Machbar und rechtens: Erdbebenopfer aufzunehmen darf jetzt nicht an den Auflagen scheitern!

Kommentar

Nur Tage nach dem verheerenden Erdbeben und nachdem die ersten Maschinen mit Hilfsgütern von deutschen Flughäfen in die Region gestartet waren, setzten das Bundesministerium für Inneres und Heimat und das Auswärtige Amt ein Signal für weitere Hilfe: Türkisch- oder syrischstämmige Familien sollen ihre vom Erdbeben betroffenen Angehörigen vorübergehend bei sich aufnehmen können.

Teaser Bild Untertitel
Das Ausmaß der Zerstörung durch das Erdbeben ist immens.

Eine Taskforce wurde angekündigt und den Auslandsvertretungen zusätzliches Personal in den Visaabteilungen in Aussicht gestellt. Doch die bürokratischen Hürden bei der Visabeantragung sind trotz „Vereinfachungen“ zu hoch – und für Syrer*innen schlicht unüberwindbar.

Wer kommen will, muss einen gültigen Pass vorweisen. Verwandte in Deutschland und anderswo müssen in einer Verpflichtungserklärung ihr Einkommen oder Bankkonto offenlegen, um zu belegen, dass sie Angehörige finanziell versorgen können. Vor Ort müssen die türkischen Betroffenen ihre Obdachlosigkeit im Erdbebengebiet und eine Krankenversicherung nachweisen und dann bei einer der vielfach von den Botschaften ausgelagerten Visa-Abwicklungsagenturen vorsprechen. Bedingungen, die unter den gegebenen Umständen kaum und schon gar nicht zeitnah zu bewältigen sind. Wer nimmt bei der Flucht aus einem plötzlich einstürzenden Wohnhaus schon den Reisepass mit?

Wie also ernsthaft Barrieren abbauen, ohne das im Schengen-Raum und national gültige Recht auszuhebeln? Diese Frage müssen sich die neue Taskforce, aber auch die Zivilgesellschaft, Länder und Kommunen stellen. Die nächsten Schritte könnten in praktikable Lösungen münden, etwa, wenn statt der Vorlage eines Reisepasses für die türkischen Erdbebenopfer die elektronisch ja bereits erfasste Identifizierung der türkischen Behörden ausreichen würde. Was, wenn die ebenfalls sehr aufwendige Verpflichtungserklärung der Angehörigen in finanzieller Hinsicht über solidarische Fonds in den Städten und Kommunen erleichtert würde? Was, wenn das angekündigte Personal zu den Visa-Antragsstellen vor Ort im Erdbebengebiet und nicht an die für sie kaum erreichbaren Standorte der Botschaften entsandt würde?

Von syrischen Erdbebenopfern zu erwarten, dass sie neben den Visa-Antragsformalitäten noch bei einer deutschen Auslandsvertretung in Beirut, Amman oder Istanbul für das „Erdbebenopfer-Sondervisum“ vorsprechen, entbehrt jeglicher realistischen Vorstellung der Lage vor Ort. Der einzig mögliche Weg für die besonders Notleidenden – und bislang fast gänzlich auf sich allein gestellten –  wäre der über die Grenze in die Türkei und von dort weiter in andere Aufnahmeländer – doch der ist ihnen versperrt.

Wenn jetzt mehr Hilfsgüter endlich über weitere türkische Grenzübergänge auch nach Syrien gelangen, muss es denkbar sein, dass im ersten Schritt Schwerverletzte und besonders Notleidende aus den Gebieten umgekehrt über diese Grenze hinweg in die Türkei gelangen und von dort in humanitären Kontingenten zusammen mit türkischen Schwerverletzten und Notleidenden ausgeflogen werden in Aufnahmeländer. Eine Luftbrücke nach Europa und an andere Orte dieser Welt - wie sie für die afghanischen Ortskräfte ermöglicht wurde.

Deutschland sieht für derartige Notlagen qua (Aufenthalts-)Gesetz ein humanitäres Aufnahmeverfahren vor, das es den aufgenommenen Personen ermöglicht, eine Aufenthaltsgenehmigung für einen festgelegten Zeitraum zu erlangen.

Ein weitergehender Schritt wäre es dann, auch den Weg von syrischen Notleidenden zu ihren Angehörigen in Deutschland und anderen Ländern weltweit zu ebnen.

Wie vielen Menschen durch das gegebene Signal des Bundes, Aufnahme möglich zu machen, geholfen werden kann, liegt jetzt in den Händen der Taskforce, welche dringlichst die noch bestehenden unüberwindbaren Hürden abbauen muss. Die Zivilgesellschaft, Städte und Kommunen stehen mit Rat und Tat bereit!