Das primäre Ziel muss sein, den von Russland am 24. Februar 2022 begonnenen Angriffskrieg auf die Ukraine zu stoppen. Die Sanktionen von EU- und NATO-Staaten stehen aktuell im Gegensatz zur Abhängigkeit von russischen Rohstoff- und Energielieferungen. Von Deutschland fließen täglich Hunderte Millionen Euro nach Russland und konterkarieren so die Wirkung der Sanktionen. Das sollte jetzt ein Anreiz sein, die Kosten radikalerer fossiler Ausstiegsszenarien in kürzest möglicher Zeit unter Krisenbedingungen neu zu bewerten.
Am 24. Februar 2022 hat Russland die Ukraine mit einem Aggressionskrieg überfallen. Nach dem militärischen Angriff auf Georgien 2008, der Annexion der Krim 2014 und dem Entfachen eines militärischen Sezessionskonflikts im Donbass 2015 ist damit die letzte Maske gefallen von einer Politik Vladimir Putins, die gewaltsam Revanche für die Auflösung der Sowjetunion nehmen will und sich die Wiederherstellung der Großmacht Russland mit einer von ihm kontrollierten Zone mindestens in den Grenzen der ehemaligen Sowjetunion bzw. des Russischen Reichs auf die Fahnen geschrieben hat.
Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg stößt auf erbitterten Widerstand der ukrainischen Gesellschaft und des ukrainischen Militärs – Kalkulationen der russischen Führung hinsichtlich einer möglichen Aufspaltung des Landes und seiner Eliten in pro-russische und pro-ukrainische Kräfte haben sich als haltlos erwiesen, gerade auch in den gewöhnlich als „pro-russisch“ konnotierten Regionen im Osten und Südosten des Landes. Mit jedem Kriegstag brutalisiert sich die russische Kriegsführung: ähnlich wie zuvor in den Kriegen in Tschetschenien und Syrien werden Wohnsiedlungen und öffentliche zivile Einrichtungen bombardiert, Städte umzingelt und Infrastruktur weiträumig zerstört. Die Anzahl ziviler Opfer des Kriegs geht in die Tausende, während Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine in den angrenzenden Nachbarstaaten Schutz suchen.
Die Sanktionen stehen im Gegensatz zur Abhängigkeit von russischen Rohstoff- und Energielieferungen
In bisher nicht da gewesener Einmütigkeit haben die EU und viele NATO- Staaten mit harten ökonomischen Sanktionen auf die russische Aggression reagiert. Dabei ist das Einfrieren der im Ausland registrierten Devisenreserven der russischen Staatsbank von besonderem Gewicht. Die in den letzten Jahren von vielen politischen und ökonomischen Akteur*innen v.a. aus Deutschland vorangetriebene und zementierte Abhängigkeit der Energiesysteme von russischen Gas-, Öl- und Kohlelieferungen erscheint nun offensichtlich als das, was Kritiker*innen aus politischen und ökologischen Gründen seit Jahren unmissverständlich klar gemacht haben: ein fataler Fehler.
Allerdings: Beim Ausschluss Russlands aus dem internationalen Zahlungssystem SWIFT wurden bewusst die russischen Banken ausgenommen, über die die Zahlungen für russische Rohstoff- und Energielieferungen – Gas, Öl und Kohle – in die EU und insbesondere nach Deutschland abgewickelt werden – mit der Begründung, dass Deutschland und die anderen betroffenen Mitgliedstaaten mittelfristig von der stabilen Einfuhr dieser Rohstoffe abhängig seien, um die Energieversorgung von Industrie und privaten Haushalten zu sichern.
Damit ergibt sich die Situation, dass aus Deutschland täglich Hunderte Millionen Euro nach Russland fließen und damit die intendierte finanzielle Wirkung der Sanktionen – ein schnelles Austrocknen der russischen Kriegskasse – konterkarieren. Ein Umstand, der vielen angesichts der Nachrichten und Bilder aus der Ukraine unerträglich ist. Wenn sich die russische Kriegsmaschine schon nicht durch ein – aus der Ukraine vehement geforderte Flugverbotszone – einhegen lässt, weil dadurch eine unmittelbare militärische Konfrontation zwischen der NATO und Russland unvermeidlich würde, ist es dann nicht dringend an der Zeit, ein sofortiges Embargo für alle Rohstoff- und Energielieferungen aus Russland zu verhängen? Und was kann und muss getan werden, um kurz-, mittel- und langfristig die sicherheits- und klimapolitisch fatale fossile Abhängigkeit Deutschlands und der EU von Russland schnellstmöglich zu beenden?
Das primäre Ziel muss sein, den russischen Aggressionskrieg zu stoppen
Die aus unserer Sicht vordringlichste Frage ist: Kann ein bis zur Beendigung der Kriegshandlungen verhängtes Embargo helfen, die Kriegsführung Putins gegen die Ukraine zu behindern? Gibt es andere, wirksamere Alternativen?
Den russischen Aggressionskrieg zu stoppen, muss das primäre Ziel sein. Alle Instrumente, die – aus politischer und ökonomischer Perspektive – mit ausreichender Wahrscheinlichkeit wirksam dazu beitragen können, sollten genutzt werden, auch wenn damit erhebliche wirtschaftliche und politische Kosten für Deutschland und die EU verbunden sind. Diese möglichen Belastungen sollten jetzt Anreiz sein, die Kosten radikalerer fossiler Ausstiegsszenarien in kürzest möglicher Zeit unter Krisenbedingungen neu zu bewerten. Denn die Kosten und Risiken eines sich hinziehenden, mit zunehmender Brutalität geführten und potentiell eskalierenden Krieges sind für die Ukrainerinnen und Ukrainer, aber auch für den Westen unerträglich und letzthin unkalkulierbar.