Die AfD im Stuttgarter Landtag

Dossier

Baden-Württemberg gilt als Hochburg der westdeutschen AfD. Die Arbeit der Fraktion im 16. Landtag war jedoch geprägt von Skandalen, internen Querelen und einer geschichtsträchtigen Spaltung, die bis heute nachwirkt. Auch nach mehr als vier Jahren parlamentarischer Gehversuche bleibt die Partei in Stuttgart politisch isoliert. Unbeirrt stellt die Fraktion die Migrationsfrage ins Zentrum ihrer Politik und prangert das angebliche Versagen aller übrigen Parteien an. Hinzu kommen Angriffe auf politische Gegner*innen und die Zivilgesellschaft und Verbrüderungsversuche mit außerparlamentarischen Protesten von rechts. Einige Abgeordnete schrecken auch vor der Verunglimpfung demokratischer Institutionen und unliebsamer Persönlichkeiten nicht zurück. Ein Blick auf das Personal zeigt, dass sich die AfD dabei auch von ehemaligen Angehörigen der Neonazi-Szene zuarbeiten lässt.

Demonstranten stehen vor dem Baden-Württembergischen Landtag und demonstrieren gegen den Neujahrsempfang der AfD-Landtagsfraktion Baden-Württemberg im Landtag.
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Demonstranten*innen stehen vor dem Baden-Württembergischen Landtag und demonstrieren gegen den Neujahrsempfang der AfD-Landtagsfraktion Baden-Württemberg im Landtag.

Am Abend des 13. März 2016 wurde in der Alten Reithalle in Stuttgart laut gejubelt. Ausgelassen feierten die Anhänger*innen der „Alternative für Deutschland“ (AfD) in dem denkmalgeschützten Gebäude hinter dem Maritim-Hotel ihren Erfolg bei der Wahl zum 16. baden-württembergischen Landtag.

Von „Wahlfälschung“ war nun keine Rede mehr. Wenige Tage zuvor hatten die AfD und ihre Unterstützer*innen vom neurechten Verein „Ein Prozent“ noch zur „Wahlbeobachtung“ aufgerufen und Manipulationen befürchtet.[1] Doch jetzt war man begeistert: 15,1 Prozent der Wahlberechtigten gaben der noch jungen Partei ihre Stimme und sorgten damit für 23 AfD-Sitze im Stuttgarter Landtag.[2] Es ist das beste Ergebnis, das die selbsternannte „Alternative“ bis heute in einem westlichen Bundesland erzielte. In den Wahlkreisen Pforzheim (24,2 Prozent) und Mannheim I (23,0 Prozent) gewann die AfD mit ihren beiden besten Einzelergebnissen aus dem Stand zwei Direktmandate. Hinzu kamen 1,02 Prozent, die auf die AfD-Abspaltung „Allianz für Fortschritt und Aufbruch“ (ALFA) entfielen.[3] „Die AfD ist spätestens mit dem heutigen Tag eine feste parlamentarische Größe in unserem Land“, frohlockte der Landeschef Jörg Meuthen.[4]

Landtagswahlprogramm

Zweifellos profitierte die AfD dabei vor allem von der kontrovers geführten Debatte über die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und deren Umsetzung auf Landesebene. Schon in der Präambel ihres Landtagswahlprogramms prangerte die Partei die angebliche „grün-rote Multikulti-Ideologie“ an und prophezeite: „Die Integrationskraft unseres Landes reicht bei weitem nicht aus, um die derzeitigen Zuwandererzahlen zu bewältigen.“[5] Die in die Bundesrepublik geflüchteten Menschen würden „direkt in die deutschen Sozialsysteme“ einwandern, hieß es einige Seiten weiter.[6] Eine „unheilvolle Koalition aus dem Kartell der Altparteien und den Medien“ versuche die Bevölkerung zu manipulieren, während Bundeskanzlerin Angela Merkel „hunderte Millionen Armutsflüchtlinge“ nach Deutschland locke. „Wird dieser Zustrom nicht gestoppt, so ist das Ende der deutschen und europäischen Kultur besiegelt“, lautete die Prognose der AfD.[7] Als Gegenmaßnahmen forderte sie unter anderem die Umwandlung des individuellen Grundrechts auf Asyl in eine „institutionelle Garantie“ und eine kommunale Bürger*innenbeteiligung in Fragen der Unterbringung von Geflüchteten.

Anderen Themen schenkte die AfD deutlich weniger Aufmerksamkeit. Der Begriff „Umwelt“ etwa tauchte in dem 63-seitigen Wahlprogramm gerade 13 Mal auf, die Wörter „Klima“ und „Natur“ noch seltener. „Die Politik hat den Klimawandel zu einer menschengemachten Klimakatastrophe hochstilisiert“, war in dem Dokument zu lesen.[8] Die Energiestrategie der EU habe die „unbelegte Klimaschädlichkeit des anthropogenen CO“ zur Grundlage.[9] Folglich sei die deutsche CO-Vermeidung auch mit Hilfe von CO-Zertifikaten abzulehnen. Stattdessen empfahl die AfD, den „jetzigen Energiemix“ beizubehalten – inklusive Atom- und Kohlekraftwerken.

Obwohl sich die AfD auch im Land als Partei der „kleinen Leute“ präsentiert, wurden sozialpolitische Themen im Wahlprogramm nur gestreift. Es fanden sich weder Ausführungen zur Rolle von Gewerkschaften noch zur Situation von Betriebs- oder Personalräten oder zum Mindestlohn. Lediglich in einer kryptischen Forderung nach der „Beendigung von Zwangsmitgliedschaften in Organisationen wie der Arbeitnehmer- oder Industrie- und Handelskammer“[10] und an zwei weiteren Stellen war überhaupt von Arbeitnehmer*innen die Rede. Stattdessen wurde einer „unternehmens- und arbeitnehmerfreundlichen Steuerpolitik“ das Wort geredet und die Landespolitik als „Partner unserer Wirtschaft“ vorgestellt.[11] Auch mit den Forderungen nach einer „Flexibilisierung des Arbeitsmarktes“, einem „Bürokratieabbau“ und einer „Deregulierungsoffensive“ präsentierte sich die baden-württembergische AfD als wirtschaftsliberale Kraft.[12]

Deutlich traten die konservativen frauen- und familienpolitischen Vorstellungen der Südwest-AfD hervor. Gleich auf der sechsten Seite war im Wahlprogramm zu lesen: „Die Politik des Gender Mainstreaming mit all ihren Folgeerscheinungen wie Frauenquoten, Gleichstellungsbeauftragten und staatlicher Propaganda für sexuelle Minderheiten lehnt die AfD rigoros ab.“[13] In einer Zwischenüberschrift hieß es „Chancengleichheit wiederherstellen – Gleichstellungsbeauftragte und Frauenquoten abschaffen“. Nicht Frauen würden benachteiligt und diskriminiert. Das Gegenteil sei der Fall, erklärte die AfD: „In Wahrheit führen sie – im Verein mit dem Instrument der Frauenquote – regelmäßig zur Diskriminierung von männlichen Stellenbewerbern.“[14] Zwar bekannte sich die Partei zum „Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau, wie er im deutschen Grundgesetz festgeschrieben ist“.[15] Sie wähnte aber „regelmäßig männliche Bewerber aus rein geschlechtsspezifischen Gründen“ diskriminiert.[16] Außerdem warnte die AfD davor, durch Gender Mainstreaming Ehe und Familie zu schwächen.[17] Man stelle sich „entschieden gegen die volkserzieherische Überhöhung von nicht heterosexuellen Menschen und gegen die Dekonstruktion der Familie“.[18] Damit dürfte die AfD vor allem die Debatte über den Bildungsplan 2015 der damaligen grün-roten Landesregierung vor Augen gehabt haben, der unter anderem die Förderung der Akzeptanz sexueller Vielfalt zum Ziel hatte. Zahlreiche konservative und christliche Verbände und Gruppierungen hatten damals gegen den Plan protestiert.

Unterstützung durch einen dubiosen Verein

Tatsächlich spielte das Wahlprogramm in dem materialreich geführten Wahlkampf der AfD eher eine untergeordnete Rolle. Großformatige Plakatwände („Mehr Schutz für Familie und Eigentum! Jetzt AfD wählen“ oder „Damit Deutschland nicht zerstört wird! Jetzt AfD wählen“), Anzeigen und Postwurfsendungen wie das „Extrablatt“ warben für die AfD. Schon vor dem Wahlsonntag thematisierte die Stuttgarter Zeitung dieses Phänomen.[19] Herausgeber des „Extrablatts“ war die „Vereinigung zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten“, der spätere Stuttgarter „Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und (der) bürgerlichen Freiheiten e.V.“[20] Formal trat die Vereinigung samt ihrer Wahlkampfhilfe unabhängig von der AfD auf. Faktisch waren ihre Inhalte exklusiv und passgenau auf die AfD zugeschnitten. Dabei bestanden Verbindungen zwischen dem Verein und der Schweizer Goal AG von Alexander Segert, einem in der Schweiz lebenden Deutschen. Die Goal AG erstellte die Webseite, plante das „Extrablatt“, buchte für die Wahlkämpfe in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin Plakatwände für den Verein und kaufte Fotos, die für die „Extrablätter“ verwendet wurden. Die Goal AG organisierte 2016 zudem Werbeaktionen für den baden-württembergischen AfD-Spitzenkandidaten Jörg Meuthen im Wert von 89.800 Euro. Mit seiner Unterschrift unter eine Freistellungserklärung übernahm Meuthen damals auch schriftlich die rechtliche Verantwortung dafür – meldete die Parteispende aber nicht, wie es vorgeschrieben wäre. Entsprechend tauchte sie im Rechenschaftsbericht der AfD nicht auf. Die Bundestagsverwaltung wertete das als illegale Parteispende und verhängte eine Strafzahlung von 269.400 Euro. Das Berliner Verwaltungsgericht bestätigte diesen Sachverhalt in seinem Urteil vom 9. Januar 2020. Die Strategie des Professors für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl scheiterte vor Gericht: Meuthens angebliche Unwissenheit und Unerfahrenheit schützten ihn und seine Partei nicht vor Strafe.[21] Im Juni 2020 teilte die Bundesgeschäftsstelle der AfD mit, dass man auf eine Berufung verzichten werde, und akzeptierte damit das in der Spendenaffäre verhängte Bußgeld.[22]

Aufstellung der Fraktion

Ins Rennen gegangen waren für die AfD in den insgesamt 70 baden-württembergischen Wahlkreisen 65 Bewerber*innen. Mit Anja Markmann, Carola Wolle, Dr. Christina Baum, Claudia Martin, Alice Weidel und Anastasija Koren waren darunter lediglich sechs Frauen. Fünf Kandidat*innen traten in zwei Wahlkreisen an, was zulässig, für größere Parteien aber ungewöhnlich ist.[23] Weitere Kandidat*innen traten in einem zweiten Wahlkreis als Ersatzkandidat*innen an. Auffällig ist, dass eine Reihe von Bewerber*innen wohnortfern kandidierte. Jörgen Meuthen überließ Stefan Räpple das Feld in Offenburg und Kehl und bewarb sich selbst im württembergischen Backnang und im badischen Bretten.[24] Der dortige AfD-Kandidat war kurzfristig abgesprungen.[25] Heinrich Fiechtner kandidierte nicht im heimischen Stuttgart, sondern in Göppingen. Heiner Merz lief nicht in Waiblingen auf, reüssierte dafür auf der Ostalb in Heidenheim. Seinen Wohnsitz hat er trotz Umzugs bis heute in der Nähe von Waiblingen. In Sigmaringen trat Anastasija Koren an, die Stuttgarter Geschäftsführerin des AfD-Landesverbandes.

Die Gründe waren möglicherweise ein Mangel an willigen, geeigneten und qualifizierten Personen. Dem Erfolg bei den Wähler*innen tat dies jedoch keinen Abbruch. Am Tag nach der Wahl konnten sich 20 Männer und drei Frauen über ihren Einzug in den Landtag von Baden-Württemberg freuen. Die neuen Mandatsträger*innen waren: Heinrich Fiechtner, Jörg Meuthen, Rainer Podeswa, Thomas Palka, Carola Wolle, Anton Baron, Udo Stein, Christina Baum, Heiner Merz, Rainer Balzer, Rüdiger Klos, Claudia Martin, Klaus-Günther Voigtmann, Bernd Grimmer, Heinrich Kuhn, Bernd Gögel, Stefan Räpple, Emil Sänze, Lars Patrick Berg, Wolfgang Gedeon, Stefan Herre, Daniel Rottmann und der Reutlinger Hans-Peter Stauch als Ersatzkandidat von Carola Wolle im Wahlkreis Hechingen-Münsingen.[26]

Die konstituierende Plenarsitzung fand am 11. Mai 2016 statt. Als Alterspräsident hielt der 74-jährige AfD-Abgeordnete Heinrich Kuhn aus Altensteig (Wahlkreis Calw) die Eröffnungsrede. Sein Mandat legte der Arzt und Homöopath aus Alters- und Gesundheitsgründen bereits Ende 2016 wieder nieder. Für ihn rückte sein Ersatzkandidat Klaus Dürr nach, der am 21. Juni 2020 verstarb.

Bei der konstituierenden Fraktionssitzung am 16. März 2016 wurde Jörg Meuthen zum Fraktionsvorsitzenden gewählt. Parlamentarischer Geschäftsführer (PGF) wurde Bernd Grimmer, der Gewinner des Pforzheimer Direktmandats. Erster Fraktionsgeschäftsführer wurde kurzzeitig Joachim Kuhs, der seit 2019 dem Europaparlament angehört. Nach wenigen Wochen folgte auf Kuhs Philipp B. Hering.

Die politische Karriere des ersten PGF Grimmer hatte bei der national-neutralistischen „Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher“ (AUD)[27] um August Haußleiter begonnen, der er rund zehn Jahre angehörte. Mit Haußleiters AUD ging Grimmer zu den neugegründeten GRÜNEN, wo Haußleiter kurzzeitig einer der Sprecher wurde, ehe er wegen seiner NS-Vergangenheit von diesem Amt zurücktrat.

Bereits 1991 verließ Grimmer die GRÜNEN, schloss sich 2009 den Freien Wählern (FW) an und wurde deren Landesvorsitzender. 2013 verließ er die FW in Richtung AfD.[28] 2015 gehörte Grimmer zu den Unterzeichnern der „Erfurter Resolution“[29], die als Gründungsdokument des rechtsextremen „Flügels“ gilt. Bei der Wahl in den Landtag war Grimmer zusammen mit Jörg Meuthen und Lothar Maier einer der damals drei Landessprecher der AfD.

Die AFD-Fraktionsvorstände seit Einzug in den baden-württembergischen Landtag 2016

Fraktionsvorstände

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Der Fall Gedeon

Die Euphorie der baden-württembergischen AfD-Anhänger*innen über den Einzug ihrer Partei in den Landtag wurde schon nach wenigen Monaten gedämpft. Im Juni 2016 brach in der Landtagsfraktion ein Streit über die antisemitische Haltung ihres Abgeordneten Wolfgang Gedeon aus. Der 1947 im bayerischen Cham geborene Mediziner aus dem Wahlkreis Singen hatte sich in seinem bereits 2012 erschienenen Buch „Der grüne Kommunismus und die Diktatur der Minderheiten“ abfällig über die historische Aufarbeitung des Holocaust geäußert. Die systematische Ermordung von Juden und Jüdinnen im Nationalsozialismus hatte Gedeon dabei als „gewisse Schandtaten“ bezeichnet. Prominente Holocaust-Leugner wie die Neonazis Ernst Zündel, David Irving und Horst Mahler hatte Gedeon zum „Dissidenten“ erklärt.[43] In dem Buch ist die Rede vom „Judaismus in seiner säkular-zionistischen Form“ als „Wirk- und Machtfaktor westlicher Politik“ und vom „inneren Feind des Abendlands“.[44]

Zunächst versuchte die AfD-Fraktion, der Empörung der demokratischen Parteien über ihren frisch gebackenen Parlamentarier mit bisweilen grotesk anmutenden Schachzügen zu begegnen. So verkündete der damalige Fraktions-Vorsitzende Jörg Meuthen am 8. Juni 2016 im Landtag: „Auch der neueste Versuch der Verunglimpfung seitens unserer politischen Gegner, nämlich der Versuch, uns nun mit der Antisemitismuskeule zu beschädigen, wird scheitern und in sich zusammenbrechen.“[45] Bei der Plenarsitzung am nächsten Tag ließ die Fraktion überraschend Wolfgang Gedeon selbst das Wort ergreifen. Der verkündete in knappen Sätzen, er hetze nicht gegen Juden und leugne nicht den Holocaust. Gedeon erklärte, er brauche nur auf seine Uhr zu schauen, um zu wissen, dass er kein Antisemit sei – denn diese Uhr habe 1947 ein „jüdischer Geschäftsfreund“ seinem Vater geschenkt.[46] Gleichzeitig nutzte Gedeon die Gunst der Stunde, um Ressentiments gegen Migrant*innen zu schüren:

„Wir haben die Situation, dass gerade heute ein neuer Antisemitismus in gefährlicher Weise nicht zuletzt über die muslimische Zuwanderung in unsere Gesellschaft eindringt.“[47]

Andere AfD-Vertreter versuchten der scharfen Kritik aller übrigen Parteien im Stuttgarter Landtag mit provokativen Zwischenrufen etwas entgegenzusetzen. So sagte der Schwäbisch Haller Abgeordnete Udo Stein während eines Redebeitrags des FDP/DVP-Fraktionsvorsitzenden Hans-Ulrich Rülke:

„Hier ist das Urteil schon gesprochen! Das ist schlimmer als in der Nazizeit!“[48] Einige Minuten später ruderte Stein zurück und entschuldigte sich für den Vergleich.[49]

Doch alle Ablenkungsversuche halfen der AfD nichts. Längst war nach außen durchgesickert, dass auch innerhalb der Fraktion der Streit über den Umgang mit der „Causa Gedeon“ gärte. Jörg Meuthen befürwortete einen Ausschluss von Wolfgang Gedeon aus der Fraktion, fand dafür aber in den eigenen Reihen nicht die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit. Die AfD-Abgeordneten Rainer Balzer, Emil Sänze und Bernd Grimmer forderten öffentlich, die Äußerungen von Gedeon zunächst durch ein „unabhängiges wissenschaftliches Gutachten“ prüfen zu lassen.[50] Jörg Meuthen hingegen bestätigte der Stuttgarter Zeitung, er mache seine politische Zukunft vom Ausschluss seines Singener Parteikollegen abhängig.[51] Bei einer Krisensitzung am 21. Juni 2016 wurde die fraktionsinterne Abstimmung über den Ausschluss von Gedeon aber weiter aufgeschoben. Stattdessen erklärte sich Gedeon dazu bereit, seine Fraktionsmitgliedschaft für einige Monate ruhen zu lassen. Bis dahin sollte eine Kommission mindestens drei externer Gutachter den Antisemitismus-Vorwurf prüfen.

dpatopbilder Wolfgang Gedeon, Abgeordneter der Partei Alternative für Deutschland im Landtag von Baden-Württemberg, verlässt am 06.07.2016 mit einem Koffer ein Landtagsgebäude in Stuttgart (Baden-Württemberg). Gedeon war zuvor aus der AfD-Fraktion ausgetreten. Foto: Christoph Schmidt/dpa (zu dpa: «Tauziehen in der AfD im Stuttgarter Landtag - Petry trifft Meuthen» vom 06.07.2016)
dpatopbilder Wolfgang Gedeon, Abgeordneter der Partei Alternative für Deutschland im Landtag von Baden-Württemberg, verlässt am 06.07.2016 mit einem Koffer ein Landtagsgebäude in Stuttgart (Baden-Württemberg). Gedeon war zuvor aus der AfD-Fraktion ausgetreten. Foto: Christoph Schmidt/dpa (zu dpa: «Tauziehen in der AfD im Stuttgarter Landtag - Petry trifft Meuthen» vom 06.07.2016)

Die Spaltung der Fraktion

Mit der Gewinnung unabhängiger wissenschaftlicher Expert*innen tat sich die AfD allerdings schwer. Teile der Fraktion drängten zudem auf eine politische Entscheidung, so dass es am 5. Juli 2016 in den Fraktionsräumen zum Showdown kam. 13 AfD-Abgeordnete votierten für einen Ausschluss von Wolfgang Gedeon aus der Landtagsfraktion, während neun Parlamentarier*innen für einen Verbleib ihres Parteikollegen stimmten. Damit war Jörg Meuthen erneut mit dem Versuch gescheitert, den Antisemitismus-Vorwurf durch eine personelle Entscheidung auszuräumen. Daraufhin entschlossen sich die 13 Abgeordneten um Jörg Meuthen dazu, die Fraktion zu verlassen. Dem Fraktions-Vorsitzenden folgten die Abgeordneten Anton Baron, Lars Patrick Berg, Heinrich Fiechtner, Stefan Herre, Heinrich Kuhn, Claudia Martin, Thomas Palka, Rainer Podeswa, Daniel Rottmann, Udo Stein, Klaus-Günther Voigtmann und Carola Wolle. Kurz darauf erklärte auch der Bruchsaler Abgeordnete Rainer Balzer seine Zugehörigkeit zum AfD-Abspaltungsprodukt. Auf einer Pressekonferenz am 5. Juli 2016 verkündete Meuthen: „Wir bedauern es ausdrücklich, diese Trennung vollziehen zu müssen. Wer nicht in der Lage ist, rassistische oder antisemitische Äußerungen zu erkennen und zu unterlassen, schädigt seine Partei und gehört schon gar nicht in Führungspositionen einer staatstragenden Partei. Das gleiche gilt für jeden, der nicht willens ist, missverstandene Aussagen klarzustellen, von ihnen zweifelsfrei abzurücken und ausdrücklich um Entschuldigung für jenen Schaden zu bitten, den er anderen in der Partei mit solchen Aussagen zugefügt hatte.“[52] Als politisches oder moralisches Aufbegehren der bürgerlichen AfD-Mitte gegen den rechten Parteirand war die Fraktionsspaltung jedoch kaum zu verstehen. Im Interview mit dem rechtsextremen „Compact“-Magazin hatte Jörg Meuthen wenige Wochen zuvor noch versichert: „Das Vögelchen fliegt nicht mit einem Flügel. Es ist in einer Partei die auch den Anspruch erhebt, Volkspartei werden zu wollen, völlig normal, dass es da auch unterschiedliche Strömungen gibt. Da muss man integrativ arbeiten – und nicht spalten.“[53]

Im Rahmen der Auseinandersetzung traten vielmehr innerparteiliche Machtkämpfe auf Bundesebene offen zu Tage. Meuthen, zugleich Bundessprecher der AfD, geriet dabei mit Frauke Petry aneinander, die damals ebenfalls als Bundessprecherin fungierte. Mit der Entscheidung, die AfD-Fraktion zu verlassen, stützte sich Meuthen auf einen Beschluss des AfD-Bundesvorstands vom 5. Juli 2016. Darin sicherte der Bundesvorstand Meuthen zu, als Vertreter der AfD im baden-württembergischen Landtag nur ihn und die Gruppe der Abtrünnigen anzuerkennen. An der Telefonkonferenz, die zu diesem Beschluss führte, hatte Frauke Petry nicht teilgenommen. Stattdessen tauchte die AfD-Frau aus Sachsen im Stuttgarter Landtag auf. Dort gelang es Petry, ihren Konkurrenten Jörg Meuthen zu düpieren, indem sie Wolfgang Gedeon in einem persönlichen Gespräch zum Austritt aus der Fraktion bewegte. Die „Parteivernunft“ zwinge ihn zu diesem Schritt, erklärte Gedeon am 5. Juli 2016. Unvergessen bleibt, wie Petry vor laufenden Fernsehkameras sagte, es müssten „emotionale Konflikte aufgelöst werden“, und dann mitten im Interview durch den heraneilenden Meuthen unterbrochen wurde.[54]

Der hielt an der Abspaltung von der alten AfD-Fraktion fest und setzte sich weiter als legitimer Vertreter seiner Partei im Landtag in Szene. Der neue Zusammenschluss gab sich den Namen „Alternative für Baden-Württemberg“ (ABW) und beanspruchte, als eigenständige Landtagsfraktion zu agieren. Ein im Auftrag des Landtags erstelltes Gutachten mehrerer Verfassungsrechtler bestätigte im Juli 2016 den Status der ABW als Fraktion im Sinne der Geschäftsordnung des Landtages. Einer Anerkennung als Fraktion bedürfe es nicht, hielten die Juristen fest.[55]

Währenddessen versuchten auch die acht übriggebliebenen AfD-Vertreter, sich neu zu ordnen. Sie wählten den Heidenheimer Abgeordneten Heiner Merz zum neuen Vorsitzenden und Rüdiger Klos und Emil Sänze zu seinen Stellvertretern. Parlamentarischer Geschäftsführer blieb Bernd Grimmer. „Wir sind das Original und kein Plagiat“, verkündete Heiner Merz in den Medien.[56] Die Spaltung schien damit zementiert.

Versuchter Linksextremismus-Ausschuss und Wiedervereinigung

Der Unmut unter den Mitgliedern und in den Kreisverbänden der baden-württembergischen AfD über die Zersplitterung ihres parlamentarischen Arms blieb aber groß. Daran konnte auch der gemeinsame Versuch der beiden Fraktionen nichts ändern, im Stuttgarter Landtag ein politisches Herzensanliegen der AfD durchzusetzen. Am 10. August 2016 stellte die alte AfD-Fraktion zusammen mit der ABW-Fraktion den Antrag auf die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum Thema „Linksextremismus in Baden-Württemberg“. Darin hieß es, ein Ausschuss solle untersuchen, „ob diese linksextremen Strukturen in Baden-Württemberg vonseiten der früheren oder derzeitigen Landesregierung, der Parteien, der Verwaltung, der Behörden oder des Landtags toleriert, gefördert oder geschützt wurden oder werden.“[57] In ihrer Begründung des Antrags in der Landtagssitzung am 28. September 2016 behauptete die AfD-Abgeordnete Christina Baum, die baden-württembergische CDU stelle sich „schützend vor Extremisten und Verbrecher“[58], und sprach von angeblichen „außerparlamentarischen Schlägertrupps“.[59]

Dabei stützten die beiden Fraktionen ihr Anliegen auf § 2 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 des Untersuchungsausschussgesetzes (UAG) in seiner damals geltenden Fassung. Laut dieser Norm war der Landtag dazu verpflichtet, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, wenn ein Antrag von „zwei Fraktionen“ unterzeichnet wurde. Mit dem von AfD und ABW unterzeichneten Antrag glaubten die AfD-Parlamentarier*innen, dieses Erfordernis zu erfüllen und die Einsetzung des Gremiums erzwingen zu können. Ähnliches galt für eine Enquete-Kommission mit dem Titel „Bedrohung durch Islamismus, Scharia-Recht, organisierte Kriminalität und Einfluss fremder Staaten“, deren Einsetzung AfD und ABW forderten.

Die demokratischen Parteien im Landtag erkannten im Vorgehen der beiden Fraktionen aber den Versuch, parlamentarische Rechte zu missbrauchen. Die CDU-Abgeordnete Nicole Razavi warf der AfD vor, die Wiedervereinigung ihrer beiden Fraktionen zu verzögern, um einen Untersuchungsausschuss beantragen zu können: „Tatsächlich geht es Ihnen darum, den Landtag, die parlamentarischen Institutionen und ihre Regeln im wahrsten Sinn des Wortes vorzuführen.“[60] Auch der Grünen-Innenpolitiker Hans-Ulrich Sckerl richtete sich mit deutlichen Worten an die „Zwillings“-Fraktionen der AfD:

„Wir haben Ihre Possen, Ihre Vorführaktionen, Ihr Theater schlicht und einfach politisch satt, meine Damen und Herren. Der Landtag ist wehrhaft.“[61]

Zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses kam es letztlich nicht. Noch im September 2016 beschloss der Landtag eine Änderung des Untersuchungsausschussgesetzes. Seitdem muss es sich bei den Fraktionen, die einen Untersuchungsausschuss beantragen, um Fraktionen verschiedener Parteien handeln. Auch ein Gutachten der Landtagsverwaltung vom 11. Oktober 2016 stellte fest, dass ein Antrag von „zwei Fraktionen“ im Sinne des Gesetzes nur dann vorliege, wenn diese Fraktionen verschiedene Parteien repräsentieren. Folglich lehnte der Landtag am 10. November 2016 die Einsetzung eines „Linksextremismus“-Ausschusses in namentlicher Abstimmung ab. Auch ein Organstreitverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof gegen dieses Vorgehen endete im Dezember 2017 mit einer Niederlage für die AfD. Die Richter sahen in der Ablehnung des Untersuchungsausschusses durch die anderen Parteien im Landtag keine Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes gegenüber der AfD.[62] Wie der Verfassungsgerichtshof ausführte, lagen die Voraussetzungen für einen Minderheitenantrag der AfD-Fraktionen im Sinne von § 2 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 UAG im November 2016 ohnehin nicht mehr vor. Denn bereits im Oktober 2016 hatten sich die Abgeordneten von ABW und AfD wieder zu einer gemeinsamen Fraktion vereint und Jörg Meuthen erneut zu ihrem Vorsitzenden gewählt. Die Anzahl der Vize-Vorsitzenden stieg mit Bernd Gögel, Rüdiger Klos, Emil Sänze und Rainer Podeswa auf vier. Dass drei von ihnen während der Spaltung zur Alt-AfD-Fraktion gehört hatten, kam einem Autoritätsverlust von Jörg Meuthen zumindest recht nahe.

Vorangegangen waren der Fusion verschiedene Gespräche, bei denen die AfD unter anderem einen professionellen Mediator zu Rate zog. Außen vor blieb Wolfgang Gedeon, der seit der vorübergehenden Spaltung als fraktionsloser Abgeordneter im Landtag sitzt und im März 2020 nach einer Entscheidung des Bundesschiedsgerichtes auch die Partei verlassen musste.

Mit der Unterstellung, linke Strukturen würden vom Staat oder den demokratischen Parteien in größerem Umfang unterstützt und finanziert, versucht die AfD-Fraktion aber bis heute, ihre politischen Widersacher zu diffamieren. Die Hoffnung, angebliche Verstrickungen oder Verschwörungen mittels eines Untersuchungsausschusses aufdecken zu können, dürfte die Partei inzwischen aber aufgegeben haben. Im Januar 2020 gründete sich stattdessen innerhalb der Fraktion ein „Arbeitskreis Linksextremismus“. Angeführt ausgerechnet von der zum extrem rechten – inzwischen offiziell aufgelösten – „Flügel“ der Partei zählenden Abgeordneten Christina Baum, will der Arbeitskreis nach eigenen Angaben „vor allem die Kultur unter die Lupe nehmen, die inzwischen staatlich finanziert Politik betreibt“.[63] Neben Baum zählen zu dem dreiköpfigen Arbeitskreis die Abgeordneten Thomas Palka (Wahlkreis Eppingen) und Carola Wolle (Wahlkreis Neckarsulm).

Nach der Fusion: Weitere Verluste

Auch nach der Wiedervereinigung der Fraktion im Oktober 2016 ging es in der AfD-Fraktion turbulent weiter. Bereits im Dezember 2016 erklärte die Wieslocher Abgeordnete Claudia Martin ihren Austritt aus der AfD und der wiedervereinigten Fraktion. Martin kritisierte die Partei in der Öffentlichkeit scharf. So sei in der Fraktion ein Arbeitspapier mit Lösungsvorschlägen zur sogenannten „Flüchtlingskrise“ aufgetaucht, das „an die Warschauer Ghettos erinnert“.[64] Auch sei die AfD „nicht bereit, sich von Gruppierungen fernzuhalten, die ihrerseits keine Trennlinie zum Rechtsextremismus ziehen“.[65] Der Stuttgarter Zeitung sagte Martin: „Man will eine Stimmung erzeugen, um Wähler zu gewinnen. Da geht es dann eben nur noch um Flüchtlinge und den Islam. Das halte ich für sehr gefährlich.“[66] Aus der AfD-Fraktion schlugen der Abtrünnigen Hass und persönliche Angriffe entgegen. So hieß es in einer offiziellen Pressemitteilung des Fraktionsvorsitzenden Jörg Meuthen, Claudia Martin sei „mit der parlamentarischen Arbeit insgesamt überfordert“ gewesen und habe „Fleiß und Kompromissfähigkeit“ vermissen lassen.[67] Nach einem knappen Jahr als fraktionslose Abgeordnete wurde Claudia Martin am 28. November 2017 in die CDU-Landtagsfraktion aufgenommen – „aufgrund ihrer Persönlichkeit und ihrer glaubwürdigen Vorstellung“, wie es in einer Pressemitteilung hieß.[68]

Jörg Meuthen hingegen kehrte dem Stuttgarter Landtag den Rücken. Im November 2017 nahm er als Nachfolger von Beatrix von Storch ein Mandat im Europaparlament an und legte sein Landtagsmandat zum Ende des Jahres nieder. Die ursprüngliche Idee, auf unbestimmte Zeit ein Doppelmandat zu behalten, stieß auf erhebliche Kritik auch innerhalb der AfD.[69] Auch die Regelung der Nachfolge von Jörg Meuthen im Landtag war kompliziert, wenn nicht gar obskur. Zwischendurch machte sich der Doppel-Kandidat Jan Czada erklärtermaßen Hoffnung auf das Mandat im Landtag von Baden-Württemberg. Letztlich rückte aber Markus Widenmeyer für Meuthen nach. Da Widenmeyer sein Mandat bereits nach wenigen Wochen „aus persönlichen Gründen“ niederlegte[70], landete am 2. Februar 2018 schlussendlich dessen Ersatzkandidat Harald Pfeiffer im Landtag.

Meuthens Nachfolge als Fraktionsvorsitzender trat zum 1. Dezember 2017 der im Wahlkreis Enz in den Landtag gewählte Speditionskaufmann Bernd Gögel an. Während der Phase der Fraktionsspaltung hatte Gögel zu denjenigen gehört, die in der alten AfD-Fraktion blieben und sich nicht scharf gegen den Antisemiten Wolfgang Gedeon abgrenzten. Für seine Partei verkündete der frisch gewählte Fraktionsvorsitzende, man wolle „nach der nächsten Landtagswahl eine Regierungsoption haben“.[71]

Zunächst hatte die Fraktion jedoch einen weiteren Verlust zu beklagen. Ende November 2017 erklärte der im Wahlkreis Göppingen in den Landtag gewählte AfD-Abgeordnete Heinrich Fiechtner seinen Austritt aus der Partei und der Fraktion. Offiziell begründete der Onkologe seinen Schritt mit der Wiederaufnahme des ausgetretenen Wolfgang Gedeon in den „Arbeitskreis Europa“ der Landtagsfraktion. Jörg Meuthen habe die Fraktion „verwahrlosen lassen“, weil er „keinerlei klare politische Agenda“, sondern eine „persönliche Agenda“ habe, erklärte der Stuttgarter Arzt.[72]

Dem Austritt waren allerdings seit Monaten schwelende Konflikte und Auseinandersetzungen zwischen Fiechtner und seiner Partei vorausgegangen. Unter anderem hatte ihn die Fraktion mit einem „Redeverbot“ belegt und aus zwei Landtagsausschüssen abgezogen, nachdem sich Fiechtner in einer Plenardebatte entgegen der Position seiner Fraktion für die Einführung einer Gesundheitskarte für Geflüchtete ausgesprochen hatte. In einem Organstreitverfahren von Fiechtner hatte der Verfassungsgerichtshof im Oktober 2017 bestätigt, dass der Mediziner durch diese Maßnahmen seiner Fraktion in seinen Rechten als Abgeordneter verletzt worden war.[73]

Deutlich wurden die Machtkämpfe zwischen dem extrem rechten Teil der Fraktion und rechtspopulistischen und rechtskonservativen Abgeordneten auch nach dem Wechsel von Lars Patrick Berg nach Brüssel infolge seiner Wahl ins Europaparlament im Mai 2019. Seiner Nachrückerin Doris Senger aus dem Wahlkreis Tuttlingen-Donaueschingen wurde die Aufnahme in die Fraktion über viele Wochen verunmöglicht. Senger wurde Mitte Juli 2019 Mitglied des Landtags, gehörte aber erst im September der AfD-Fraktion offiziell an.[74] Auf einer Fraktionsklausur wurde dreimal über ihre Aufnahme abgestimmt, ohne dass Senger die vermeintlich erforderliche Zweidrittelmehrheit erreichen konnte. Zuletzt stellte Senger der Fraktion mit anwaltlicher Hilfe gar ein Ultimatum, um schließlich aufgenommen zu werden.

Kurz darauf führten die chronischen Spannungen in der Fraktion zu zwei weiteren Austritten. Im November 2019 kehrten das ehemalige CDU-Mitglied Harald Pfeiffer und der Balinger Abgeordnete Stefan Herre der Fraktion den Rücken und verließen gleichzeitig die AfD. Dort könnten sie ihre „liberal-konservativen Werte nicht mehr verfolgen“, erklärten die beiden in einer Pressemitteilung.[75] Die AfD-Fraktion forderte die beiden Abgänger vergeblich dazu auf, ihre Mandate zurückzugeben. In einer Pressemitteilung vom 29. November 2019 erklärte die AfD weiterhin: „Nachdem in den vergangenen Wochen und Monaten bereits kaum noch eine konstruktive Mitwirkung der beiden Abgeordneten an der Arbeit der Fraktion sowie in den Arbeitskreisen erkennbar war, ist der Fraktionsaustritt von Herre und Pfeiffer nach Auffassung der verbliebenen Fraktionsmitglieder allerdings nur ein vorhersehbarer, jedoch langer überfälliger Schritt, der den Großteil der AfD-Abgeordneten im baden-württembergischen Landtag nicht überrascht hat.“[76] Der Verlust von Stefan Herre und Harald Pfeiffer kostete die AfD auch den Status als größte Oppositionsfraktion im Landtag. Diese Rolle nimmt seitdem die SPD mit ihren 19 Mandaten ein. Ende Juli 2020 schrumpfte die AfD-Fraktion auf 17 Abgeordnete. Der Heidenheimer Abgeordnete Heiner Merz erklärte, als „nun ernüchtertes“ Mitglied aus der Partei und der Fraktion auszutreten.[77]

Die Arbeit der Fraktion

Schon in der fünften Sitzung des Landtags wandte sich der damalige AfD-Fraktionsvorsitzende Jörg Meuthen mit markigen Worten an die Abgeordneten der demokratischen Parteien und kündigte an: „Es wird nun ungemütlicher für Sie werden, verehrte Kollegen von Grünen, CDU, SPD und FDP/DVP.“[78] Und tatsächlich hat sich das Klima im Landtag seit dem Einzug der AfD im März 2016 deutlich verändert. Zum einen unterscheidet sich die Rhetorik vieler AfD-Abgeordneter im Plenum von derjenigen der übrigen Parlamentarier*innen. Zugespitzte, verallgemeinernde Kritik an den angeblichen „Altparteien“ und provokative Zwischenrufe gehören inzwischen zum Alltag. Zum anderen bedient sich die Rechtsaußen-Partei ausgesprochen großzügig des gesamten Instrumentariums, das ihr im parlamentarischen Betrieb zur Verfügung steht. Als Oppositionsfraktion spielt die Mitwirkung am Gesetzgebungsprozess für die AfD jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Ihre Kernaufgabe bleibt die Kontrolle des Regierungshandelns. Diesem Auftrag versuchen die Abgeordneten vor allem mit unzähligen Anfragen und Anträgen an die Landesregierung gerecht zu werden. Deren Ergebnisse werden über Pressemitteilungen und über die Sozialen Netzwerke verbreitet.

Dabei präsentiert sich die AfD keineswegs als reine „Ein-Punkt-Partei“. Verkehrs- und gesundheitspolitische Sachverhalte werden ebenso aufgegriffen wie finanzpolitische Fragen oder Themen der Agrarpolitik. Wie die Vertreter*innen der demokratischen Parteien erkundigen sich die AfD-Abgeordneten auch nach der Infrastruktur in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen oder spezifischen Problemen in ihren Wahlkreisen. Für die Bearbeitungszeit zur Verlängerung von Jagdscheinen bei den Landratsämtern[79] interessieren sich AfD-Abgeordnete ebenso wie für den Zustand der Gehwege in Stuttgart[80], die Feuerwehrfinanzierung[81], Beschneiungsanlagen[82] oder Brückensprengungen im Land.[83]

Auch auf Protestbewegungen wird reagiert, wenn sich aus Sicht der AfD die Möglichkeit bietet, dort sichtbar zu werden und den zu Tage tretenden Unmut im eigenen Sinne gegen das angebliche „Altparteienkartell“ zu lenken. Als im Januar 2019 in der Stuttgarter Innenstadt gegen Fahrverbote für Dieselfahrzeuge demonstriert wurde, verkündete der Fraktionsvorsitzende Bernd Gögel seine Solidarität mit den Protestierenden: „Die Demonstranten und alle betroffenen Bürger können sich sicher sein, dass wir ihre Positionen und den Protest wahrnehmen und mit aller Konsequenz in unsere parlamentarische Arbeit einfließen lassen.“[84] Als „geradezu revolutionäre Tat“, lobte der verkehrspolitische Sprecher der Fraktion, Hans Peter Stauch, die Aktion für den Diesel.[85] Obwohl die Demonstrierenden die Umarmungsversuche der AfD rasch zurückwiesen, nahm sich die Fraktion auch im Landtag des Themas an.[86] Etwas mehr als ein Jahr später versuchte die Fraktion an Initiativen anzudocken, die gegen die Einschränkungen von Grundrechten im Zuge der Corona-Krise auf die Straße gingen. Die AfD-Abgeordnete Christina Baum behauptete in einer Pressemitteilung, „dass die Gesundheitsdiktatur uns so lange quälen wird, bis wir die Massenimpfung als den einzigen Ausweg sehen und stillschweigend uns aller bisher für selbstverständlich erachteten Rechte berauben lassen“.[87] Auch der Fraktionsvorsitzende Bernd Gögel beklagte die Maßnahmen der Landesregierung zur Pandemie-Bekämpfung. An den Ministerpräsidenten gerichtet sagte Gögel: „Es steht Ihnen und Ihrer Regierung nicht zu, die Bürger unseres Landes rund um die Uhr durch Drohnen, Zeppeline, Streifenbeamte zu Pferd und bald auch mit Hilfe der Corona-App zu überwachen! Nicht nur das erinnert uns an die ehemalige DDR, auch die Ahndung von Verstößen gegen die verfassungswidrigen und bedenklichen Verordnungen!“[88]

Trotz der Vielzahl an Themen, zu denen sich die AfD äußert, lässt sich über die Jahre eine Schwerpunktsetzung erkennen. Den roten Faden bilden dabei Themen, mit denen sich die eigene Anhängerschaft verlässlich emotionalisieren und mobilisieren lässt und über die innerhalb der oftmals zerstrittenen Partei Einigkeit besteht.

Migration als Fokus

So ist es wenig überraschend, dass die AfD sich auch im baden-württembergischen Landtag stark auf das bundesweite Kernthema der Partei fokussiert: die Migration in die Bundesrepublik. Unter dem Motto „Fit4Return“ stellte die Fraktion bereits im Mai 2017 ein eigenes Konzept zum Umgang mit Geflüchteten vor, in dem für „Remigration statt Integration“ geworben wird. Die „kosten- und zeitintensive Integration in die deutsche Gesellschaft“ sorge für „falsche Perspektiven“, heißt es in dem auf Flyern verbreiteten „Programm“. Stattdessen wirbt die AfD-Fraktion für die Rückführung von geflüchteten Menschen in ihre Herkunftsstaaten.[89] Immer wieder fragen Abgeordnete die Landesregierung außerdem nach der Zahl der in Baden-Württemberg gestellten Asylanträge und der Unterbringung von Geflüchteten im Land. Das Augenmerk versuchen die rechten Parlamentarier*innen dabei meist auf real oder scheinbar mit dem Thema Zuwanderung verknüpfte Probleme oder Konflikte zu legen. So erkundigte sich der Schwäbisch Haller Abgeordnete Udo Stein im Mai 2020 nicht nur nach der aktuellen Zahl der Asylanträge. Stein wollte auch wissen, wie viele Asylbewerber*innen positiv auf das Corona-Virus getestet und wie viele im Rahmen der Corona-Maßnahmen mit Bußgeldern und Ordnungsmaßnahmen belegt worden seien. Als Begründung diente dem Einzelhandelskaufmann die Belastung der Steuerzahler.[90] Der Heilbronner Abgeordnete Thomas Palka wollte mit einer Kleinen Anfrage im Februar 2020 klären, „ob eine Islamisierung unseres Landes durch Geburten erreicht beziehungsweise gefördert wird.“[91] Dazu ließ sich der Feinmechaniker von der Regierung darüber unterrichten, wie viele Frauen „im gebärfähigen Alter“ es in Baden-Württemberg gibt – aufgeschlüsselt nach Frauen mit deutscher Staatsangehörigkeit, Migrationshintergrund, muslimischem Glauben oder „Migrationshintergrund aus mehrheitlich muslimischen Ländern.“[92] Für Empörung sorgte eine Anfrage der Abgeordneten Rainer Balzer und Klaus Dürr, in der sie im Juni 2019 ohne Angabe einer Begründung die Frage aufwarfen, welche Staatsangehörigkeit die an staatlichen Theatern im Land beschäftigten Tänzer*innen und Orchestermusiker*innen haben.[93] Eine Anfrage der im Wahlkreis Neckarsulm in den Landtag gewählten Carola Wolle trug die Intention des Antrags bereits als Frage im Titel: „Verschärfte Wohnungsnot durch die Unterbringung von Flüchtlingen in Baden-Württemberg?“.[94] Die Landesregierung konnte den suggerierten Zusammenhang zwischen der Unterbringung von Geflüchteten und dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum im August 2019 aber nicht bestätigen: „Über Fälle, in denen es zu Konkurrenzsituationen bzw. Abwägungen bei der Wohnungsvergabe kam, welche aufgrund der Flüchtlingssituation entstanden sind, liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor.“[95] Wie sich mit dem Bezug auf den angespannten Wohnungsmarkt in Baden-Württemberg gegen Zuwanderung polemisieren lässt, hatte der Abgeordnete Heiner Merz schon im September 2016 gezeigt. „Für die einheimischen Obdachlosen interessierte sich nie groß ein Altparteienpolitiker“, behauptete der Informatiker in einer Parlamentsdebatte. Dann fragte Merz: „Wieso wird dagegen für die oft kulturfremden Neuankömmlinge das Füllhorn so bereitwillig ausgeschüttet? Kann das womöglich daran liegen, dass alle Linksparteien bei uns hier ihre Wähler von morgen sehen – in den selbstverständlich bald mit Doppelpass beglückten afrikanischen, orientalischen Neubürgern?“[96]

Ganz besonders pocht die AfD-Fraktion auf den Zusammenhang zwischen Migration und Problemen der inneren Sicherheit. Einer kriminologisch-analytischen Betrachtung ziehen Abgeordnete dabei immer wieder verallgemeinernde Worte und drastische Formulierungen vor, mit denen sich Stimmung erzeugen lässt. So nahm der Rottweiler AfD-Parlamentarier Emil Sänze im September 2018 ein Tötungsdelikt im sachsen-anhaltinischen Köthen zum Anlass, um in Baden-Württemberg vor der „Messermigration“ und „dem blutigen Treiben von gewaltaffinen Migranten“ zu warnen. Sänze erklärte:

„Die Gewalt in Deutschland geht nicht von der immer größer werdenden Zahl an Regimekritikern aus, sondern von den illegal eingereisten und in Deutschland niemals integrierbaren Flüchtlingen und Asylbewerbern.“[97]

Bisweilen versucht die AfD auch, ihre Wählerschaft mit der Aufklärung vermeintlicher Skandale zu beeindrucken. So wollten sechs Abgeordnete die „Erstürmung des Krankenhauses in Ludwigsburg durch Angehörige eines irakischen Familienclans“ thematisieren, nachdem es auf der dortigen Intensivstation zu einer Auseinandersetzung mit dem Sicherheitsdienst gekommen war. Die zuständigen Ministerien antworteten nüchtern: „Zu keinem Zeitpunkt fand eine Erstürmung bzw. Belagerung des Krankenhauses statt.“[98]

Unter die Lupe nehmen die AfD-Politiker*innen regelmäßig auch Einrichtungen zur Unterstützung Geflüchteter. So fragte Daniel Rottmann aus dem Wahlkreis Ehingen im August 2019 nach Zuschüssen für Behandlungszentren für Folteropfer und traumatisierte Migrant*innen.[99] Christina Baum aus dem Main-Tauber-Kreis ließ sich im September 2019 detailliert die Verwendung von Zuwendungen an den Flüchtlingsrat Baden-Württemberg seit 2014 aufzählen. Baum fragte unter anderem: „Welche Newsletter oder Printprodukte mit welcher Reichweite beziehungsweise welcher Auflage des Flüchtlingsrats wurden seit dem Jahr 2014 in welcher jeweiligen Höhe gefördert?“ [100] In einer ergänzenden Anfrage wollte Baum Auskünfte zu Titeln, Teilnehmenden und Referierenden von Veranstaltungen des Flüchtlingsrates bekommen.[101]

Das Markieren von Feindbildern

Sowohl der Heilbronner Abgeordnete Rainer Podeswa als auch die „Flügel“-Vertreterin Christina Baum interessierten sich in separaten Anfragen auch für das Projekt „Leuchtlinie“, eine Beratungsstelle für die Opfer rechter Gewalt in Baden-Württemberg.[102] Rainer Podeswa erkundigte sich unter anderem danach, ob die Mitarbeitenden der Beratungsstelle „auf ihren politischen Hintergrund und mögliche extremistische Hintergründe“ überprüft worden seien.[103] Christina Baum fragte sogar nach der Gehaltsgruppe der „Leuchtlinie“-Berater*innen.[104] Die Zielsetzung solcher Anfragen scheint klar. Es geht wohl darum, Details zur Bestätigung des eigenen Weltbildes zusammenzutragen und Munition für die Diffamierung unliebsamer Einrichtungen und Personen zu sammeln. Mit provokanten Formulierungen und der zugespitzten Präsentation der Ergebnisse sichern sich die Abgeordneten außerdem die Aufmerksamkeit ihrer Anhängerschaft in den Sozialen Medien.

Über das Mittel der Anfragen versucht die AfD zudem, Informationen über „feindliche“ politische Bewegungen einzuholen, von denen sie sich geradezu umzingelt wähnt. Gleich mehrfach thematisierten Abgeordnete zum Beispiel die Aktionen der Klimabewegung Fridays for Future, denen sich im Jahr 2019 auch in Baden-Württemberg Tausende Schüler*innen anschlossen.[105] Der Hohenloher Abgeordnete Anton Baron fragte die Landesregierung, ob in seinem Wahlkreis auch Lehrer*innen als Organisator*innen von Demonstrationen tätig geworden seien. Gleichzeitig stellte der Wirtschaftsingenieur eine mögliche „politische Einflussnahme“ von Parteien oder verfassungsfeindlichen Organisationen auf die lokale Fridays for Future-Bewegung in den Raum.[106] Rainer Podeswa fragte die Landesregierung, wer die Heilbronner Fridays for Future-Aktionen angemeldet und verantwortlich durchgeführt habe.[107]

Auch die Umweltschutzbewegung „Extinction Rebellion“ nahmen AfD-Vertreter*innen ins Visier. Fünf Abgeordnete erfragten im August 2019 die Organisationsstruktur der Gruppierung und die strafrechtliche Relevanz ihrer Aktionen. In der Begründung hieß es, man vermute eine „von ausländischen Akteuren gesteuerte außerparlamentarische oppositionelle Bewegung“. Gleichzeitig regten die AfD-Politiker*innen an, die Landesregierung solle ein „präzises Bild über die Ziele, Mittel und Finanzierungsquellen“ von „Extinction Rebellion“ erstellen und die Verfassungstreue der Öko-Bewegung überprüfen.[108] Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) betrachtet „Extinction Rebellion“ laut der Antwort auf die AfD-Anfrage jedoch nicht als extremistisch. Verfassungsfeindliche Zielsetzungen seien nicht bekannt, hieß es von der Regierung.

Extremismuskeule gegen links

Scheinbar unbeirrbar versucht die Fraktion zudem, den Nachweis zu führen, dass linksradikale Gruppen und Organisationen in Baden-Württemberg in erheblichem Umfang vom Staat finanziert und eng mit den demokratischen Parteien verflochten seien. Die regelmäßigen Anfragen der AfD zu diesem Thema offenbaren zum einen, dass die Antragsstellenden nicht verstanden haben, wie soziale Bewegungen, Bündnisse und zivilgesellschaftliche Initiativen funktionieren. Zum anderen zeugen die Anträge von dem Willen, all diejenigen zu diffamieren und einzuschüchtern, die sich gegen die AfD positionieren – während gleichzeitig Toleranz für die eigene Seite eingefordert wird.

Dabei spielt der AfD in die Hände, dass sie regelmäßig zum Ziel von Sachbeschädigungen und anderen Straftaten wird. Dadurch kann sich die Partei in der Öffentlichkeit als Opfer darstellen und im Parlament immer wieder neue Fragen zu angeblichen Verstrickungen ihrer Gegner*innen aufwerfen. So erkundigte sich der Rottweiler Abgeordnete Emil Sänze im Juli 2018 nach Finanzflüssen und Einnahmen von 42 Organisationen aus Mitteln des Landes Baden-Württemberg. Neben linken antifaschistischen Gruppen nahm die Anfrage auch zivilgesellschaftliche Vereine wie die Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber e.V. oder das Mauthausen Komitee Stuttgart e.V. ins Visier. Dementsprechend wurden in der Antwort des zuständigen Ministeriums unter anderem Förderbeträge für ein Buch über die „Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern“ oder für ein Jugendzentrum in Backnang ausgewiesen. Hinweise auf eine umfangreiche Finanzierung von Antifa-Gruppen durch Landesmittel ergaben sich hingegen nicht.[109] Sänze bat die Landesregierung auch um Aufklärung über „linksextreme Musikveranstaltungen in Baden-Württemberg“ und verwies dazu auf einen Auftritt der Band „Feine Sahne Fischfilet“ aus Mecklenburg-Vorpommern auf dem Southside Festival in Neuhausen ob Eck.[110] Klaus Dürr aus dem Wahlkreis Calw interessierte sich für die Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung durch „Antideutsche“ in Baden-Württemberg – eine selbst im linksradikalen Lager marginalisierte und in Baden-Württemberg bedeutungslose Strömung.[111] Einige Abgeordnete versuchen über das Mittel der Kleinen Anfrage auch, sprachliche Grenzen auszutesten und Begrifflichkeiten zu prägen. So wurde in einem Antrag von sechs AfD-Parlamentarier*innen im Mai 2020 als Bezeichnung für linke Aktivist*innen statt des Begriffs „Antifa“ durchweg das Wort „Neofa“ („Neofaschisten“) verwendet.[112] Wenige Tage später teilte Bernd Gögel mit, die gesamte Fraktion werde den Begriff ab sofort nutzen.[113]

Von extrem rechten Gruppen werden die Informationen aus solchen parlamentarischen Anfragen dankbar aufgegriffen. Zum Beispiel bezog sich der Verein „Ein Prozent“ bei seiner Berichterstattung über linke Strukturen bereits mehrfach auf AfD-Anfragen im Stuttgarter Landtag. Es gehe darum, „tiefer zu bohren und weiter nachzuforschen“, war etwa im März 2018 auf der Homepage von „Ein Prozent“ zu lesen.[114] Dass der Informationsfluss zwischen dem rechtsextremen Milieu und der AfD auch umgekehrt verlaufen kann, zeigt das Beispiel des Heidenheimer AfD-Abgeordneten Heiner Merz. Er verbreitete im Juli 2017 per Mail eine Liste mit den geklauten Bestell-Adressen eines Duisburger Punk-Versandhandels und erklärte, dabei handle es sich um Mitglieder der Antifa. Man solle nach Namen aus dem lokalen Umfeld suchen, diese am Ort bekannt machen oder die Arbeitgeber der Betroffenen informieren. „Der Fantasie sind wenig Grenzen gesetzt“, formulierte Merz vieldeutig.[115] Die Daten des Unternehmens hatte eine „National Sozialistische Hacker-Crew“ bei einem Cyberangriff im Januar 2015 erbeutet und in der rechtsextremen Szene verbreitet. Wie sie von dort zu dem AfD-Parlamentarier gelangten, ist unklar.

Verharmlosung von Rechtsextremen

Für rechtsextreme Akteure interessiert sich die AfD-Fraktion hingegen kaum. Einige Abgeordnete verharmlosen sie regelrecht. So machte sich die „Flügel“-Protagonistin Christina Baum darüber lustig, dass sich Abgeordnete demokratischer Parteien mit Neonazi-Codes wie dem Kürzel „88“ für „Heil Hitler“ auf Kfz-Kennzeichen befassten. In der Begründung einer Anfrage im Oktober 2019 schrieb Baum amüsiert: „Sollte sich wider Erwarten herausstellen, dass die Theorie einer rechtsextremistischen Szene, welche die freiheitlich-demokratische Grundordnung mittels Zahlen- und Buchstabenkombinationen beschädigen, nicht zutreffend ist, stellt sich jedoch die Frage, warum derartige Wahnvorstellungen auftreten.“[116] Als die Landesregierung im Januar 2019 nach massenhaften Mord- und Vergewaltigungsaufrufen gegen eine Journalistin einen Twitter-Beitrag mit dem Inhalt „#Nazisraus“ veröffentlichte, meldete sich Baum ebenfalls zu Wort. Sie fragte, wen die Landesregierung unter dem Begriff „Nazis“ subsumiere, wohin die Regierung diese „deportieren“ wolle und wie die Veröffentlichung des Tweets abgelaufen sei.[117] Unverhohlen solidarisierte sich Baum außerdem mit der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ (IB). Die werde „zu Unrecht“ vom Verfassungsschutz überwacht, erklärte Baum im Oktober 2016 in einer Pressemitteilung: „Wenn sich junge Menschen Gedanken um die Gefahren der Masseneinwanderung und die Islamisierung in Deutschland machen, ist das eher eine Chance als eine Bedrohung für unser Land.“[118] Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hält die Positionen der IB für unvereinbar mit dem Grundgesetz, da für die Identitären „die ethnische Herkunft allein maßgeblich für die Zugehörigkeit zum deutschen Volk“ sei.[119] Der Heilbronner AfD-Abgeordnete Rainer Podeswa stellte im Juli 2019 sogar die Einordnung eines versuchten Tötungsdelikts als „rechtsextremistisch motivierte Gewalttat“ durch das LfV in Frage. Dabei ging es um einen Rentner, der in Heilbronn mehrere Geflüchtete mit einem Küchenmesser angegriffen hatte und dafür unter anderem wegen versuchten Mordes verurteilt wurde. Weil der Angreifer nach eigenen Angaben ein „Zeichen setzen“ wollte, werteten die Behörden die Tat als „rechtsextremistisch motiviert“. Podeswa hingegen verwies auf die Alkoholisierung des Mannes und beschrieb den Tatort als „bekannten Brennpunkt für Drogen, Kriminalität und herumlungernde Personen“. „Insofern stellt sich die Frage, ob die Regierung kein passenderes Beispiel hatte“, schrieb Podeswa in die Begründung seiner Anfrage. [120]

Zweifel am System

Dass ein AfD-Abgeordneter den Sachverstand des Landesverfassungsschutzes in Frage stellt, ist aber kaum verwunderlich. Einige in der rechten Partei scheinen längst grundsätzliche Zweifel am politischen System und seinen Institutionen zu hegen. Mit dem zunehmenden Einfluss des völkischen „Flügels“ verfestigte sich diese Haltung offenbar auch in der baden-württembergischen AfD-Fraktion.

Christina Baum (AfD) im Plenarsaal des Landtags Baden-Württemberg, nachdem ihre Wahl ins Parlamentarische Kontrollgremium mit den Stimmen aller Parteien außer der AfD abgelehnt worden war.
17.10.2019 | Christina Baum (AfD) im Plenarsaal des Landtags Baden-Württemberg, nachdem ihre Wahl ins Parlamentarische Kontrollgremium mit den Stimmen aller Parteien außer der AfD abgelehnt worden war.

Als die „Flügel“-Führungsfigur Christina Baum im Oktober 2019 nicht wie von ihrer Fraktion vorgeschlagen ins hoch sensible Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) gewählt wurde, erklärte sie, der Landtag sei „zu einem linken Gesinnungsparlament von Einheitsparteien verkommen“.[121] Einige Wochen später setzte Baum im Landtagsplenum den Verfassungsschutz mit dem Staatssicherheitsdienst der DDR gleich. „Es ist ja das Gleiche, das muss man mal so sagen“, behauptete Baum in einer persönlichen Erklärung.[122] Auch Rüdiger Klos, der rechtspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, griff bereits zu Vergleichen mit totalitären Systemen. In einer Pressemitteilung im April 2020 kommentierte er eine Abstimmung im Ständigen Ausschuss des Landtags mit den Worten: „Wir sind auf dem Weg in einen Einparteienstaat.“[123] Im Rahmen einer Debatte über Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie am 22. Juli 2020 sprach Klos von einer „Politprostitution der Gebrauchtparteien bis zum Gehtnichtmehr“.[124] Ergänzt werden solche verächtlichen Äußerungen bisweilen durch Verschwörungserzählungen. Nachdem sechs Klimaaktivist*innen im Juli 2019 Flugblätter von der Besuchertribüne des Plenarsaals geworfen und damit eine Sitzung gestört hatten, deutete der Fraktionsvorsitzende Bernd Gögel eine Verwicklung von Mitgliedern demokratischer Parteien an: „Vertreter von SPD und Grünen schienen instruiert. Die Presse war positioniert. Es steht der Verdacht im Raum, dass der Eklat hausseitig vorbereitet wurde.“[125] Im Juli 2020 stellte die Abgeordnete Christina Baum sogar die Mitverantwortung von Landesbehörden für ein versuchtes Tötungsdelikt gegen einen rechtsextremen Aktivisten in den Raum. Nachdem ein Mitglied des rechtsextremen Vereins „Zentrum Automobil“ am Rande einer Demonstration in Stuttgart überfallen und schwer verletzt worden war, sagte Baum im Plenum: „Ob dieser Mordversuch nun durch Nachlässigkeiten bei der Polizeiarbeit oder politisch gewollt durch bewusstes Unterlassen des Schutzes von Demonstranten geschehen konnte und wer dafür die Verantwortung trägt, muss dringend durch einen Untersuchungsausschuss – dafür ist ein solcher da – ermittelt werden.“[126] Diese Polemik gegen die polizeiliche Arbeit ist insofern bemerkenswert, als sich die AfD bislang als Verbündete der Polizei zu präsentieren versuchte.

Einzelne Personen mit politischen Ämtern werden hingegen schon seit Längerem zum Ziel persönlicher Angriffe aus den Reihen der AfD. Innenminister Thomas Strobl wurde zum „neuen Baron Münchhausen“ erklärt[127] und Ministerpräsident Winfried Kretschmann als „Brunnenvergifter“ gescholten.[128] Niemandem schlug die Verachtung allerdings so heftig entgegen wie Landtagspräsidentin Muhterem Aras. Bereits im Mai 2016 gab die damals frisch gewählte AfD-Abgeordnete Christina Baum die Stoßrichtung vor: „Dass jetzt eine muslimische Frau Landtagspräsidentin von Baden-Württemberg werden soll, ist für mich ein klares Zeichen, dass die Islamisierung Deutschlands doch voll im Gang ist.“[129] Der stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende Emil Sänze bezeichnete Aras im Juni 2018 als „traurige Figur“ und forderte eine Neuwahl: „Das kommt davon, wenn man eine Landtagsabgeordnete nur wegen ihres Migrationshintergrundes in ein staatstragendes Amt hievt, nur um der AfD in die Parade zu fahren – und dadurch allen Abgeordneten die Arbeit erschwert.“[130] Höhepunkte der Provokationen waren die Entgleisungen aktueller oder ehemalige Fraktionsmitglieder, die zu mehreren Ausschlüssen führten. Am 12. Dezember 2018 mussten Stefan Räpple und sein fraktionsloser Kollege Wolfgang Gedeon das Plenum verlassen. Die beiden hatten sich geweigert, die Ordnungsrufe der Landtagspräsidentin zu befolgen.

12.12.2018, Baden-Württemberg, Stuttgart: Stefan Räpple (sitzend, l), Abgeordneter der AfD im Landtag von Baden-Württemberg, spricht während einer Plenarsitzung mit Polizisten. Zuvor hatte er sich geweigert, trotz Aufforderung der Landtagspräsidentin, den Saal zu verlassen. In der Mitte steht der fraktionslose Landtagsabgeordnete und AfD-Politiker, Wolfgang Gedeon, (zu dpa: "Polizei-Einsatz im Plenum - Landtagssitzung wegen Räpple unterbrochen" vom 12.12.2018) - Bestmögliche Qualität - Foto: Nico Pointner/d
12.12.2018, Baden-Württemberg, Stuttgart: Stefan Räpple (sitzend, l), Abgeordneter der AfD im Landtag von Baden-Württemberg, spricht während einer Plenarsitzung mit Polizisten. Zuvor hatte er sich geweigert, trotz Aufforderung der Landtagspräsidentin, den Saal zu verlassen. In der Mitte steht der fraktionslose Landtagsabgeordnete und AfD-Politiker, Wolfgang Gedeon, (zu dpa: "Polizei-Einsatz im Plenum - Landtagssitzung wegen Räpple unterbrochen" vom 12.12.2018) - Bestmögliche Qualität - Foto: Nico Pointner/dpa

Räpple war durch mehrere Zwischenrufe aufgefallen, unter anderem hatte er die Jugendorganisation der SPD als „rote Terroristen“ bezeichnet.[131] Gedeon hatte Muhterem Aras in einer Rede als „Oberlehrerin“ beschimpft und mit Bezug auf ihre Herkunft gesagt: „So können Sie ein Parlament in Anatolien führen, aber nicht in Deutschland!“[132] Aras hatte die beiden Politiker daraufhin von der laufenden Sitzung und von drei Folgesitzungen ausgeschlossen. Weil beide den Saal nicht verlassen wollten, wurden sie von Polizeibeamten hinausbegleitet.[133] Im Jahr 2020 setzte das ehemalige AfD-Mitglied Heinrich Fiechtner die Attacken gegen die Landtagspräsidentin und das gesamte Parlament fort. In der Sitzung vom 29. April 2020 denunzierte er die Anwesenden als „verkommenes Volk, was hier sitzt“ und behauptete, das Parlament verkomme zur „letzten Schwatzbude“. Über Muhterem Aras sagte Fiechtner: „Die Parlamentspräsidentin gebärdet sich mal wieder wie der Vorsitzende einer Reichsschrifttumskammer“.[134] Nach mehreren Ordnungsrufen musste die Sitzung schließlich unterbrochen werden, bis der fraktionslose Abgeordnete von der Polizei aus dem Plenarsaal begleitet wurde. Im Juni 2020 ließ sich Fiechtner schließlich von Polizisten aus dem Plenarsaal tragen, nachdem er erneut das Parlament beleidigt hatte. „Sie würden einem Herrn Goebbels alle Ehre machen!“, rief Fiechtner der Landtagspräsidentin Aras zu.[135] Zwar dürfte es sich dabei um die kalkulierten Manöver eines fraktions- und parteilosen Abgeordneten gehandelt haben, die nicht unmittelbar der AfD zuzurechnen sind. Möglich wurden diese in der Geschichte des Landtags von Baden-Württemberg bisher einmaligen Vorgänge aber nur durch eine südwestdeutsche AfD, die seit ihrem Einzug ins Landesparlament an demokratischen Gepflogenheiten rüttelt und keinerlei Abgrenzungsbedürfnis nach Rechtsaußen erkennen lässt.

Heinrich Fiechtner (parteilos, M) wird von Polizeibeamten aus dem Landtag von Baden-Württemberg getragen. Der Abgeordnete wurde nach einem Redebeitrag von Landtagspräsidentin M. Aras von der Sitzung ausgeschlossen. Fiechtner weigerte sich aber zu gehen. Die Landtagssitzung wurde vorübergehend unterbrochen.
Heinrich Fiechtner (parteilos, M) wird von Polizeibeamten aus dem Landtag von Baden-Württemberg getragen. Der Abgeordnete wurde nach einem Redebeitrag von Landtagspräsidentin M. Aras von der Sitzung ausgeschlossen. Fiechtner weigerte sich aber zu gehen. Die Landtagssitzung wurde vorübergehend unterbrochen.

Das zeigt sich auch daran, dass die Partei gleich mehrere Personen mit fragwürdigem politischen Hintergrund als Mitarbeiter*innen und Berater*innen in den Landtag holte und mit Steuergeldern versorgt.

Das Personal im Landtag

Offenbar fällt es der AfD seit ihrem Einzug in den Stuttgarter Landtag schwer, geeignetes Personal für die Arbeit im Parlament zu finden. Jedenfalls sucht die Fraktion regelmäßig in Zeitungen nach Mitarbeiter*innen und Parlamentarischen Berater*innen. Auch in der rechtskonservativen Wochenzeitung „Junge Freiheit“ oder in der extrem rechten Postille „Zuerst!“ schaltet die selbsternannte „Alternative“ Anzeigen. Der Mangel an fachlich qualifizierten Bewerber*innen dürfte aber nur einer der Gründe sein, warum die Partei auch auf einige Personen mit jahrelanger oder jahrzehntelanger rechtsextremer Vita zurückgreift. Möglicherweise verspricht sich die AfD gerade von ideologisch gefestigten und im Umgang mit dem politischen Gegner erfahrenen Mitarbeitenden ein hohes Maß an Loyalität. Nach den zahlreichen Skandalen der letzten Jahre dürfte in der Landtagsfraktion die Angst vor undichten Stellen und der Durchstecherei von Interna an die Medien umgehen.

Hinzu kommt eine relativ hohe Fluktuation aufgrund der dynamischen Entwicklungen und Richtungskämpfe in der jungen Partei. Als der ehemalige Fraktionschef Jörg Meuthen im Dezember 2017 sein Landtagsmandat aufgab, um ins Europaparlament zu wechseln, folgte ihm zum Beispiel sein Referent und Büroleiter Tomasz Mariusz Froelich. Der Politikwissenschaftler bezeichnet sich selbst als „rechtslibertär“[136] und schreibt für die Monatsschrift „eigentümlich frei“. Auch der zuvor im Landtag beschäftigte ehemalige FDP-Mann Dietmar-Dominik Hennig arbeitet heute für Jörg Meuthen. Hennig gehörte zwar in jungen Jahren zum fragwürdigen „Cannstatter Kreis“[137] und zur mit Rechtsextremen vernetzten „Deutschland-Bewegung“ um Alfred Mechtersheimer.[138] Der Industriekaufmann hat sich aber öffentlich gegen den radikalen „Flügel“ positioniert.[139] Dessen zunehmende Dominanz innerhalb der Fraktion dürfte ebenfalls dazu beigetragen haben, dass unter den Mitarbeiter*innen und Berater*innen im Landtag inzwischen eine ganze Reihe von Personen aus dem braunen Milieu zu finden sind.

Rechtsextreme im Landtag

So ist bereits seit einigen Jahren Armin A. als Parlamentarischer Berater der Landtagsfraktion tätig. Er war in der pflichtschlagenden „Marburger Burschenschaft Rheinfranken“ aktiv, die zum rechten Dachverband „Deutsche Burschenschaft“ (DB) gehört. Laut eines Gutachtens des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) geht aus internen Papieren der „Burschenschaft Rheinfranken“ hervor, dass dort ein „geschichtsrevisionistisches und antisemitisches Weltbild“ vermittelt wird.[140] Armin A. war außerdem Autor der NPD-Parteizeitung „Deutsche Stimme“ (DS). Bereits im Oktober 2011 warb der Ellwanger in dem rechtsextremen Blatt in einem Artikel mit dem Titel „Rein ins Netz!“ für den „Weltnetz-Aktivismus“, also für die Nutzung des Internets zur politischen Agitation. Dadurch erreiche man eine „relativ breite Bevölkerungsgruppe“, konstatierte A. in seinem Text. Außerdem könne man im Internet seine Anonymität wahren, was „aufgrund des Vermummungsverbots in der Öffentlichkeit bei Bedarf nur schwer zu gewährleisten“ sei.[141] Im letzten Absatz seines Artikel resümierte A., der „nationale Widerstand, sei es parteigebunden oder parteifern“ sei bereits auf einem „guten Weg“ und solle auch in Zukunft die digitale Welt nutzen.[142]

Aktivistisch trat A. als Anhänger der „Identitären Bewegung“ (IB) in Erscheinung. Fotos zeigen ihn im April 2014 auf einer Demonstration gegen den Bildungsplan der Landesregierung, in der Hand eine Fahne mit dem Symbol der IB. Mit einer Gruppe namens „Identitäre Aktion“ wollte er in seiner Heimatstadt Ellwangen nach eigenen Angaben einen „aktiven Arm“ der rechtsextremen Bewegung etablieren.[143] Die Nähe zu den Identitären und der NPD scheint zumindest für den Parteinachwuchs auch kein Karrierehindernis zu sein: Inzwischen ist Armin A. stellvertretender Landesvorsitzender der AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“ (JA) in Baden-Württemberg.[144]

July 18, 2020, Munich, Bavaria, Germany: ''Careful...nazis!'' held by a demonstrator against the neonazi NPD party in Munich. After a pause due in part to the Coronavirus crisis and political losses from members and associates such as Karl Richter, six from the neonazi NPD party resurfaced at Munich`s Rotkreuzplatz with up to 100 counterdemonstrators against them. The party brought back their Migration Toetet (Migration Kills) slogan back during the demonstration and has promised more

 

Mit Laurens N. holte die AfD-Fraktion im Stuttgarter Landtag einen ehemals führenden Neonazi-Funktionär als Parlamentarischen Berater in ihre Reihen. Auch an der Gründung der parteinahen „Gustav-von-Struve-Stiftung“ im Dezember 2017 war der Dessauer beteiligt. Als Volljurist dürfte er für die Abgeordneten von besonderem Wert sein. Laurens N. war zweiter Bundesführer der neonazistischen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) und übernahm im Jahr 2002 kommissarisch die Leitung des Vereins.[145] Im März 2009 wurde die HDJ vom Bundesinnenminister wegen ihrer „Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus“ verboten. In der Vereins-Zeitschrift „Funkenflug“ hatte „Laurens“ 2003 einen begeisterten Artikel über die Ehrung einer bekennenden Nationalsozialistin geschrieben. Dessen pathetischer letzter Absatz ist im Hinblick auf die heutige Rolle von N. als AfD-Berater von besonderer Brisanz: „Der sich seiner Verpflichtung dem Volk gegenüber bewusste Teil der deutschen Jugend hat heute eine sehr viel schlechtere Ausgangslage als früher, um die Volksgemeinschaft wiederherzustellen. Um so mehr müssen wir Jungen danach trachten, in Schule, Ausbildung, Studium und Beruf mit Ehrgeiz und Ausdauer entscheidende Positionen zu besetzen.“[146]

Auch Meike H. kommt aus der klassischen Neonazi-Szene. Im Oktober 2018 wurde die Reutlinger Rechtsanwältin im Sozialausschuss des Landtags als neue Parlamentarische Beraterin der AfD vorgestellt. H. gehörte in den 2000er-Jahren zum harten Kern des rechtsextremen Milieus in Baden-Württemberg. Auch das Landesamt für Verfassungsschutz hatte sie im Blick, wie die Stuttgarter Zeitung und die Stuttgarter Nachrichten berichteten.[147] Die heutige Juristin bewegte sich im Umfeld der Neonazi-Band „Noie Werte“, mit deren Liedern die Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) zwei unveröffentlichte Versionen ihres Bekennervideos unterlegte. Heute ist Meike H. mit dem „Noie Werte“-Sänger und Rechtsanwalt Steffen H. verheiratet. Auch Steffen H. hatte bereits mit dem Landtag zu tun. Als Zeuge des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses verweigerte er die Aussage und musste dafür ein Ordnungsgeld bezahlen. Damals fiel auf, dass sich die AfD-Obfrau Christina Baum gegen die Ladung von Steffen H. als Zeugen positionierte.[148]

Auch unter den persönlichen Mitarbeitenden von AfD-Abgeordneten finden sich überzeugte Rechtsextreme. Für die Abgeordneten Heiner Merz und Christina Baum ist etwa Marcel G. tätig. Der Politikwissenschaftler aus dem Rems-Murr-Kreis war in den 2000er-Jahren Funktionär der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN), die sich heute „Junge Nationalisten“ (JN) nennt. Während seines Studiums näherte sich G. der „Neuen Rechten“ an und wurde Mitglied der pflichtschlagenden „Marburger Burschenschaft Germania“. Später kehrte G. wieder nach Baden-Württemberg zurück. Fotos zeigen ihn im November 2015 als Teilnehmer einer Kundgebung der rechtsextremen Gruppe „Hohenlohe wacht auf“ in Öhringen.[149]

Verschwörungstheoretiker im NSU-Ausschuss

Die AfD greift allerdings nicht nur auf bekennende Rechtsextreme und ehemalige Neonazis zurück. Bei ihren Versuchen, sich gegen das verhasste „Establishment“ zu inszenieren, setzt die Partei bisweilen auf schillernde Gestalten. So machte die Fraktion im zweiten NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags einen dubiosen Hinweisgeber zu ihrem Parlamentarischen Berater. Der ehemalige Zivilangestellte eines US-Militärdienstes gilt als Urheber von Verschwörungsmythen zum NSU-Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter auf der Heilbronner Theresienwiese. Er hatte über einen Zusammenhang der Tat mit der angeblichen Observation einer islamistischen Gruppe durch Geheimdienste spekuliert und wurde vom Untersuchungsausschuss als unglaubwürdig eingestuft.[150]

Pressearbeit von rechts

Die klassischen Medien haben für die AfD im Allgemeinen und die baden-württembergische Landtagsfraktion im speziellen eine geringere Bedeutung als für die demokratischen Parteien. Die Partei setzt vor allen auf die Sozialen Medien. Dennoch verzichtet die AfD-Fraktion im Südwest-Staat nicht auf eine klassische Pressestelle. Mit Emil Sänze hat die AfD auch einen stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden mit der Zuständigkeit „Vorstandsressort Presse- und Öffentlichkeitsarbeit“. Auch die Besetzung des Pressesprecher-Postens zeigt, wie weit die Landtagsfraktion nach rechts offen ist.

Ab Juni 2017 hatte zunächst der ehemalige Focus-Journalist Michael Klonovsky das Amt des Pressesprechers der Landtagsfraktion inne. Er war vom damaligen Fraktionsvorsitzenden Jörg Meuthen nach Stuttgart geholt worden und verließ zeitgleich mit dessen Wechsel ins Europaparlament die Landtagsfraktion in Richtung Berlin. Dort arbeitet er bis heute für den Fraktionsvorsitzenden und Grandseigneur der Partei Alexander Gauland.

Sein Amt in Stuttgart übernahm der Erfurter Journalist und Pressefotograf Klaus-Peter Kaschke.[151] Dieser hatte im November 2016 seinen Posten als politischer Referent der AfD-Rathausfraktion in Wiesbaden wegen seiner rassistischen Kommentare in seinem Facebook-Account vorzeitig verlassen müssen.[152] Dies hielt die AfD-Fraktion in Baden-Württemberg nicht davon ab, Kaschke zu engagieren. Kaschke wechselte Anfang 2020 nach Thüringen, wo er als Pressesprecher der AfD-Landtagsfraktion begann.

Am 1. März 2020 trat mit Thomas Hartung der nächste Erfurter an die Spitze der Pressestelle. Der Germanist gibt auf seiner Homepage an, über 150 Beiträge für die Zeitschrift „Zuerst!“ geschrieben zu haben. Dabei handelt es sich um ein 2009 von dem rechtsextremen Verleger Dietmar Munier gegründetes Monatsheft.[153] Tatsächlich findet sich der Name Thomas Hartung aber auf den Seiten des Magazins nicht. Allerdings stößt man regelmäßig auf einen unbekannten Autor namens Tom Stahrguntha. Setzt man die dreizehn Buchstaben dieses Pseudonyms neu zusammen, lässt sich der Name Thomas Hartung bilden: ein Anagramm als Antwort auf die Frage nach der wahren Identität des Autoren Tom Stahrgunthas?

Seit Ende 2019 unterstützt außerdem die Kommunikationsdesignerin Christiane Christen aus Speyer die AfD-Fraktion im Stuttgarter Landtag. Sie ist Mitbegründerin der 2018 gegründeten Gruppe „Kandel ist überall“[154] und unterhält Kontakte in rechtsextreme Kreise. Wegen ihrer Zusammenarbeit mit dem ehemaligen NPD-Kader Sascha Wagner eröffnete die rheinland-pfälzische AfD bereits am 14. November 2018 ein Parteiausschlussverfahren gegen Christen.[155] Dass die baden-württembergischen Landtagsabgeordneten die rechte Aktivistin dennoch ins Boot holten, zeigt einmal mehr die zunehmende Stärke des rechten Flügels innerhalb der Fraktion. Völlig überraschend kommt die Personalie aber nicht. Neben Christiane Christen war die Abgeordnete Christina Baum federführend bei „Kandel ist überall“ aktiv. Auch die baden-württembergischen Landtagsabgeordneten Rainer Balzer[156], Stefan Räpple[157], Rüdiger Klos[158], Carola Wolle[159] und Hans-Peter Stauch[160] sowie die Parlamentarische Beraterin der Landtagsfraktion Sigrid U.-W.[161] nahmen an verschiedenen Demonstrationen des „Frauenbündnis Kandel“ unter dem Motto „Kandel ist überall“ teil.[162] Dass sie sich dabei nachweislich auch in der Gesellschaft von Rechtsextremen und Hooligans befanden, störte sie offensichtlich nicht. Zuletzt war das AfD-Fraktionsmitglied Räpple Redner bei der 37. Auflage von „Kandel ist überall“ am 8. August 2020 in der südpfälzischen Kleinstadt im Landkreis Germersheim.[163]

Fazit: Isolation statt Regierungsoption

Ohnehin scheint sich eine nicht unerhebliche Anzahl von AfD-Abgeordneten längst nicht mehr für solche politischen Etikettierungen zu interessieren. Je sichtbarer ihre inhaltlichen Berührungspunkte zur extremen Rechten werden, desto stärker umarmen sie dieses Milieu. Und je lauter die demokratischen Parteien und die Zivilgesellschaft den Schulterschluss anprangern, desto schriller werden die Töne der rechten Parlamentarier*innen. Innerhalb der Fraktion stoßen sie offenbar kaum noch auf nennenswerten Widerspruch. Dabei dürfte die einflussreiche bundesweite Vernetzung einiger Abgeordneter über Strukturen des völkischen „Flügels“ eine Rolle spielen. Gleichzeitig glaubt die Mehrheit der AfD-Fraktion, sich als einzig wahre Volkspartei gegen die „Verschwörung“ eines linken „Altparteienkartells“ und staatlicher Institutionen behaupten zu müssen. Als inhaltlicher Kitt dienen der fortlaufende Bezug auf und die Ablehnung von Migration und Islam. Auch auf anderen Politikfeldern ist die Positionierung der Fraktion reaktionär und illiberal. Ihre Haltung zur parlamentarischen Arbeit ist nicht eindeutig und reicht vom Versuch der konstruktiven Mitarbeit bis zur offenen Verachtung. Gerade die schleichende Delegitimierung von Parlamentarismus und Republik gehört zu den traditionellen Strategien der extremen Rechten. Hinzu kommt, dass die Fraktion Personal aus der einschlägig rechtsextremen, gar neonazistischen Szene in den Landtag geholt hat.

Rechts abbiegen

Eine Abkehr von diesem Weg hin zum Rechtsextremismus ist nur noch schwer vorstellbar. Weder die Debatte um den Antisemiten Wolfgang Gedeon noch die vorübergehende Spaltung der Fraktion oder die Austritte gemäßigter Abgeordneter hatten eine ernsthafte Selbstreflexion zur Folge. Im Gegenteil: Die AfD hat sich im Landtag in der Isolation eingerichtet und sucht ihre Verbündeten vermehrt außerhalb des Parlaments. Das ist nicht zuletzt auch das Ergebnis eines intakten demokratischen Konsenses. Alle Versuche der AfD, bei Abstimmungen oder in Redebeiträgen an die CDU und die FDP zu appellieren und vermeintliche Gemeinsamkeiten mit dem konservativen oder liberalen Lager zu beschwören, gehen fehl. Von einer Regierungsbeteiligung, wie sie dem Fraktionsvorsitzenden Bernd Gögel noch im November 2017 vorschwebte[164], ist die AfD in Stuttgart weiter entfernt denn je.


 

[2] Dem 16. Landtag von Baden-Württemberg gehören statt der regulären 120 Abgeordneten durch Überhang- und Ausgleichsmandate insgesamt 143 Abgeordnete an. https://www.landtag-bw.de/home/der-landtag/parlament/landtagswahl-2016.html (aufgerufen am 18.08.2020). Das baden-württembergische Landtagswahlrecht kennt keine Landeslisten. Entscheidend sind alleine die Ergebnisse in den 70 Wahlkreisen der vier Regierungsbezirken. Wer das beste Wahlkreis-Ergebnis erzielt, sichert sich das Direktmandat. Weitere 50 Mandate werden nach dem Gesamtergebnis verteilt. Entscheidend bei der Verteilung ist das relative Stimmenergebnis in den Wahlkreisen. Waren früher hierfür die absoluten Stimmenzahlen ausschlaggebend, sind heute die Prozentergebnisse entscheidend für die Mandatsvergabe. Dazu kommen im dritten Schritt noch Ausgleichs- und Überhangsmandate.

[3] Die „Allianz für Fortschritt und Aufbruch“ (ALFA) entstand 2015 nach dem Scheitern des AfD-Gründers und Bundessprechers Bernd Lucke sowie dem folgenden Austritt aus der AfD. Später musste sich die bis heute erfolglose Partei umbenennen und wählte den Namen „Liberal-Konservative Reformer“ (LKR).

[4] Heilbronner Stimme, 14. März 2016, S. 3

[5] Landtagswahlprogramm der AfD Baden-Württemberg, S. 5

[6] Landtagswahlprogramm der AfD Baden-Württemberg, S. 18

[7] Landtagswahlprogramm der AfD Baden-Württemberg, S. 19

[8] Landtagswahlprogramm der AfD Baden-Württemberg, S. 47

[9] Landtagswahlprogramm der AfD Baden-Württemberg, S. 48

[10] Landtagswahlprogramm der AfD Baden-Württemberg, S. 44

[11] Landtagswahlprogramm der AfD Baden-Württemberg, S. 40

[12] Landtagswahlprogramm der AfD Baden-Württemberg, S. 43

[13] Landtagswahlprogramm der AfD Baden-Württemberg, S. 6

[14] Landtagswahlprogramm der AfD Baden-Württemberg, S. 39

[15] ebd.

[16] ebd.

[17] Landtagswahlprogramm der AfD Baden-Württemberg, S. 28

[18] Landtagswahlprogramm der AfD Baden-Württemberg, S. 30

[20] Die Gründungsversammlung des Vereins fand laut dem Vereinsregister des Amtsgerichtes Stuttgart am 21. September 2016 in Stuttgart statt. Neben den sieben Gründungsmitgliedern um den PR-Berater David Bendels nahm der für „die rechtliche Beratung anwesende“ Rechtsanwalt Rolf Schlierer teil, der auch die Versammlungsleitung innehatte. Bei Schlierer handelt es sich um einen langjährigen Top-Funktionär der rechtsradikalen „Republikaner“ (REP) aus Baden-Württemberg.

[23] In jeweils zwei Wahlkreisen bewarben sich: Jan Czada (Schwäbisch Gmünd und Aalen), Ulrich Sterra (Esslingen und Kirchheim), Jörg Meuthen (Backnang und Bretten), Stefan Räpple (Offenburg und Kehl) sowie Carola Wolle (Neckarsulm und Hechingen-Münsingen).

[26] Die in Beilstein (Landkreis Heilbronn) wohnhafte Carola Wolle hatte mit einem etwas besseren Ergebnis als in Hechingen-Münsingen bereits im Wahlkreis Neckarsulm das Mandat erobert.

[27] Richard Stöss: „Vom Nationalismus zum Umweltschutz. Die Deutsche Gemeinschaft, Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher im Parteiensystem der Bundesrepublik“ (= Schriften des Zentralinstituts für Sozialwissenschaftliche Forschung der Freien Universität Berlin. Bd. 32). Westdeutscher Verlag, Opladen, 1980, S. 327 https://books.google.de/books?id=CmGXBwAAQBAJ&pg=PA327&lpg=PA327&dq=bernd+grimmer+aktionsgemeinschaft+unabh%C3%A4ngiger+deutschland&source=bl&ots=VwSJbUoW1F&sig=ACfU3U2K0YFX4ENPYXRTqSf5FeY1OQbsrQ&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwiT8sW4xb7sAhUODOwKHRsCBlI4ChDoATADegQIBxAC#v=onepage&q=bernd%20grimmer%20aktionsgemeinschaft%20unabh%C3%A4ngiger%20deutschland&f=false (aufgerufen am 18.10.2020)

[53] Interview mit Jörg Meuthen, in: Compact Ausgabe 05/2016, S. 43

[56] Heilbronner Stimme, 8. Juli 2016, S. 5

[66] Stuttgarter Zeitung, 20. Dezember 2016

[133] Die Anträge der Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon und Stefan Räpple auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vor dem Verfassungsgerichtshof blieben ebenso erfolglos wie das spätere Hauptverfahren. Der Verfassungsgerichtshof des Landes bestätigte die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen in seinem Urteil vom 22. Juli 2019, vgl. https://verfgh.baden-wuerttemberg.de/de/presse-und-service/pressemitteilungen/pressemitteilung-21012019/ (aufgerufen am 18.08.2020) und https://verfgh.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-verfgh/dateien/1GR1-19_und_1GR2-19pm_Urteil.pdf (aufgerufen am 18.08.2020)

[136] Twitter-Profil von Tomasz Mariusz Froelich (aufgerufen am 18.08.2020)

[137] Der „Cannstatter Kreis“ war ein am 4. Februar 1994 in Stuttgart gegründeter Verein. Er wurde im Umfeld rechter FDP-Mitglieder ins Leben gerufen, öffnete sich aber bereits nach wenigen Jahren für Rechtsextreme und organisierte Vortragsveranstaltungen mit Vertreter*innen rechtsextremer Gruppierungen. Auch das Landesamt für Verfassungsschutz hatte den „Cannstatter Kreis“ im Visier. Im Sommer 2002 meldete der Verein Insolvenz an.

[139] Vgl. die Rede von Dietmar-Dominik Hennig auf der Europawahlversammlung der AfD in Riesa: https://www.youtube.com/watch?v=_3KjmBjuG8g (aufgerufen am 18.08.2020)

[141] Armin A.: Rein ins Netz!, in: Deutsche Stimme Nr. 10/ Oktober 2011, S. 17

[142] ebd.

[144] http://ja-baden-wuerttemberg.de (aufgerufen am 18.08.2020)

[145] Protokoll des Bundesjugendtages der HDJ am 3. Oktober 2002, S. 2; HDJ-Ausbildungsschrift „Geschichte der Heimattreuen Jugendbewegung”, Heft 2, S. 17; Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2002, S. 122

[146] Funkenflug 03/2003, S. 10

[149] Foto-Archiv Ullenbruch

[150] Sven Ullenbruch: Die Verdunkelung der Aufklärung? In: Hoff/Kleffner/Pichl/Renner: Rückhaltlose Aufklärung? NSU, NSA, BND – Geheimdienste und Untersuchungsausschüsse zwischen Staatsversagen und Staatswohl, Hamburg 2019, S. 127

[151] Klaus-Peter Kaschke war bei der „Deutsch Sozialen Union“ (DSU) aktiv, die als Teil des Wahlbündnisses „Allianz für Deutschland“ an der letzten DDR-Regierung beteiligt war, ehe sie in den 1990er-Jahren in den Rechtspopulismus abglitt. Von 1992 bis 1993 war Kaschke Bundespressesprecher der DSU. 1991 war Kaschke kurzzeitig bei der neurechten „Jungen Freiheit“ (JF) im Ressort Politik tätig.

[153] „Zuerst!“ gilt als Nachfolgeprojekt der beiden rechtsextremen Traditions-Zeitschriften „Nation & Europa“ und „Deutsche Monatshefte“. Der „Zuerst!“-Herausgeber Dietmar Munier war in seiner Jugend bei der NPD-Nachwuchsorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN) und im „Bund Heimattreuer Jugend“ (BHJ) als Funktionär aktiv.

[154] Anlass für die Gründung der Initiative „Kandel ist überall“ war der Femizid an der 15-jährigen Mia V. im Dezember 2017 durch ihren ehemaligen Freund, einen Geflüchteten aus Afghanistan. Daraufhin fanden in der rheinland-pfälzischen Stadt mehrere Demonstrationen statt, an denen sich bis zu 4000 Menschen beteiligten.