politische Beteiligung stattfinden sollte. So kamen etliche der Feministinnen Ende der1970er-Jahre über die Alternativszene der Großstädte zu den Grünen, wo sie mit dem konservativen Flügel der Partei und den mehr der Ökologie als dem Feminismus zugewandten Frauen aneinander gerieten, u.a. in Fragen des Kampfes gegen den §218, der konstituierend war für die feministische Bewegung.
In Westberlin, mit seiner geografischen und politischen Besonderheit, gab es 1978 in Vorbereitung für die Bildung einer Alternativen Liste (AL), die zu den Wahlen im März 1979 erstmalig antreten sollte (und nach der Wiedervereinigung in Bündnis 90/ Die Grünen aufging), ein sogenanntes Weiberplenum. Es forderte eine Frauenquote von 53 Prozent, die dem damaligen Frauenanteil an der Berliner Bevölkerung entsprach.
Diese Forderung war die erste nach einer Quotierung, die den realen Verhältnissen in der Gesellschaft entsprach. Sie bekam auch über die AL hinaus große öffentliche Aufmerksamkeit, weil sie als radikal galt. 40 Jahre später sind Fragen der Quotierung in den Parteien und Parlamenten nach wie vor ein umkämpftes Terrain. Dass Quotierungen bei der Aufstellung der Kandidat*innen auch bei den Parteien des Spektrums links der Mitte noch notwendig sind, zeigt, dass Gleichstellung in der Parteipolitik (und nicht nur dort) immer noch nicht selbstverständlich ist. In letzter Zeit ist vor allem die Parität in den Parlamenten eine parteienübergreifende und nicht nur von Frauen eingebrachte Forderung, denn im Bundestag und in den Länderparlamenten entspricht der Anteil der Frauen nicht ihrem zahlenmäßigen Anteil in der Gesellschaft, im Bundestag ist die Tendenz sogar abnehmend.
Bei den Grünen kam es um 1983/84 zu einer stärkeren frauenpolitischen Profilierung, was sich auch in der parlamentarischen Arbeit im Bundestag niederschlug. Hier ging es unter anderem darum, Gesetze abzuschaffen oder zu modifizieren, die Frauen benachteiligten. Unvergesslich ist die Szene im Bundestag 1983, als Petra Kelly bei einer Aussprache in die Abgeordnetenrunde fragt, wer dafür sei, dass Vergewaltigung in der Ehe in das Strafgesetzbuch kommt – und als Antwort ein höhnisches Lachen und Klopfen der Männer der FDP erhält. Erst im Juli 1997 kam es im Bundestag zur Verabschiedung dieses Gesetzes, das zahlreiche noch heute einflussreiche konservative Politiker*innen ablehnten.
Innerhalb der Grünen schieden sich in den 1980er Jahren die feministischen Geister. Die radikalfeministischen Frauen gingen mit ihren Forderungen an die Wurzeln des als patriarchal definierten Kapitalismus, den es abzuschaffen galt, den gemäßigteren eher um die Gleichstellung in der zu reformierenden Gesellschaft. Auch gab es eine starke Mütterbewegung innerhalb der Partei, die einen Differenzfeminismus dem Gleichheitsfeminismus vorzog. Frühe Forderungen nach der Aufhebung geschlechterhierarchischer Arbeitsteilung und der Neustrukturierung des Verhältnisses von Produktions- und Reproduktionsarbeit sind bis heute nicht überholt, auch wenn Reproduktionsarbeit inzwischen Carearbeit genannt wird. In der gegenwärtigen Coronakrise ist dieses nach wie vor bestehende Missverhältnis noch einmal in aller Deutlichkeit hervorgetreten. Waltraud Schoppes frühes Diktum, dass die Wirtschaftsordnung nur existenzfähig ist durch die kostenlose Frauenarbeit, ist bis heute aktuell, es hat sich nur krisenbedingt in Richtung schlecht bezahlte Dienstleistungsarbeit verschoben, denn ein Gehalt reicht in den meisten Familien längst nicht mehr aus zum Leben.
Die Frage, ob mit der Abschaffung des Kapitalismus auch das Patriarchat verschwinde, erledigte sich spätestens mit der Wiedervereinigung, herrschten doch in der DDR vergleichbare patriarchale Strukturen, auch wenn es einige fortschrittlichere Gesetze gab, wie die Fristenlösung, die bessere rechtliche Absicherung Alleinerziehender und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Es hätte der gemeinsamen Bundesrepublik gut zu Gesicht gestanden, die Gesetze zur Gleichstellung in Ost und West zu vereinheitlichen, anstatt die des Ostens abzuschaffen, nur standen die parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse dagegen.
Bei der Bundestagswahl 1990 scheiterten die westdeutschen Grünen mit 4,8 Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde. Bündnis 90 bekam als Listenvereinigung im Osten 6 Prozent und zog aufgrund einer Sonderregelung ins Parlament ein. 1993 kam es zum Zusammenschluss von Bündnis 90 und den Grünen. Gern vergessen wird, dass zusammen mit Bündnis 90 auch der 1989 in der Wendezeit gegründete Unabhängige Frauenverband der DDR mit einer Abgeordneten, Christina Schenk, heute Christian Schenk, in den Bundestag einzog. Später war Schenk als parteilose*r Abgeordnete*r Mitglied der Fraktion der PDS im Bundestag. Seiner Arbeit sind Forderungen u.a. nach Diskriminierungsverboten für Homosexuelle und Behinderte zu verdanken, die in einer neuen Verfassung zu verankern leider nicht gelang, sondern die erst in jahrzehntelanger parlamentarischer und außerparlamentarischer Arbeit durchgesetzt wurden.
Nichtsdestotrotz ist in den letzten 30 Jahren einiges an gesetzlicher Gleichstellung erreicht worden. Viele Gesetze, zum Teil noch aus der Kaiserzeit, wurden in den letzten 30 Jahren aus den Gesetzbüchern getilgt oder modifiziert. Was nach wie vor Bestand hat, ist neben den §218 und 219 das Ehegattensplitting – die staatliche Subventionierung der «Hausfrauenehe». Gelegenheiten, es abzuschaffen, z. B. in der rot-grünen Regierungszeit, wurden versäumt.
Ende der 1990er-Jahre zerfaserte die zweite Frauenbewegung an ihren Enden. Aus Frauenpolitik wurde Gleichstellungspolitik. Inzwischen gibt es eine neue Welle des Feminismus, diverser, was unter anderem heißt: geschlechterfluider und intersektionaler. Die Geschlechterforschung erweitert seit fast drei Jahrzehnten das Gebiet der Frauenforschung erheblich, indem sie, wie Christina von Braun es formuliert, «auch andere sozial wirksame Differenzen (wie Ethnizität, Klasse, Bildung, Alter, Gesundheit usw.)» in die Betrachtungen einbezieht.
Inzwischen kommen die wenigsten öffentlichen Institutionen mit der Marginalisierung von Frauen mehr durch. Wenn Innenminister Seehofer mit seinen durchweg weißen männlichen Staatssekretären posiert, dann fällt auf, dass so ein Bild die gegenwärtige Gesellschaft auf keine Weise mehr repräsentiert. Eine 50-Prozent-Bewegung fragt nach einer ausgeglichenen Zahl von Frauen auf Podien, in Talkshows, Parteien und Aufsichtsräten, es gibt Pro-Quote-Bewegungen. Die Frage ist immer, wie schnell sich etwas ändert und wieviel nur Kosmetik ist, die die verfestigten Strukturen unverändert lässt. Ob Gender oder Feminismus – die Errungenschaften der Frauenbewegung sind durch das Erstarken rechtskonservativer und nationalistischer Kräfte nicht nur in Deutschland, sondern in allen Demokratien bedroht. Ihr Ziel ist, gesellschaftliche Zustände wieder zu etablieren, die durch die sozialen Bewegungen seit 1968 infrage gestellt und mit langem Atem abgeschafft wurden.
Anlässlich 100 Jahre Frauenwahlrecht hat Antje Schrupp in der Wochenzeitung Der Freitag angemerkt, dass die feministische Bewegung viel zu verlieren hat, wenn sie sich nicht auf die Systemfrage besinnt, egal ob innerhalb oder außerhalb von Parteien. «Die meisten Feministinnen dachten allerdings schon immer weiter als bloß bis zur Gleichheit mit den Männern. Sie stellten die Systemfrage. Sie pochen darauf, dass es kein sinnvolles politisches Ziel ist, Frauen und Männer innerhalb einer strukturell ungerechten Welt gleichzustellen. Sie weisen darauf hin, dass der Abstand zwischen Reichen und Armen nicht weniger schlimm wird, wenn sich beides fifty-fifty zwischen Frauen und Männern verteilt, und dass die Abwertung von Care-Arbeit immer Schaden anrichtet, auch wenn mehr Männer sie erledigen. Und diesen Feministinnen ist natürlich auch klar, dass eine Frau als Präsidentin nichts bringt, wenn sie nur ihren männlichen Vorgängern nacheifert.»
In der Gegenwart bleibt eine zentrale Frage: Bedeutet Feminismus ein Eliteprojekt von gut ausgebildeten Frauen bürgerlicher Herkunft, die den gleichen Zugang zu den Machthebeln in Wirtschaft und Politik haben wollen und nur durch die Tatsache, dass in ihrer Geburtsurkunde weiblich steht, daran gehindert werden, durch die gläserne Decke zu stoßen? Oder ist Feminismus ein Projekt zur Verbesserung der Lebensbedingungen aller, nicht nur der Frauen? Genau danach fragt auch eine neue junge Generation, die Feminismus und Ökologie im Hinblick auf die Zukunft des Planeten zusammendenkt, ohne unbedingt Mitglied einer Partei sein zu wollen.
Annett Gröschner ist Schriftstellerin, Journalistin und Dozentin. Sie war 1989/90 Mitbegründerin des Unabhängigen Frauenverbandes der DDR und der Frauenzeitschrift Ypsilon. 2018 veröffentlichte sie das Buch «Berolinas zornige Töchter. 50 Jahre Berliner Frauenbewegung», zuletzt erschien im März «Berliner Bürger*stuben. Palimpseste und Erzählungen».