Ellen Kubica ist Stadträtin in Mainz und Teil des Behindertenbeirats. Seit November ist sie Landesbeauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderung von Rheinland-Pfalz. Im Interview spricht sie über ihre Gründe, politisch aktiv zu werden, über Barrieren, auf die sie als Rollstuhlfahrerin im Politikbetrieb stößt und die Frage, warum Menschen mit Behinderung in allen politischen Ebenen zu wenig repräsentiert sind.
Andrea Schöne: Was hat Sie dazu bewogen politisch aktiv zu werden?
Ellen Kubica: Während eines Auslandsstudiums in den USA habe ich sehr prägende Erfahrungen in der Menschenrechtsszene und einem sehr barrierefreien öffentlichen Raum gemacht. Danach bin ich mit Mitte 20 zurück in Deutschland aktiver Teil der Selbstvertretung von Menschen mit Behinderung geworden. Der Einzug der AfD in den Bundestag 2017 hat mich dann bewogen bei den Grünen parteipolitisch aktiv zu werden. Für die Stadtratswahl wurde ich de facto angesprochen.
Hat es bei der Nachfrage eine Rolle gespielt, dass Sie zusätzlich eine Frau mit Behinderung sind und damit durch Sie praktisch noch mehr Diversität in den Stadtrat eingebracht werden kann?
Ich bin nicht die einzige Rollstuhlfahrerin in unserer jetzigen Stadtratsfraktion. Es gibt noch eine weitere, Marita Boos-Waidosch, die frühere städtische Behindertenbeauftragte. Es kann also nicht der einzige Grund gewesen sein. Vor fünf Jahren war ich auch noch recht jung und in der Kommunalpolitik sind oft eher nur Ältere vertreten. Das war auch ein Diversitätsmerkmal, das mich diverser gemacht hat. Man wollte auch Frauen aus dieser Altersgruppe auf der Liste haben.
Welche Themenschwerpunkte haben Sie sich in der Kommunalpolitik gesetzt?
Im Wesentlichen waren es sozialpolitische Themen wie beispielsweise als Ansprechperson in unserem Flüchtlingsrat. Ich habe mich auch viel mit jugend- und schulpolitischen Themen beschäftigt und habe im Jugendhilfeausschuss, Schulträgerausschuss, Sozialausschuss, Frauenausschuss und der Kita-AG mitgearbeitet. Ich habe doppelte kommunalpolitische Tätigkeiten, da ich zusätzlich noch im Behindertenbeirat Mainz aktiv bin. Die Schwerpunkte meiner Arbeit als Stadträtin habe ich gerne auch gezielt auf andere Themen gelegt, weil es mir schon auch wichtig war, auch ein Stück weit für andere Themen gehört zu werden. Sei es jetzt als Ansprechperson für unseren Flüchtlingsrat oder in der Erwachsenenbildung als VHS-Vorstand. Aber ich habe behindertenpolitische Aspekte nicht gezielt umschifft.
Sind Sie durch Ihre behindertenpolitische Arbeit auch eine Art Sprachrohr geworden?
Durch meine überregionale Arbeit bei Bifos e.V. wurde meine Arbeit mehr wahrgenommen. Das Projekt zielte darauf ab, die Expertise aus der Peer-Ebene zu stärken und das habe ich selbst so erlebt. Gerade in der Kommunalpolitik gibt es oft gut gemeinte Ansätze, Menschen mit Behinderung in Strukturen einzubinden. Aber dann sind beispielsweise die Inklusions- oder Behindertenbeauftragte*n Nichtbehinderte. Ich fand spannend, dass die Weiterbildung aus dem Empowermentprojekt, welches ich bei Bifos geleitet habe, auch von diesen Akteur*innen nachgefragt wurde. Dieses Weiterbildungsangebot wurde konzipiert, um gezielt für Menschen mit Behinderung noch fitter für Politik und Selbstvertretung zu machen.
Ich sehe es tendenziell kritisch, das Amt von Behindertenbeauftragte*n mit Nichtbehinderten zu besetzen. Es käme auch niemand auf die Idee, einen Mann zur Frauenbeauftragten zu machen.
Dann heißt es, sie hätten keine Person mit Behinderung gefunden. Das stimmt aber auch oft nur halb. Manchmal drängt sich da leider der Gedanke auf und es deckt sich auch mit der Erfahrung vieler, die dann damit zu tun haben, dass eine Person aus der Verwaltung herangebildet wird, die sich durchaus mit gewissen Sachthemen auskennt, aber als Teil der Verwaltung nicht so radikal auftritt, wie das Menschen tun, die aus Expertise und Erfahrung sprechen. Natürlich bringt auch nicht automatisch jeder Mensch mit Behinderung per se die formale Qualifikation mit, die diese Arbeit mit sich bringt, wenn es ein Hauptamt ist. Das ist aber oft der Knackpunkt. Sobald es ein Hauptamt wird, wird es oft von Menschen ohne Behinderung bekleidet. Da drängt sich der Eindruck auf, dass Menschen mit Behinderung für kostenlose ehrenamtliche Arbeit gut genug seien, aber fürs Hauptamt nicht gesehen werden.
Woran liegt es denn aus Ihrer Sicht, dass Menschen mit Behinderung in allen politischen Ebenen so schlecht repräsentiert sind? Und wie lässt sich das ändern, insbesondere in der Kommunalpolitik?
Viele Menschen mit Behinderung wollen politisch aktiv sein. Aber sie haben eine gewisse Scheu oder auch begründete Sorgen, ob sie in den Machtstrukturen, in den Parlamenten wirklich als Menschen mit Behinderung, vor allem als Frauen mit Behinderung, aktiv sein können. Die Strukturen und der politische Alltag sind oft an einen Leistungsgedanken gebunden, der gewisse Strukturen voraussetzt, die nicht alle spontan leben können. Menschen mit Behinderung haben nur begrenzte Kräfte nach der Arbeit, um sich dann auch noch in Gremienarbeit einzubringen. Eine Stadtratssitzung kann locker mal sechs Stunden und länger dauern, das muss man auch durchhalten können. Um Sitzungen in Gebärdensprache übersetzt oder mit Schriftdolmetschung begleitet zu bekommen, muss man hart kämpfen. Braucht eine Person Assistenz, um in solch einem Kontext mitarbeiten zu können, dann heißt es schnell, die Sitzung wäre ja nicht öffentlich und daher kann eine Assistenz auch nicht mitkommen. Banale Situationen führen oft zum Ausschluss oder die Behauptung es wäre zu kompliziert oder teuer.
Stellt auch die finanzielle Situation hier ein Faktor dar?
Personen, die in der Erwerbsminderungsrente sind, können kein bezahltes Mandat bekleiden, weil sie dann ihre Erwerbsminderungsrente gefährden würden. Diese werden von den hohen Positionen strukturell ausgeschlossen.
Treffen Sie auf Hürden und Barrieren in der politischen Arbeit?
Barrieren gibt es dauernd, zum Beispeil beim Redepult im Stadtrat, was erst durch eine Intervention von mir barrierefrei umgebaut wurde. Je nach Behinderungen gibt es ganz unterschiedliche Barrieren, auch bei der Parteiarbeit. Zumindest haben Die Grünen ein Vielfaltsstatut und reflektieren sich. Das mache ich auch im Diversitätsrat. Die Barrieren in der kommunalpolitischen Arbeit sind vielfältiger Art. Während des Kommunalwahlkampfs waren viele Örtlichkeiten, zu denen ich eingeladen wurde, nicht barrierefrei. Das schränkte meine Sichtbarkeit ein. Unter Menschen mit Behinderung gibt es auch in der Kommunikation besonders marginalisierte Gruppen wie Menschen mit Lernschwierigkeiten oder taube Menschen. Da bräuchte es konkrete Mittel in Form von Geldern für Gebärdensprach- und Schriftdolmetschung und Übersetzungen in Leichter Sprache. Die müssen vorhanden und abrufbar sein.
Schränkt das Kommunalpolitiker*innen mit Behinderung auch ein, neue politische Felder zu entdecken?
Das bekomme ich von meiner Mitstreiterin im Rollstuhl im Mainzer Stadtrat mit, die unter anderem in der Kulturpolitik tätig ist. Da wechseln ganz oft die Orte für ihre Gremiensitzung und oft kümmert sich niemand vorher darum, ob diese barrierefrei sind.
Haben Sie als Frau mit Behinderung in der Kommunalpolitik bereits Anfeindungen oder dergleichen erlebt?
Ich habe zum Glück keine massiven Anfeindungen oder dergleichen erlebt, ein paar Vorkommnisse auf Social Media ausgenommen. In der Stadt Mainz sind stand jetzt zum Glück keine rechten Politiker*innen in mächtigen Ämtern, die sich am Thema Inklusion negativ abarbeiten würden. Ich möchte mir nicht vorstellen, wie es in anderen Regionen sein kann für menschenrechtsbasierte Behindertenpolitik zu stehen und fürchte auch, dass es sich in Mainz ändern kann und nicht leichter wird. Frauen mit Behinderung erleben oft Mehrfachdiskriminierungen und haben es generell schwerer in Berufen und Positionen weiterzukommen. Manchmal schwingt es aber schon mit, dass Männern mit und ohne Behinderung im Zweifel doch mehr zugetraut wird. Zumindest unausgesprochen muss man sich und man sich ein bisschen mehr ins Zeug legen, um als Mensch mit Vielfaltsmerkmal und als Frau die gleiche Akzeptanz und Anerkennung zu erhalten.
Seit Anfang November sind Sie Landesbehindertenbeauftragte von Rheinland-Pfalz. Wie kam es dazu?
Mein Vorgänger Matthias Rösch war zehn Jahre lang in diesem Amt und hat aus persönlichen und gesundheitlichen Gründen das Amt zur Verfügung gestellt. So bin ich vom Kabinett im Landtag von Rheinland-Pfalz als neue Landesbeauftragte für die Belange der Menschen mit Behinderung berufen worden. Ich fange mitten in der Legislaturperiode an, welche noch bis Frühjahr 2026 andauert.
Welche Aufgaben gibt es in dem Amt?
Es ist eine beratende Funktion als Teil der Landesregierung. Ich werde durch den Landesteilhabebeirat beraten und berate die Landesregierung in allen möglichen Belangen, die Menschen mit Behinderung betreffen. Gesetzesvorhaben gehen auch über meinen Tisch und ich soll Stellung nehmen, wenn die Themen Menschen mit Behinderung betreffen. Hier gibt viele Querschnittsthemen. Diese sind bei weitem nicht auf Sozialpolitik oder Eingliederungshilfe begrenzt, sondern es geht beispielsweise auch um den öffentlichen Nahverkehr oder Themen wie Arbeit, Wohnen, Pflege, Bildung und viele mehr. Außerdem können sich Menschen mit Behinderung beim Büro der Landesbehindertenbeauftragten mit ihren Anliegen als Eingabe wenden. Dann setze ich mich für ihr Anliegen ein oder sie bekommen Tipps, wohin sie sich wenden können.
Welche Schwerpunkte möchten Sie bei dieser Arbeit setzen?
Zum einen werde ich an dem weiterarbeiten, was der Koalitionsvertrag in Rheinland-Pfalz vorsieht. Zum anderen möchte ich trotzdem auch eigene Schwerpunkte setzen. Themen wie inklusive Bildung und Arbeit sind mir wichtig. Auch ein Herzensanliegen ist der Gewaltschutz für Frauen mit Behinderung. Ich war bereits bei einem Vernetzungstreffen der Frauenbeauftragten in Einrichtungen. Da mit mir erneut eine Person im Rollstuhl dieses Amt bekleidet, ist es mir auch wichtig, dass erkennbar ist, dass ich mich auch für Menschen mit anderen, auch unsichtbaren Behinderungen einsetze. Es ist eine sich immer weiter verdichtende Aufgabe. Je mehr ich mich mit Themen auseinandersetze, merke ich, wie riesig das Themenangebot ist. Gerade war ich beim Treffen mit den anderen Landesbehindertenbeauftragten und da ging es um Inklusion im Sport. Die Aufgaben werden mir und den Kolleg*innen nicht ausgehen.
Vielen Dank für das Interview!
Dieser Artikel erschien zuerst hier: heimatkunde.boell.de