Wie passen (Rechts-)Populismus und der Glaube an Verschwörungstheorien zusammen?

Dossier Rechtspopulismus in BW

VertreterInnen rechtspopulistischer Parteien verbreiten in den Sozialen Medien, in Reden und Texten immer wieder Verschwörungstheorien. Dieses Phänomen ist häufig beobachtet, aber bisher kaum systematisch untersucht worden. Der vorliegende Beitrag untersucht daher beispielhaft, wie die Landtagsfraktion der „Alternative für Deutschland“ (AfD) in Baden-Württemberg im Kontext der ersten Covid-19-Welle im Frühling des Jahres 2020 in ihrer parlamentarischen Arbeit Verschwörungstheorien nutzte, um verstärkt Bürger*innen anzusprechen, die mit den Kontaktbeschränkungen zur Eindämmung der Pandemie unzufrieden waren. Die Fallstudie zeigt, dass die AfD-Landtagsfraktion in der Pandemiewelle zu Beginn keine Verschwörungstheorien verbreitete und ihre Rhetorik erst dann verschwörungstheoretisch zuspitzte, als sich mit dem Aufkommen der bundesweiten Proteste gegen die Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens ein Gelegenheitsfenster bot. Dieser abrupte rhetorische Wechsel zeigt, dass die AfD-Landtagsfraktion verschwörungstheoretische Rhetorik strategisch einsetzt, um neue Zielgruppen zu erschließen und ihre selbstgewählte Rolle als Anti-Establishment-Partei zu festigen.

AfD-MdLs Baum, Räpple und Stauch bei der Demo von Querdenken 711 am 09. Mai auf dem Cannstatter Wasen
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AfD-MdLs Christina Baum, Stefan Räpple (mit Plakat) und Hans-Peter Stauch (rechts) bei der Demo von Querdenken 711 am 09. Mai 2020 auf dem Cannstatter Wasen

Die Coronavirus-Pandemie als Nährboden für Verschwörungstheorien

Verschwörung

Am 5. Februar 2020 befasste sich der Landtag von Baden-Württemberg in einer Aktuellen Debatte erstmals mit den möglichen Gefahren durch das neuartige Coronavirus und den geplanten Maßnahmen der Landesregierung zur Eindämmung einer drohenden Massenerkrankung.[1] Bereits in dieser Plenardebatte mutmaßte Heinrich Fiechtner, fraktionsloser Abgeordneter und ehemaliges Mitglied der AfD-Landtagsfraktion: „Was, wenn Corona ein […] vorsätzlich freigesetzter Biokampfstoff ist […] und was, wenn nicht China dahintersteckt, sondern irgendjemand anders, der so ein Virus fabriziert hat?“ (Landtag von Baden-Württemberg 2020a). Wolfgang Gedeon, ebenfalls fraktionsloser Abgeordneter und früheres Mitglied der AfD-Fraktion, orakelte: „Ende 2019 hat ein Institut, das Pirbright Institute, das im Wesentlichen von Pharmafirmen und von der Bill-Gates-Stiftung getragen wird, eine Simulation durchgeführt. Kurz zuvor wurde von diesem Institut ein Virus, ein Coronavirus, patentmäßig angemeldet. […] Das Komische bei der ganzen Sache ist, dass sechs Wochen nach dieser Simulation plötzlich dieses Virus als Pandemie auftaucht. […] Die Frage ‚Ist dieses Virus eine wilde Mutante, oder ist es Engineering, ist es ein Laborprodukt?‘ ist nicht geklärt. […] Da müssen wir natürlich fragen: In welchem Labor? […] Wer sind die geopolitischen Gegner von China? Die Nummer 1 sind hier die USA […].“ (ebd.)

Bereits während dieser beiden Reden war die Kritik an den Äußerungen Fiechtners und Gedeons deutlich wahrnehmbar. Von den Abgeordneten aller anderen Fraktionen, außer der AfD, wurde den beiden Parlamentariern vorgeworfen, Verschwörungstheorien zu verbreiten. Es sind vor allem die folgenden weltanschaulichen und sprachlichen Elemente in den beiden Plenarreden, die sie in den Augen der anderen Parlamentarier*innen[2] als Verschwörungstheorien qualifizierten: Fiechtner und Gedeon unterstellen, dass es sich bei dem Virus SARS-CoV-2 entgegen aller offiziellen Angaben um ein im Labor gezüchtetes Virus handle, das wahlweise gezielt eingesetzt werde, um die Menschen in verschiedenen Teilen der Erde zu infizieren und zu töten, um damit die Bevölkerung in diesen Ländern nachhaltig zu dezimieren, oder um mit einem Impfstoff gegen das Virus Milliarden zu verdienen. Als Drahtzieher hinter dieser Form der Bevölkerungsreduktion werden Pharmakonzerne, der Microsoft-Gründer Bill Gates und die USA vermutet. Bemerkenswert dabei ist, dass sich Fiechtner und Gedeon auf den ersten Blick nicht auf eine bestimmte Sichtweise des Geschehens festzulegen scheinen. Vordergründig stellen sie lediglich Fragen, verweisen auf vermeintliche Ungereimtheiten in der offiziellen Darstellung des Geschehens – deuten aber doch in Richtung eines Plans hinter der Pandemie und benennen dessen mutmaßliche Strippenzieher. Ihre Fragen und Zweifel bleiben gleichwohl immer suggestiv und entwerfen dadurch eine verschwörungstheoretische, alternative Deutung der Coronavirus-Pandemie.[3]

Verschwörungstheorien im (Rechts-) Populismus[4]: Häufig beobachtet und kaum systematisch untersucht

Pfeil nach rechts

Rechtspopulistische Parteien haben in den letzten beiden Jahrzehnten in vielen liberalen Demokratien westlicher Prägung deutliche Zuwächse verzeichnet. Im Zuge dieses allgemeinen rechtspopulistischen Trends haben viele kritische Beobachter*innen darauf hingewiesen, dass führende rechtspopulistische AkteurInnen in der öffentlichen Debatte offenbar immer wieder Verschwörungstheorien verbreiten. Die Zweifel am menschengemachten Klimawandel, die der amerikanische Präsident Donald Trump auf Twitter regelmäßig verbreitet, oder die Einlassungen des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán zur angeblichen Steuerung der europäischen Fluchtkrise durch den ungarisch-stämmigen, jüdischen Investor George Soros sind nur zwei von vielen prominenten Beispielen der jüngeren Vergangenheit.

Ziel dieses Beitrags ist es deshalb, am Beispiel der AfD Baden-Württemberg und der parlamentarischen Praxis ihrer Landtagsfraktion zu erörtern, wie gerade VertreterInnen rechtspopulistischer Parteien in der Bundesrepublik verschwörungstheoretische Narrative nutzen, um AnhängerInnen anzusprechen und ihren politischen Positionen Nachdruck zu verleihen. Dazu soll zunächst dargelegt werden, wie Verschwörungstheorien argumentieren, auf welchen Vorurteilen und Ressentiments sie ihre Argumentation aufbauen, welche Rolle das Internet bei ihrer Entstehung und Verbreitung spielt und wie es um ihre Anhänger*innenschaft bestellt ist. Im zweiten Teil wird exemplarisch gezeigt, wie die AfD Baden-Württemberg ihre selbstgewählte Rolle als Anti-Establishment Partei zu festigen versucht, indem die Landtagsfraktion bei ihrer parlamentarischen Arbeit auf verschwörungstheoretische Narrative zurückgreift.

Merkmale und Argumentationsstruktur von Verschwörungstheorien

Der Tübinger Amerikanistik-Professor Michael Butter, der seit vielen Jahren zu Verschwörungstheorien forscht, versteht Verschwörungstheorien als Erzählungen, die „[…] behaupten, dass eine im Geheimen operierende Gruppe, nämlich die Verschwörer, aus niederen Beweggründen versucht, eine Institution, ein Land oder gar die ganze Welt zu kontrollieren und oder zu zerstören.” (vgl. Butter 2018, S. 21). Ganz grundlegend ausgedrückt stellen Verschwörungstheorien also den argumentativen Versuch dar, weitreichende soziale und politische Ereignisse und deren Folgen durch eine angebliche Verschwörung vollumfänglich zu erklären (vgl. Douglas et al. 2019, S. 4). Ihre argumentative Struktur besitzt dabei feste Merkmale. So gibt es in der Gedankenwelt von Verschwörungstheorien beispielsweise keinen Platz für Zufälle. Neuartige Viren, mit denen Menschen weltweit konfrontiert sind, werden in der verschwörungstheoretischen Logik nicht als Folge bislang ungeklärter, komplexer Übertragungsszenarien von Tieren auf Menschen verstanden, sondern sollen gezielt in Laboren gezüchtet worden sein, weil sie den Verschwörer*innen bei der Verwirklichung ihrer finsteren Pläne nützen. Auch ist in Verschwörungstheorien nie etwas so, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint. Die Kontaktbeschränkungen während der Pandemie dienen nach dieser Denkart nur vordergründig der Eindämmung der Infektionszahlen, während die Verschwörer*innen in Wahrheit die Einschränkungen nutzen, um die demokratischen Grundrechte der Bürger*innen zu beschränken und so die Demokratie zu einer Diktatur umzubauen.

Demokratie Diktatur

Da es in Verschwörungstheorien, wie gesagt, keinen Platz für Zufälle gibt, erscheinen außerdem alle welthistorischen Ereignisse miteinander verbunden. Das Virus SARS-CoV-2 wird so zu einem Puzzlestück in einer groß angelegten Verschwörung, die über Generationen andauern kann. Verschwörungstheorien zur aktuellen Coronavirus-Pandemie reihen sich so oftmals in einen größeren Erzählzusammenhang ein, in dem unterschiedlichste einschneidende Ereignisse und Krisen der vergangenen Jahrzehnte und Jahrhunderte zu Bausteinen eines Plans werden, der letztlich der Übernahme der Weltherrschaft dient.[5] Dadurch unterscheiden sich Verschwörungstheorien von echten Verschwörungen. Real existente Verschwörungen, also „Verbindungen von (mindestens zwei) Personen, die sich unter Wahrung bestimmter Sekretierungsformen zu koordinierten Handlungen verabreden, um gemeinsam bzw. aufeinander abgestimmte Interessen durchzusetzen“ (Klausnitzer 2007, S. 52) werden in regelmäßigen Abständen öffentlich bekannt. Als Beispiele seien Geheimdienstoperationen, Spionage oder geheime Bündnisse in Wirtschaft und Politik genannt. Anders als aktuell einflussreiche Verschwörungstheorien, die sich in den meisten Fällen um weltumspannende Komplotte drehen, haben solche echten Verschwörungen aber eine deutlich geringere zeitliche und räumliche Reichweite und können dadurch von Verschwörungstheorien unterschieden werden (vgl. Butter 2018, 37 f.).

Ein entscheidendes ideelles Merkmal von Verschwörungstheorien ist außerdem der ihnen innewohnende Manichäismus, also die Vorstellung von einem unüberwindbaren Dualismus von Gut und Böse. Verschwörungstheorien imaginieren eine Welt, in der sich gute Mächte („das Volk“) und böse Mächte („die Eliten“) in einem solchen Dualismus gegenüberstehen. 

Bedeutsam für das Verständnis des Phänomens ist zudem das den Verschwörungstheorien zugrundeliegende Menschenbild. Verschwörungstheorien sind ein Produkt der Aufklärung. Sie operieren nicht mit religiösen oder überirdischen Vorstellungen, sondern mit einem traditionellen Menschenbild und den damit zusammenhängenden Annahmen über eine uneingeschränkte menschliche Handlungsfähigkeit.[6] So werden Phänomene wie die Coronavirus-Pandemie in der Gedankenwelt von Verschwörungstheorien zu Ereignissen, die von bestimmten Menschen nach ihrem Willen verursacht wurden. Für multikausale Erklärungsansätze, die systemische Effekte und strukturelle Zwänge mit einbeziehen, ist im verschwörungstheoretischen Weltbild hingegen kein Raum. Im Gegensatz zu den modernen Sozialwissenschaften warten Verschwörungstheorien mit scheinbar eindeutigen Erklärungen für bedeutende Ereignisse auf, was einen entscheidenden Anteil ihrer Attraktivität ausmacht. Indem Verursacher*innen („Pharmakonzerne“, „Bill Gates“, „die USA“) und ihre vermeintlichen Motive („Bevölkerungsreduktion“, „Einschränkung der Grundrechte“, „Abschaffung der Demokratie“) klar benannt werden, bieten auch die Verschwörungstheorien zum Coronavirus ein attraktives Sinn- und Erklärungsangebot für die Pandemie und die durch sie mit verursachte Wirtschaftskrise. Seriöse wissenschaftliche Erklärungsansätze hingegen können dies nicht leisten. Epidemiolog*innen, Sozialwissenschaftler*innen oder Ökonom*innen können lediglich auf das Zusammenspiel multipler Faktoren oder den Zufall verweisen.

Verschwörungstheorien greifen bei der Suche nach Sündenböcken auf bekannte Feindbilder zurück

In ihrer Feindbildkonstruktion greifen Verschwörungstheorien auf bereits weit verbreitete Stereotype innerhalb einer Gesellschaft zurück. Die Verbindung von verschwörungstheoretischen Narrativen und antisemitischen Vorurteilen ist für unterschiedliche Zeitpunkte daher häufig beobachtet und untersucht worden (vgl. Horn/Hagemeister 2012). Während der jüdische US-amerikanische Philanthrop und Investor George Soros im Zentrum vieler Verschwörungserzählungen zum Themenkomplex Integration und Migration steht, haben Verschwörungstheorien im Zuge von Corona den Microsoft-Gründer und Milliardär Bill Gates zur Zielscheibe erkoren.

Gates

Er wird auch in den eingangs zitierten Reden als Strippenzieher hinter der Pandemie genannt. Tatsächlich ist die Bill & Melinda Gates Foundation die größte private Stiftung der Welt, sie stellt unter anderem weltweit Mittel für Impfprogramme zur Verfügung. Auch speist sich das Budget der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu einem nicht unerheblichen Teil aus Mitteln der Stiftung.[7] In der Logik von Verschwörungstheorien zur Coronavirus-Pandemie muss also Bill Gates hinter der Pandemie stecken, da er an einem Impfstoff gegen das Virus noch mehr Geld verdienen würde. Verschwörungstheorien erklären die Dinge immer von ihrem Ende her. Wer von einer Entwicklung vermeintlich profitiert, muss sie also auch verursacht haben.

Zwar ist Bill Gates kein Jude, doch spielt das für die Anschlussfähigkeit der Verschwörungstheorien zum Coronavirus an den Antisemitismus keine Rolle. Indem Verschwörungstheorien einzelne Personen zu Sündenböcken machen, geben sie dem Übel der Welt sozusagen ein Gesicht. In der Geschichte richtete sich der Hass in wirtschaftlichen Krisensituationen immer wieder gegen Milliardär*innen oder „gierige Banker“, denen die alleinige Schuld an diesen Krisen zugeschrieben wurde. Zuletzt hatten solche Vorwürfe in der globalen Finanzkrise ab 2007 Hochkonjunktur. Sowohl das Stereotyp des „jüdischen Wucherers“ als auch das des „Banken-“ oder „Börsenjuden“ hat eine lange kulturelle Tradition. Es entstammt ursprünglich dem Vorurteilsrepertoire des vormodernen christlichen Antijudaismus.[8] Wenn also heute in Verschwörungstheorien die Rede von „gierigen Bankern“ oder „Milliardären“ ist, sollen diese tief verwurzelten antisemitischen Stereotype bei den Adressat*innen hervorgerufen werden.

Welche Rolle spielt das Internet bei der Verbreitung von Verschwörungstheorien?

Nicht erst seit der Coronavirus-Pandemie wird vielfach darüber debattiert, welche Rolle die veränderten Kommunikationsbedingungen des Internetzeitalters allgemein und der Austausch über die Sozialen Medien im Speziellen bei der Verbreitung von verschwörungstheoretischen Inhalten spielen. Viele kritische Beobachter*innen schlussfolgern aufgrund der schieren Masse an verschwörungstheoretischen Alternativmedienangeboten, Youtube-Kanälen oder Messenger-Gruppen, das Internet habe dazu geführt, dass heute viel mehr Menschen an Verschwörungstheorien glauben als in früheren Zeiten. Bei genauerer Betrachtung lässt sich diese Annahme aber nicht uneingeschränkt halten. Viele Studien der letzten Jahre kommen zu dem Ergebnis, dass durch die neuen Kommunikations- und Publikationsbedingungen im Internet verschwörungstheoretische Inhalte nicht in einem so drastischen Maß zugenommen haben wie häufig vermutet. Sie werden durch das Internet in erster Linie sichtbarer. Alternativmedienangebote stehen dort gleichberechtigt neben den Webseiten etablierter Zeitungen oder der öffentlich-rechtlichen Medien. Auch können Suchmaschinen Benutzer*innen zu verschwörungstheoretischen Inhalten leiten, obwohl diese vielleicht gar nicht nach solchen gesucht haben. Gleichgesinnten erleichtern die Sozialen Medien die Vernetzung. Es ist also für Anhänger*innen von Verschwörungstheorien deutlich leichter geworden, miteinander in Kontakt zu treten und sich gegenseitig in den eigenen Ansichten zu bestärken.

Durch all diese Faktoren kann leicht der Eindruck entstehen, das Internet habe die Entstehung von verschwörungstheoretischen Narrativen und Weltdeutungen im Vergleich zu früheren Zeiten befördert und Verschwörungstheorien würden sich daher heute einer immer stärkeren gesellschaftlichen Popularität erfreuen (vgl. Butter 2019, 203ff.; vgl. König 2014). Tatsächlich ist aber genau das Gegenteil der Fall: Bis in die 1950er-Jahre waren Verschwörungstheorien vollkommen legitimes „Wissen“, sie wurden von politischen Eliten genauso geglaubt und verbreitet wie von einfachen Bürger*innen und waren dadurch fest im Mainstream-Diskurs verankert.[9] Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich der Status von Verschwörungstheorien als Wissenskategorie verändert, wie Katharina Thalmann in ihrer kürzlich erschienenen Dissertationsschrift am Beispiel der Vereinigten Staaten eindrücklich nachgezeichnet hat. Sie sind seit dieser Zeit weitestgehend negativ konnotiert und so zu einem Gegenstand öffentlicher Besorgnis geworden (vgl. Thalmann 2019).[10]

Was aber durchaus von den veränderten Kommunikationsbedingungen des Web 2.0 befördert wird, sind sogenannte „Echokammern“ und „Filterblasen“. Manche Nutzer*innen schotten sich in ihren eigenen Echokammern ab und schenken nur noch solchen Informationen Glauben, die sie aus “Alternativmedien” wie „KenFM“, den „NachDenkSeiten“ oder „Rubikon“ beziehen, die für sich in Anspruch nehmen, als einzige die „Wahrheit“ zu berichten. Dieses Verhalten ist vor allem unter den Anhänger*innen von Verschwörungstheorien stark ausgeprägt. Gleichzeitig existieren traditionelle Öffentlichkeiten mit ihren etablierten Medienangeboten weiter. Das Resultat ist eine Zersplitterung der Medienlandschaft und eine Fragmentierung der Öffentlichkeit (vgl. Butter 2018, 191ff.).

Wer an Verschwörungstheorien glaubt

Quantitative Forschungsprojekte, die den Einfluss demografischer Faktoren auf den Glauben an Verschwörungstheorien untersuchen, kommen relativ übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass Faktoren wie Alter, Bildung oder sozioökonomischer Status kaum Einfluss darauf haben, ob eine Person Verschwörungstheorien zuneigt oder nicht. Einen Einfluss entfalten hingegen Faktoren wie die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit[11] oder die Selbstverortung in einer politischen Außenseiter*innenposition, wie sie etwa AnhängerInnen der AfD für sich vornehmen. Angehörige dieser Gruppen verspüren häufig ein Gefühl der Machtlosigkeit, schätzen beispielsweise ihren politischen Einfluss als gering ein oder sehen ihren sozioökonomischen Status bedroht. Bei den Angehörigen ethnischer Minderheiten ist diese Selbstverortung aufgrund vielfältiger realer Diskriminierungserfahrungen durchaus nachvollziehbar. Anders verhält es sich bei den AnhängerInnen populistischer Parteien und Bewegungen.

Studien zur Wählerschaft populistischer Parteien zeigen: Nicht Menschen, die tatsächlich marginalisiert oder von Statusverlust bedroht sind, neigen in besonderem Maße dem Populismus zu, sondern solche, die ihre eigene Position subjektiv so wahrnehmen. Hier zeigt sich also eine wichtige Parallele zwischen Verschwörungstheorien und (Rechts-)Populismus. Bei beidem scheinen Gefühle subjektiver Machtlosigkeit eine große Rolle zu spielen. Dabei muss es nicht nur um Sorgen vor Jobverlust und ökonomischem Abstieg gehen. Auch die Angst vor dem Verlust geschlechts- oder herkunftsspezifischer Privilegien angesichts eines allgemeinen gesellschaftlichen Wertewandels und demografischer Veränderungen können das Gefühl der subjektiven Machtlosigkeit befördern (vgl. Butter 2018, 116 f.).

Parallele

Die sozialpsychologische Forschung zu Verschwörungstheorien geht davon aus, dass der Glaube an Verschwörungstheorien für das Individuum wichtige epistemische, soziale und existenzielle Funktionen erfüllt, indem er soziale Prozesse erklärbar macht und sie dadurch leichter zu verarbeiten sind (vgl. Douglas et al. 2019, 6ff.). Verschwörungstheorien können also besonders für Menschen, die ihre eigene Position in der Gesellschaft aufgrund tiefgreifender Veränderungsprozesse als bedroht wahrnehmen, attraktiv sein, da sich durch sie die Prozesse als Produkt einer Verschwörung erklären und damit zusammenhängende Ängste verarbeiten lassen.

Was Verschwörungstheorien und (Rechts-) Populismus miteinander verbindet

Menschen, die Verschwörungstheorien zuneigen, sind offenbar auch anfälliger für (rechts-)populistische Positionen. Wie lässt sich dieser Zusammenhang erklären? Auffällig ist vor allem eine strukturelle Gemeinsamkeit, die Verschwörungstheorien und (Rechts-)Populismus teilen: In ihrem ideologischen Kern gehen beide Phänomene davon aus, dass es einen unüberwindbaren Gegensatz zwischen einer moralisch verkommenen, korrupten Regierungselite gibt, der ein tugendhaftes und in seinen Werten und politischen Zielen geeintes Volk gegenüber steht.[12] Folgt man der (rechts-)populistischen Argumentation, so haben sich die Regierungseliten vom „Volk“ abgewandt und verfolgen stattdessen eigene Macht- und Geldinteressen. Verschwörungstheorien greifen diese Vorstellung auf und gehen dabei noch einen Schritt weiter: Die Regierungseliten kümmern sich nicht mehr um die Interessen des „Volkes“, weil sie in Wahrheit anderen Mächten dienen (vgl. Butter 2018, 170ff.).

Aus Sicht von (Rechts-)PopulistInnen und Verschwörungstheoretiker*innen gilt es also die Elite abzusetzen, damit der „Wille des Volkes“ artikuliert und durchgesetzt werden kann. Rechtspopulismus und Verschwörungstheorien vereint also ihre dualistische, moralisch aufgeladene Sicht auf politische Machtverhältnisse einerseits und ihr antipluralistisches, organisches Verständnis des „Volkes“ anderseits, in dem es keinen Platz für Andersdenkende oder die partikularen Interessen von Angehörigen ethnischer, religiöser oder sexueller Minderheiten gibt. Sowohl (Rechts-)PopulistInnen als auch Verschwörungstheoretiker*innen nehmen für sich in Anspruch, den „Willen des Volkes“ zu artikulieren (vgl. Decker 2011, 40f.). Hieran anknüpfend fordern beide Gruppen einen Umbau der parlamentarischen Demokratie in ein System direkter Demokratie. Gäbe es zu allen politischen Fragen direktdemokratische Abstimmungen, so die von ihnen geteilte Argumentation, würde sich politisches Handeln wieder am „gesunden Menschenverstand“ orientieren, statt an den Interessen lauter und einflussreicher Lobbys. Dies würde politische Resultate hervorbringen, die von allen Mitgliedern des „Volkes“ befürwortet würden.

Gemeinsam ist beiden Phänomenen auch ein inhärenter Konservatismus. AnhängerInnen rechter Verschwörungstheorien und RechtspopulistInnen wollen tiefgreifende und langwierige gesellschaftliche Veränderungsprozesse im Zuge vielfältiger klassen-, geschlechts- und ethnizitätsbezogener Emanzipationsprozesse aufhalten beziehungsweise umkehren.[13] Dadurch soll ein imaginierter, harmonischer gesellschaftlicher Urzustand wiederhergestellt werden, in welchem alle Menschen ihre naturgegebene Rolle ausüben. Beide Phänomene vereinfachen politische Prozesse radikal, indem sie das Akteur*innenfeld stark reduzieren. Dadurch gelingt es ihnen, vermeintlich eindeutige und umfassende Erklärungen für politische Transformationsprozesse anzubieten. Sie sind damit gleichermaßen Reaktionen auf Ängste vor einem Statusverlust (vgl. Butter 2018, 175 f.).

Der amerikanische Verschwörungstheorie-Experte Mark Fenster hat Verschwörungstheorien als ein „nicht-notwendiges Element“ des Populismus beschrieben (vgl. Fenster 2008, 84ff.).[14] Gemeint ist, dass populistische Ideologien theoretisch auch ohne Verschwörungstheorien auskommen können und es viele Fälle gibt, in denen populistische Parteien und Bewegungen sich nicht verschwörungstheoretischer Narrative bedienen. Verschwörungstheorien auf der anderen Seite sind in ihrem Kern aber immer populistisch, da für sie die oben beschriebene Volk-Elite-Dichotomie konstitutiv ist. Michael Butter hat Fensters These hinsichtlich der Struktur der Anhänger*innenschaft (rechts-)populistischer Parteien und Bewegungen ergänzt. Nach Butter sind (rechts-)populistische Parteien und Bewegungen besonders gut darin, Verschwörungstheoretiker*innen zu integrieren. Sie sind stärker als andere politische Kräfte dazu bereit, mit Zweifler*innen oder überzeugten Verschwörungstheoretiker*innen zusammenzuarbeiten und entsprechende Stimmen in ihren Reihen zu dulden.

Aluhüte

(Rechts-)PopulistInnen und Anhänger*innen von Verschwörungstheorien eint, dass ihre Überzeugungen im vorherrschenden Diskurs als falsch und gefährlich gelten und dadurch stigmatisiert sind. Diese Stigmatisierungserfahrung wird mitunter von beiden Gruppen affirmativ verarbeitet, indem die Fremdbezeichnungen wie „Populisten“, „Rechte“ oder sogar „Nazis“ beziehungsweise „Aluhutträger“, „Schwurbler“ oder „Verschwörungstheoretiker“ als Beleg dafür herangezogen werden, dass man einer unbequemen Wahrheit auf der Spur sei und den herrschenden Eliten dadurch gefährlich werde; diese verstünden sich nur zu helfen, indem sie die unliebsamen Kritiker*innen zu diskreditieren versuchten. Gerade weil beide Phänomene im vorherrschenden Diskurs stigmatisiert sind, bieten sie sich im besonderen Maß dafür an, um die eigene Rolle als Systemkritiker*in oder Advokat*in unbequemer Wahrheiten weiter zu festigen (vgl. Butter 2018, 175ff.). Wie sich dies in der parlamentarischen Praxis einer rechtspopulistischen Partei in der Bundesrepublik niederschlägt, beleuchtet der nächste Abschnitt am Beispiel der baden-württembergischen Landtagsfraktion der AfD.

Wie sich die AfD in Baden-Württemberg Verschwörungstheorien zunutze macht

Zum Zeitpunkt der eingangs zitierten Plenardebatte von Anfang Februar war für die allermeisten Beteiligten wohl nicht vorstellbar, dass nur wenige Wochen später, ab Mitte März, bundesweit weitreichende Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung gelten würden, die die Ausbreitung des Virus abschwächen und sicherstellen sollten, dass die Gesundheitssysteme die Versorgung Infizierter leisten können. In allen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen hatten die Maßnahmen weitreichende Folgen. Für die Regierung bedeutete dies eine Vielzahl neuer Verordnungen, die das öffentliche Leben in der Pandemiesituation regeln sollten, sowie umfangreiche Programme zur wirtschaftlichen Soforthilfe. Krisenzeiten gelten gemeinhin als Zeit der Exekutive. Die Oppositionsparteien hingegen mussten ihre Rolle in der außergewöhnlichen Pandemiesituation erst neu finden, so auch die AfD Baden-Württemberg und ihre Landtagsfraktion.

Betrachtet man Pressemitteilungen, Positionspapiere und parlamentarische Initiativen der AfD-Landtagsfraktion mit Bezug zur Coronavirus-Pandemie seit dem Auftreten der ersten Infektionsfälle in Deutschland[15], so fällt auf, dass populistische Äußerungen und verschwörungstheoretische Deutungen zu Beginn kaum zu finden waren. Erst Mitte April, im Zuge der vielerorts stattfindenden Proteste gegen die Kontaktbeschränkungen, bei denen die Stuttgarter Initiative „Querdenken 711“ bundesweit den größten Zulauf hatte, lassen sich vermehrt solche Deutungen in der Außenkommunikation der Fraktion und der einzelnen Abgeordneten finden.

Zu Beginn der Kontaktbeschränkungen setzte die AfD-Landtagsfraktion darauf, dass das Pandemie-Management von Landes- und Bundesregierung in Bezug auf die Eindämmung der Infektionszahlen, die Gewährung wirtschaftlicher Hilfen für betroffene Branchen und die Versorgung Infizierter wesentliche Mängel offenbaren würde, und gestaltete auch ihre Öffentlichkeitsarbeit dementsprechend. In Pressemitteilungen forderte sie den Gesundheitsminister Manfred Lucha (GRÜNE) auf, „das Virus endlich ernst zu nehmen“ (vgl. AfD Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg 2020d), oder kritisierte die im Raum stehenden Summen für den ersten Nothilfeplan des Landes als „völlig unzureichend“ (vgl. AfD Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg 2020f). Gängige an Verschwörungstheorien angelehnte Vorwürfe, in denen den Regierungsparteien eine Desinformation der Bevölkerung vorgeworfen wird oder allen anderen Parteien unterstellt wird, im Geheimen zusammenzuarbeiten, um die AfD auszugrenzen, also ein „Parteienkartell“ zu bilden, finden sich in dieser Phase nicht.

Als dann am 19. März mit der Feststellung der Naturkatastrophe[16] und dem Beschluss eines Nachtragshaushalts die Voraussetzungen für das erste Soforthilfeprogramm des Landes geschaffen wurden, verstand die AfD-Fraktion dies als Chance, um aus ihrer selbstgewählten Rolle als Fundamentalopposition herauszutreten. Der Fraktionsvorsitzende Bernd Gögel betonte in seiner Rede gegenüber dem Ministerpräsidenten, die AfD-Fraktion werde „[…] selbstverständlich Ihrem Wunsch nachkommen, die Naturkatastrophe hier zu bestätigen und damit die Handlungsfähigkeit des Landes Baden-Württemberg aufrechtzuerhalten. Das ist überhaupt keine Frage“. (Landtag von Baden-Württemberg 2020b, S. 7105). Die Abgeordnete Christina Baum fragte an den Fraktionsvorsitzenden der FDP/DVP-Fraktion, Hans-Ulrich Rülke, gerichtet: „Sehen Sie jetzt den Zeitpunkt für gekommen, dass wir wirklich gemeinsam – also alle Fraktionen in diesem Parlament – zusammenarbeiten sollten, oder schließen Sie die AfD weiterhin aus?“ (ebd.: 7109). Am interfraktionellen Gesetzentwurf von GRÜNEN, CDU, SPD und FDP/DVP zur Feststellung der Naturkatastrophe, der die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen für den Nachtragshaushalt und damit die Soforthilfen schuf, wurde die AfD gegen ihren ausdrücklichen Wunsch aber nicht beteiligt. Es folgte daraufhin ein Wechsel in Strategie und Rhetorik. In einer Pressemitteilung bezeichnete man die anderen Fraktionen nun wieder als „Altparteienapparat“, der „verantwortungslos und zutiefst undemokratisch“ handle, und warf ihnen vor, „ideologische Ausgrenzung“ zu betreiben (AfD Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg 2020e).

Bezüglich ihrer Programmatik versuchte die AfD-Landtagsfraktion in dieser Hochphase des Pandemiegeschehens vor allem durch einen bunten Strauß wirtschafts- und finanzpolitischer Forderungen zu punkten. So beantragte sie etwa eine Haushaltssperre, forderte Steuerbefreiungen für bestimmte Branchen sowie eine bundesweite Senkung der Mehrwertsteuer und forderte Anfang April, dass „[…] die jungen, robusten Bevölkerungsgruppen wie Kinder, Schüler und Studenten den schulischen und universitären Betrieb wiederaufnehmen und der Einzelhandel, die Gastronomie nebst Beherbungsbetrieben sowie Frisöre und Gesundheitsunternehmen wiedereröffnet werden“. (AfD Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg 2020a). Allerdings fanden diese programmatischen Impulse der AfD in der öffentlichen Debatte kaum Widerhall. Wie auch die anderen Oppositionsparteien hatte die AfD Baden-Württemberg damit zu kämpfen, dass sich die öffentliche Aufmerksamkeit fast ausschließlich auf das Pandemiemanagement der Bundes- und Landesregierung richtete. Zudem wird der AfD, anders als etwa den anderen Oppositionsfraktionen SPD und FDP/DVP, kaum Kompetenz in diesen Politikbereichen sowie im Krisenmanagement zugeschrieben. Die Partei gilt noch immer als unerfahren. Dies zeigte sich auch in den Umfragewerten vom April 2020 für Baden-Württemberg, in denen die AfD zwei Prozentpunkte im Vergleich zum Vormonat einbüßte.[17]

Ab Mitte April mehrten sich dann bundesweit Proteste gegen die bestehenden Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens. In Stuttgart demonstriert seit dieser Zeit die Initiative „Querdenken 711“ unter dem Motto „Wir für das Grundgesetz“ und konnte damit im Mai etwa 10.000 Menschen zu einer Kundgebung auf dem Cannstatter Wasen mobilisieren, was bis dato die größte Demonstration dieser Art in der Bundesrepublik darstellt. Auch wenn es sich bei den Demonstrationen um ein heterogenes Protestgeschehen handelt, das lokal organisiert wird und nur einen sehr geringen Grad überregionaler Koordination aufweist, war für Beobachter*innen doch von Beginn an die hohe Akzeptanz alternativer und verschwörungstheoretischer Deutungen, speziell zum Thema „Impfen“, auf allen Protesten auffallend. Bei „Querdenken 711“ und ähnlichen Protesten demonstrieren Menschen, die größtenteils vorher noch nicht politisch aktiv waren und keine Parteienpräferenz aufweisen. Parteien und andere etablierte politische Organisationen, wie beispielsweise Gewerkschaften, werden von den Protestierenden genauso als Hindernis auf dem Weg zu einer geeinten und friedlichen Gesellschaft wahrgenommen wie die Unterteilung in die politischen Kategorien rechts und links. Die von Bundes- und Landesregierungen getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Infektionen werden als Instrumente begriffen, mit denen in Wahrheit die Rechte der Bürger*innen dauerhaft eingeschränkt werden sollen, mit dem Ziel, die Bundesrepublik in eine Diktatur umzuwandeln. Hinsichtlich der Forschungen zu einem Impfstoff gegen das Virus SARS-CoV-2 haben Verschwörungstheorien bei den Protestierenden hohe Akzeptanz. Besonders die eingangs zitierte Verschwörungstheorie, nach der Bill Gates als Drahtzieher und Nutznießer der Pandemie vermutet wird, ist bei den Protesten allgegenwärtig.[18]

Die AfD-Fraktion in Baden-Württemberg hat schon früh versucht, an das Demonstrationsgeschehen und die Themen der Proteste anzuknüpfen. Auch die Rhetorik ihrer Pressemitteilungen änderte sich hin zu einer stärker konspirationistischen und populistischen Zuspitzung. So kritisierte die Fraktion ab der zweiten Aprilhälfte die neu eingeführte Maskenpflicht in Geschäften, öffentlichen Gebäuden und Verkehrsmitteln zunächst nur als „massive Grundrechtseinschränkung“, die gesundheitliche Risiken berge und die nonverbale Kommunikation erschwere (AfD Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg 2020c). Nur wenige Tage später warnte sie allerdings bereits vor einer „Zwangsimpfung“ im Zuge einer „Gesundheits- und Hygienediktatur“ (AfD Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg 2020b)[19] und vor „Zwangsimpfung und Überwachungsstaat durch die Hintertür“ (AfD Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg 2020g). Besonders nachdem ein Mitglied der AfD-nahen Arbeitnehmer*innenvertretung „Zentrum Automobil“ am Rande einer Demonstration angegriffen worden war, solidarisierte die Partei sich mit den Protesten. Auch an den Demonstrationen von „Querdenken 711“ nahmen Mitglieder der AfD-Landtagsfraktion mehrfach teil. Bei „Querdenken 711“ sind generell keine Fahnen und Symbole von Parteien erwünscht, weshalb sie dort nicht öffentlichkeitswirksam in Erscheinung treten konnten. Der AfD-Landtagsabgeordnete Stefan Räpple sowie der Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier riefen daher zu eigenen Demonstrationen gegen die Kontaktbeschränkungen in Offenburg und Sindelfingen auf, zu denen sie jeweils aber nicht mehr als etwa 30 TeilnehmerInnen mobilisieren konnten. Der ehemalige AfD-Landtagsabgeordnete und Stuttgarter Stadtrat Heinrich Fiechtner meldete Kundgebungen und Demonstrationen in Stuttgart an, die ebenfalls nur auf geringen Zuspruch stießen. Auch die AfD Baden-Württemberg rief unter dem Motto „Schutz der Grundrechte in Zeiten von Corona“ zu einer Kundgebung in Stuttgart auf, bei der die Landes- und Bundesvorsitzende Alice Weidel sprach.[20] Weidel deutete die negative Presseberichterstattung über die Demonstrationen als Versuch von Politik und Medien, die Kritik an den Kontaktbeschränkungen zu diskreditieren.[21]

Deutschland, Baden-Württemberg, Stuttgart, 24.05.2020: Alice Weidel (AfD, Stellvertretende Bundessprecherin und Sprecherin des AfD-Landesverbandes Baden-Württemberg) // AfD demonstriert in Stuttgart gegen die Corona-Auflagen. Die Demonstration war zunächst von der Stadt verboten und erst vom Verwaltungsgerichtshof unter strengen Auflagen genehmigt worden. Zugelassen waren 100 Teilnehmer. Ein starkes Polizeiaufgebot verhinderte ein Zusammentreffen mit Demonstranten aus dem linken Spektrum.
Deutschland, Baden-Württemberg, Stuttgart, 24.05.2020: Alice Weidel (AfD, Stellvertretende Bundessprecherin und Sprecherin des AfD-Landesverbandes Baden-Württemberg) // AfD demonstriert in Stuttgart gegen die Corona-Auflagen. Die Demonstration war zunächst von der Stadt verboten und erst vom Verwaltungsgerichtshof unter strengen Auflagen genehmigt worden. Zugelassen waren 100 Teilnehmer. Ein starkes Polizeiaufgebot verhinderte ein Zusammentreffen mit Demonstranten aus dem linken Spektrum.

Anhand dieser Skizzierung des Umgangs der AfD Baden-Württemberg und ihrer Landtagsfraktion mit der Coronavirus-Pandemie zeigt sich, dass die AfD nicht zu allen Zeitpunkten seit Beginn der Pandemie gleichermaßen auf populistische und verschwörungstheoretische Rhetorik und Inhalte zurückgriff. Zu Beginn versuchte sie mit sachlichen Vorschlägen zu punkten, konnte damit in der öffentlichen Wahrnehmung aber kaum Erfolge erzielen. Dies mag vor allem auch dem Umstand geschuldet sein, dass über die Arbeit von Oppositionsfraktionen in außergewöhnlichen Krisensituationen kaum berichtet wird. Mit dem Aufkommen der Proteste gegen die Beschränkungen zur Eindämmung der Infektionszahlen änderten auch die AfD Baden-Württemberg und ihre Landtagsfraktion ihre Strategie. Aufgrund ihrer starken Ablehnung gegenüber etablierten Parteien und ihrem Misstrauen gegenüber politischen Entscheidungsträger*innen begriffen sie die Protestierenden als neue Zielgruppe. Die Offenheit der Bewegung für Verschwörungstheorien machte sich die AfD zunutze und griff die vorherrschenden Theorien zu den Aspekten „Impfen“ und „Beschränkung der Demokratie“ auf. Sie ist auch in ihrer Rhetorik zu bekannten Mustern zurückgekehrt, indem sie sich wieder stärker als Opposition zu allen etablierten Parteien darstellt, denen sie ein gemeinsames, koordiniertes Handeln zum Schaden der AfD und der Bevölkerung unterstellt. Der Landtagsabgeordnete Stefan Räpple bringt die Strategie der AfD in einem kurzen Video, das er am Rande der „Querdenken 711“-Kundgebung vom 9. Mai drehte, selbst auf den Punkt: „Hier sind Linke, Rechte, PEGIDA-Leute, Verschwörungstheoretiker, alles zusammen, und uns eint die Wut auf unsere Regierung. Die Regierung verarscht nämlich uns alle. Nämlich die Regierung, die möchte nur ihre Knete verdienen und Ruhe haben, ja. Und die sind nur Marionetten der großen Kartelle der Pharmaindustrie, der Rüstungsindustrie. Und genau das erleben wir. Und jetzt wachen die Menschen endlich auf und ich hoffe, auch du wachst auf. Also, schließ‘ dich uns an! Bilde ‚ne Querfront und geh‘ zu einer Demo, irgendwo bei euch im Dorf oder in der Stadt, macht eigene Demos. Alle gegen die Regierung. Wir schaffen das!“ (Räpple 2020). Ob die AfD Erfolg haben wird, die Protestierenden bei zukünftigen Wahlen tatsächlich für sich zu gewinnen, bleibt fraglich. Zu sehr scheinen diese generell von Parteien entfremdet zu sein. Mit den aktuell in der Gründung begriffenen Parteien „Widerstand 2020“ um den Leipziger Anwalt Ralf Ludwig und „Wir 2020“ um den Sinsheimer HNO-Arzt Bodo Schiffmann, die beide enge Kontakte zu „Querdenken 711“ unterhalten, gibt es außerdem bereits eine politische Gruppierung, die die Themen der Proteste aufgreift und unter den Protestierenden ein hohes Ansehen genießt. Zudem hat der Gründer von „Querdenken 711“, Michael Ballweg, angekündigt, bei der Stuttgarter Oberbürgermeister*innenwahl im November 2020 als unabhängiger Kandidat anzutreten. Die eigenen Versuche der AfD, unter dem eigenen Parteilabel Demonstrationen gegen die Kontaktbeschränkungen im Zuge der Coronavirus-Pandemie zu veranstalten, können für Baden-Württemberg zum jetzigen Zeitpunkt als gescheitert angesehen werden.

Der Wechsel von einer sachpolitischen Orientierung zu einer populistischen sowie verschwörungstheoretischen Rhetorik zeigt exemplarisch, dass die AfD Baden-Württemberg und ihre Landtagsfraktion sich nicht scheuen, den Modus Operandi schlagartig zu wechseln. Sie haben die Gruppe der politisch Entfremdeten, welche auch Verschwörungstheorien zuneigen, als Zielgruppe erkannt und versuchen diese anzusprechen, sobald sich entsprechende Gelegenheitsfenster bieten.[22] Verschwörungstheoretische Inhalte werden von der AfD strategisch genutzt, um die eigene Rolle als Anti-Establishment-Partei zu festigen. Interessanterweise werden Verschwörungstheorien von den AfD-AkteurInnen hierbei allerdings selten als vollständige Narrative verbreitet, sondern finden sich lediglich als Andeutungen in Reden oder Texten. Die verschwörungstheoretischen Codes senden jedoch klare Signale an Menschen, die empfänglich für eine von Verschwörungstheorien geprägte Weltsicht sind. Diese Codes können so also von AfD-VertreterInnen, die möglicherweise selbst nicht an die Inhalte glauben, gezielt eingesetzt werden, um neue Zielgruppen anzusprechen. 

Der strategische Einsatz von Verschwörungstheorien funktioniert aber auch in die entgegengesetzte Richtung: Indem die Andeutungen immer vage bleiben, können Akteur*innen, die möglicherweise selbst an Verschwörungstheorien glauben, auch Personen erreichen, die Verschwörungstheorien skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen. Die AfD bleibt damit bezüglich ihrer AnhängerInnenschaft und ihrer Akteursebene offen für beide Gruppen.


Literaturverzeichnis

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(aufgerufen am 31.05.2020)

AfD Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg (2020d): Pressemitteilung: Dr. Christina Baum MdL: Minister Lucha muss das Coronavirus endlich ernst nehmen – Hannover Messe muss abgesagt werden
https://bit.ly/3eE42Kh
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AfD Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg (2020e): Pressemitteilung. Dr. Christina Baum MdL: Ideologie statt Verstand – Ausgrenzung der AfD wichtiger als Menschenleben
https://www.afd-fraktion-bw.de/aktuelles/3096/Dr.+Christina+Baum%3A+Ideologie+statt+Verstand+-+Ausgrenzung+der+AfD+wichtiger+als+Menschenleben (aufgerufen am 31.05.2020)

AfD Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg (2020f): Pressemitteilung. Dr. Rainer Podeswa MdL: Beim Nothilfefonds nicht knausern! https://afd-fraktion-bw.de/aktuelles/3090/Dr.+Rainer+Podeswa+MdL%3A+Beim+Nothilfefonds+nicht+knausern%21 (aufgerufen am 30.05.2020)

AfD Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg (2020g): Pressemitteilung. Dr. Christina Baum MdL: Zwangsimpfung und Überwachungsstaat durch die Hintertür – nicht mit uns! (aufgerufen am 31.05.2020)

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[1] Die Debatte fand zu einem Zeitpunkt statt, als es noch keine amtlich bestätigten Infektionsfälle im Land gab. In der Bundesrepublik war am 27. Januar erstmalig eine Infektion in Bayern bestätigt worden. 

[2] Die Autorin dieses Beitrages hat sich entschieden, auf gendergerechte Sprache zu verzichten, wenn im Folgenden von Vertreterinnen und Vertretern rechtspopulistischer Parteien im Allgemeinen und der AfD im Speziellen und ihrer AnhängerInnenschaft die Rede sein wird. Diese Gruppen sind selbst der Meinung, dass eine reine Zweigeschlechtlichkeit von Männern und Frauen existiert, verwenden durchgehend das generische Maskulinum und verneinen die Existenz sozialer Geschlechter. Es wäre aus Sicht der Autorin daher irreführend, mit Genderstern zu gendern, um nicht-binären Geschlechtsidentitäten in diesen Gruppen Rechnung tragen zu wollen. Wird im Folgenden von diesen Gruppen die Rede sein, wird das Binnen-I verwendet. Bei allen anderen Personen dagegen wird der Genderstern verwendet.

[3] Zwar sind sowohl Heinrich Fiechtner als auch Wolfgang Gedeon nicht mehr Teil der AfD-Landtagsfraktion und auch nicht mehr Parteimitglieder der AfD. Gedeon wurde aufgrund verstärkten öffentlichen Drucks hinsichtlich seiner antisemitischen Schriften aus Fraktion und Partei ausgeschlossen. Beim Bruch mit Fiechtner standen vor allem interne Streitigkeiten mit FraktionskollegInnen im Vordergrund. Das bedeutet aber nicht, dass mit dieser formalen Trennung auch die informelle Zusammenarbeit der beiden Abgeordneten mit ihren ehemaligen Fraktions- und ParteikollegInnen ein Ende gefunden hätte. Gedeon und Fiechtner sind nach wie vor mit der AfD vernetzt, sie stellen jeweils regelmäßig mit einzelnen Parteimitgliedern gemeinsame Anträge im Parlament oder auf Bundesparteitagen der AfD. Wolfgang Gedeon hielt mehrere gemeinsame Pressekonferenzen mit dem AfD-Landtagsabgeordneten Stefan Räpple ab. Gedeon nahm zudem in der Vergangenheit häufig als Gast an Arbeitskreis-Sitzungen seiner ehemaligen Fraktion teil, er besitzt den formalen Status eines Gastes in den Arbeitskreisen der AfD-Fraktion. Als fraktionslosen Abgeordneten steht Gedeon und Fiechtner in den Plenarsitzungen des Landtags ein besonderes Rederecht zu. Dieses nutzen sie regelmäßig, um das, was von der AfD in der Debatte bereits gesagt wurde, noch einmal zu bekräftigen. Die Autorin dieses Beitrags bewertet den Bruch zwischen AfD, AfD-Landtagsfraktion und den Parlamentariern Fiechtner und Gedeon daher als eine rein vordergründige Distanzierung, mit der Partei und Fraktion das Ziel verfolgten, sich für eine verbesserte öffentliche Wahrnehmung umstrittener Personalien zu entledigen. Die hier zitierten Reden von Gedeon und Fiechtner können aufgrund der fortbestehenden inhaltlichen und personellen Nähe zur AfD daher durchaus als Beispiele für AfD-nahe Verschwörungstheorien herangezogen werden. Fiechtner und Gedeon eint überdies, dass sie beide eine medizinische Ausbildung haben und vor ihrem Wechsel in die Politik langjährig als Ärzte tätig waren. Auf die hieraus resultierende Glaubwürdigkeit und Autorität in medizinischen Fragen verweisen sie und ihnen zugeneigte ParlamentskollegInnen der AfD-Fraktion wiederholt.

[4] Populismus existiert sowohl in linker als auch in rechter politischer Ausrichtung. Der vorliegende Beitrag konzentriert sich auf den Rechtspopulismus, da dieser, anders als der Linkspopulismus, in der Bundesrepublik in den vergangenen Jahren hohe Zuwächse verzeichnen konnte und dadurch eine besondere Relevanz entfaltet hat. Mit der AfD ist heute eine rechtspopulistische und in Teilen rechtsextreme Partei in vielen Kommunalparlamenten, allen Landesparlamenten und im Bundestag vertreten. Wie auch der Rechtspopulismus positioniert sich der Linkspopulismus antagonistisch zu politischen Eliten. Ihm fehlen aber in der Regel die für den Rechtspopulismus maßgeblichen Elemente gesellschaftlicher Exklusion und Hierarchisierung sowie Rassismus. Dem Umstand, dass viele der Aussagen, die im Folgenden zum Zusammenhang von Verschwörungstheorien und Populismus am Beispiel der AfD getroffen werden, theoretisch auch auf einen Populismus linker Spielart zutreffen würden, soll durch die Schreibweise „(Rechts-)Populismus“ Rechnung getragen werden. Trifft ein Phänomen ausschließlich auf einen Populismus rechter politischer Ausrichtung zu, wird stattdessen die Schreibweise „Rechtspopulismus“ verwendet.

[5] Der amerikanische Politikwissenschaftler Michael Barkun hat Verschwörungstheorien auf ihre gemeinsamen Merkmale hin untersucht, vgl. Barkun (2013, 3 f.).

[6] Zur Entstehung von Verschwörungstheorien als neue Denkfiguren in der Frühen Neuzeit, welche in dieser Zeit zunehmend die Erklärungsaufgaben teleologischer Weltbilder übernehmen, vgl. Klausnitzer (2007).

[7] Die WHO finanziert sich zu 14 Prozent aus Mitteln der „Bill & Melinda Gates Foundation“. Zu etwa 80 Prozent ist sie generell abhängig von Spenden wohlhabender Regierungen und Stiftungen. Fast alle dieser Spenden sind zweckgebunden, vgl. Kruchem (2018).

[8] Aufgrund des kirchlichen Zinsverbots für Christen und vor allem wegen des Ausschlusses von Juden aus den Zünften sowie wegen des im Mittelalter und der Frühen Neuzeit vielerorts herrschenden Verbots des Landbesitzes waren Juden seit dem europäischen Mittelalter ökonomisch auf Geldverleih angewiesen und spezialisiert. Das brachte ihnen Hass von Seiten der christlichen Mehrheitsgesellschaft ein und prägte das Bild des „Wucherjuden“.

[9] So gründete etwa die Ideologie des Nationalsozialismus der 1930er-Jahre maßgeblich auf der Vorstellung einer „Jüdisch-Bolschewistischen Weltverschwörung“. Zu nennen sind hier aber beispielsweise auch Verschwörungstheorien der 1950er-Jahre in den USA, die eine kommunistische Verschwörung zum Thema hatten („Red Scare“).

[10] Die Gründe für diesen Statuswechsel und die damit einhergehende Stigmatisierung von Verschwörungstheorien im öffentlichen Diskurs sind vielfältig und lassen sich vor allem auf Veränderungen in der Produktion, Zirkulation und dem Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen, speziell in den Sozialwissenschaften, zurückführen, vgl. Thalmann (2019, S. 30).

[11] In einer frühen psychologischen Studie zu den individuellen Faktoren beim Glauben an Verschwörungstheorien konnte nachgewiesen werden, dass in den USA Verschwörungstheorien besonders unter afroamerikanischen und hispanischen Menschen verbreitet sind. Erklärt werden kann die erhöhte Bereitschaft dieser Gruppen, an eine Verschwörung zu glauben, durch die realen Diskriminierungserfahrungen, die Angehörige ethnischer Minderheiten auch heute noch machen, vgl. Goertzel (1994).

[12] Für eine systematische Diskussion der Merkmale des Populismus, die den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde, vgl. Mudde (2004), Mudde/Rovira Kaltwasser (2017) sowie Rovira Kaltwasser (2019).

[13] An dieser Stelle unterscheidet sich der Rechtspopulismus auch deutlich vom Linkspopulismus, dem in der Regel ein utopischer Gesellschaftsentwurf zugrunde liegt, in dem gesellschaftliche Hierarchien aufgelöst und nicht zementiert werden sollen. 

[14] Fenster unterscheidet hier nicht explizit zwischen Rechts- und Linkspopulismus.

[15] Der Zeitpunkt der Betrachtung reichte vom 27. Januar 2020 (erste bestätigte Infektion in Bayern) bis zum 31. Mai 2020.

[16] Die Feststellung einer Naturkatastrophe nach § 18 Absatz 6 Satz 2 der Landeshaushaltsordnung schafft die haushaltsrechtlichen Möglichkeiten zur Aufnahme zusätzlicher Kredite im Falle einer Naturkatastrophe oder außergewöhnlichen Notsituation. 

[17] Auch die anderen Oppositionsparteien sowie die Grünen verzeichneten in dieser Umfrage keine Zuwächse, sondern verbuchten zumeist leichte Verluste. Lediglich die CDU konnte mit +7 Prozentpunkten einen deutlichen Zuwachs verbuchen, was auf einen allgemeinen Bundestrend in der Pandemiesituation zurückgeführt werden kann, vgl. Infratest dimap.

[18] Die Autorin hat als teilnehmende Beobachterin die Proteste von „Querdenken 711“ besucht und analysiert.

[19] „Dass die Gesundheitsdiktatur uns so lange quälen wird, bis wir die Massenimpfung als den einzigen Ausweg sehen und stillschweigend uns aller bisher für selbstverständlich erachteten Rechte berauben lassen. Der Bürger darf nicht zum Objekt gemacht werden. Hände weg von unseren Grundrechten. Keine Macht der ‚Hygiene-Diktatur‘!“

[20] Neben Weidel sprachen zahlreiche Bundes- und Landtagsabgeordnete sowie Mitglieder des baden-württembergischen Landesvorstands. Das Mobilisierungspotential dieser überregional ausgerichteten Demonstration ist schwer zu beurteilen, da als Auflage der Stadt Stuttgart die TeilnehmerInnenzahl bei dieser Kundgebung auf hundert Personen beschränkt wurde.  

[21] So sagte Weidel unter anderem: „Politiker und Medien haben ein neues Framing herausgegeben. Kritiker der Coronamaßnahmen seien Spinner und Wirrköpfe. Die Demonstrationen würden von Rechtsextremen unterwandert und von Verschwörungstheoretikern dominiert.“ (Die Rede ist abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=s1POQkJdmOs, aufgerufen am 31.05.2020).

[22] Die Frage, inwiefern prominente VertreterInnen der AfD selbst an Verschwörungstheorien glauben, lässt sich pauschal nicht beurteilen. Bei einzelnen Personen gibt es aber belegte Äußerungen, die eine individuelle Neigung zu verschwörungstheoretischen Erklärungen zumindest nahelegen. So wurde beispielsweise wenige Tage vor der Bundestagswahl 2017 eine E-Mail der Spitzenkandidatin Alice Weidel aus dem Jahr 2013 der „Welt am Sonntag“ zugespielt, in der sich Weidel gegenüber einem Bekannten rassistisch, demokratiefeindlich und verschwörungstheoretisch äußerte. Sie schrieb in der E-Mail: „[…] Der Grund, warum wir von kulturfremden Voelkern wie Arabern, Sinti und Roma etc ueberschwemmt werden, ist die systematische Zerstoerung der buergerlichen Gesellschaft als moegliches Gegengewicht von Verfassungsfeinden, von denen wir regiert werden. Diese Schweine sind nichts anderes als Marionetten der Siegermächte des 2. WK und haben die Aufgabe, das dt Volk klein zu halten indem molekulare Buergerkriege in den Ballungszentren durch Ueberfremdung induziert werden sollen. […] Das D garnicht souveraen ist duerfte doch fuer den ekelhaften Fatalismus in der Tagespolitik z.B. unsere Enteignung durch die Eurorettung, korrumpierte Judikative (Bundesverfassungsgericht) erhellend sein […]“, vgl. Kellerhoff/Lutz/Müller (2017) sowie Balkhausen/Reveland (2017).