Corona-Krieger an der Seite Putins
Erstmalig erschienen am 20.04.2022 in der KONTEXT:Wochenzeitung
"Friede, Freiheit, keine Diktatur!", skandierten Demonstrierende beim Protest gegen die Maßnahmen zur Corona-Eindämmung. Doch nun, wo Krieg in Europa herrscht, sind führende Figuren der "Querdenken"-Szene dazu übergegangen, den russischen Angriff zu verteidigen, und Sympathien für autoritäre Führung treten zu Tage.
Gestern Corona-Leugner, heute Putin-Freund – das ist in Mode unter vielen Protestlern gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Zum Beispiel in Freiburg im Breisgau: Dort tauchten bei den "Querdenken"-Versammlungen von "FreiSeinFreiburg" schon bald nach Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine eindeutige Transparente auf. Etwa mit der Aufschrift "US-BIO-TECH Made in Ukraine für den SUPERGEN". Oder: "Impfpflicht nein – Nordstream 2 ja". Zwar schwenkten auf Kundgebungen in Freiburg einzelne Teilnehmer auch Flaggen der Ukraine. Zugleich vermieden Redner aber eine Verurteilung der von Wladimir Putin angeordneten Invasion. Einer kritisierte von der Bühne aus stattdessen, dass Deutschland im Konflikt "Partei ergreift" und so an der "Spirale der Gewalt" schraube.
Der "Faktenfuchs" des Bayerischen Rundfunks analysierte, dass sich auch ein großer Teil der reichweitenstarken, verschwörungsideologischen Kanäle in den sozialen Medien derzeit pro Putin positioniert – viele von ihnen spielten auch in den Debatten um Corona eine wichtige Rolle. "Scrollt man aktuell durch bekannte Telegram-Kanäle und Gruppen der sogenannten Querdenker-Szene, geht es längst nicht mehr nur um die Pandemie." Auch wenn die Positionierungen zum Krieg nicht einheitlich seien: Die bekanntesten Vertreter der verschwörungstheoretischen und der Querdenken-Szene auf Telegram würden rechtfertigende Inhalte für den Angriffskrieg Russlands teilen. "Meinung und Links zu Meldungen, die ins Weltbild passen, mischen sich in den Kanälen mit Desinformation und manchmal Verschwörungserzählungen, Widersprüche zur eigenen Position werden nicht geteilt", heißt es beim "Faktenfuchs".
Pandemie: Konjunkturprogramm für extreme Rechte
"Von Impfgegnern zu Putin-Verstehern?", überschrieb die "Die Zeit" eine Analyse zum Thema. Der Extremismusforscher Matthias Quent aus Jena sagte der Wochenzeitung, zwar hätten Teile der Neonazi-Szene "sehr gute Kontakte zu den nationalistischen Asow-Brigaden", einer Kampf-Einheit in der Ukraine. Allerdings handele es sich bei jenen, die sich pro-ukrainisch aufstellten, "eher um eine Minderheit in der Szene". Das Blatt analysiert: "Zu groß war und ist bei den meisten anderen offenbar die Sympathie für einen autoritären Machthaber wie Wladimir Putin. Zu groß ist wohl außerdem die Verlockung, wieder eine klare Anti-Mainstream-Haltung einzunehmen." Schon in der Corona-Pandemie war es rechtsradikalen Akteurinnen und Akteuren gelungen, zu Protesten zu mobilisieren und die gesellschaftliche Stimmung im Land zu beeinflussen. Die Pandemie wurde zum Konjunkturprogramm für die extreme Rechte.
Putin-Vorlieben in der rechtsextremen und verschwörungsideologischen Szene hat auch das Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) ermittelt, das sich mit Verschwörungsideologien und Desinformation beschäftigt. Das CeMAS wertete die zehn reichweitenstärksten deutschsprachigen verschwörungsideologischen Kanäle nach der ersten Kriegswoche aus – und kam zu dem Ergebnis, dass acht von ihnen "geeint in der prorussischen Positionierung" waren, wie Studienautor Jan Rathje erläuterte. Zu ihnen zählen die Kanäle von Eva Herman, Bodo Schiffmann ("Alles außer Mainstream") und Reiner Fuellmich.
Und auch die rechtsextreme sächsische Kleinpartei "Freie Sachsen", die im Freistaat eine zentrale Rolle bei der Mobilisierung für die als "Spaziergang" deklarierten Demonstrationen spielt, positioniert sich eindeutig. Die "Freien Sachsen" gratulierten als "Sachsen, die eine Autonomie von Berlin anstreben", zwei Tage vor Kriegsbeginn den "souveränen Volksrepubliken Donezk und Lugansk" zur Anerkennung durch Russland. Laut ihrem Telegram-Posting könnten sie "erkennen, wer für den Frieden eintritt und wer ihn fortwährend bedroht".
Reitschuster hat 10.000 FollowerInnen verloren
Daneben hätten sich, so die CeMAS-Studie, die selbsternannten "Alternativmedien" "Auf1" und "Freie Medien" sowie der nach dem früheren RBB-Moderator und Verschwörungsideologen Ken Jebsen benannte Kanal „Aufklärung und Information“ eindeutig an der Seite Putins verortet. Eine Zurückhaltung bei der Festlegung beobachtete CeMAS nur beim Kanal "GemEINSam Stark – JETZT", was laut Rathje damit zusammenhängen könnte, dass dieser Kanal mit der Absicht gegründet worden sei, eine hohe Zahl von Abonnentinnen und Abonnenten zu erreichen, um so ein Zeichen gegen eine Impfpflicht zu setzen.
"Eine Positionierung birgt Spaltungspotential innerhalb des verschwörungsideologischen Milieus und kann ein Abwandern von Abonnent:innen zur Folge haben", schreibt CeMAS-Autor Rathje – und belegt das am Beispiel des Telegram-Kanals von Boris Reitschuster. Reitschuster, früherer "Focus"-Korrespondent in Moskau und heute Blogger von Montenegro aus, positionierte sich gegen den russischen Angriffskrieg. Er verfügt über den in Deutschland reichweitenstärksten verschwörungsideologischen Kanal auf Telegram. Zum Zeitpunkt der Studie hatte er mehr als 300.000 Abonnenten, vier Wochen später waren es etwa 10.000 weniger, während die Pro-Putin-Kanäle zum Teil deutlich zulegten.
"Eine Macht im Netz" seien solche Kanäle, schreibt Markus Sulzbacher, Reporter der österreichischen Zeitung "Der Standard", in seinem Newsletter. Auch er erwähnt den Online-TV-Kanal "Auf1", der erst zum Sprachrohr von Corona-Leugnern und -Verharmloserinnen wurde – und nun die Erzählungen des Kremls zur russischen Invasion in der Ukraine wiedergibt. Chefredakteur Stefan Magnet sei früher Kader einer neonazistischen Organisation gewesen, verfüge über beste Kontakte zur FPÖ – und gelte als Putin-Anhänger. Im "Auf1"-Programm hieß es, der Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine sei Antwort auf einen angeblich jahrelangen "offenen Terror der Westukraine" in den östlichen Landesteilen. Laut der Analyseseite Similarweb verzeichnete "Auf1" allein im Februar 2022 rund 1,7 Millionen Besuche.
Eine Ex-Grüne wird "Putins Info-Kriegerin"
Ein extremes Beispiel für wachsende Reichweite gibt Alina Lipp, eine frühere Grünen-Kommunalpolitikerin aus Hannover, die der Partei aber längst den Rücken gekehrt hat, weil die "anti-russisch" sei. Als selbsternannte "Friedensjournalistin" berichtet die 28-Jährige inzwischen aus Donezk – und festigt damit die Rolle einer Propagandamarionette des Kremls, die sie schon zuvor mit ihrem Youtube-Kanal "Glücklich auf der Krim" ansteuerte. Das Nachrichtenportal "t-online" bezeichnet sie als "Putins deutsche Infokriegerin".
Auf ihrem Telegram-Kanal "Neues aus Russland" mischen sich Kommuniques des russischen Verteidigungsministeriums zu militärischen Erfolgen mit widerlegten Fake News. Zuletzt etwa über einen angeblich von ukrainischen Geflüchteten zu Tode geprügelten Russlanddeutschen in Euskirchen – das Video dazu löschte Lipp erst, nachdem Polizei und Bundesinnenministerium vor der Desinformation gewarnt hatten. Nach eigenen Angaben hat Lipp vier Videos auch an russische Staatsmedien geliefert. Die Reichweite ihres neuen Telegram-Kanals verzehnfachte sie in den ersten Kriegswochen: auf mehr als 111.000 Ende März.
Auch bei Lipp gibt es eine Linie vom Widerstand gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus bis zur lupenreinen Solidarität mit Putin. Ende August 2020 lief Alina Lipp mit beim großen Querdenken-Protest in Berlin. Sie drehte anschließend ein Video auf Russisch, behauptete, entgegen den Polizeiangaben zu mehreren zehntausend Teilnehmerinnen und Teilnehmern: "Wir waren viele, ungefähr eine Million." Sie erzählte, dass Corona in Deutschland alles "viel extremer gemacht" habe: "Meinungsfreiheit gibt es praktisch nicht mehr", stattdessen "kontrollierte Medien". Tausende von Facebook-Posts und -Konten, YouTube-Videos würden staatlicherseits gelöscht: "Wo sind wir? In Nordkorea?" Lipp behauptete, dass sich an diesem Tag mehrere hundert Menschen vor der Russischen Botschaft "hilfesuchend an Putin wandten". In einem Clip dazu skandieren einzelne Demonstranten "Putin, Putin", im Hintergrund schwenken sie in dieser Szene Reichsflaggen.
Neujahrsgrüße aus Donezk
Lipps Verbindungen sind vielfältig: Im November 2020 holte Ostsachsen-TV sie zum Sofa-Talk nach Bautzen. Ostsachsen-TV ist ein Internetkanal, über dessen Macher David Vandeven es in einer Reportage von "Deutschlandfunk Kultur" hieß: "Ob er mit Reichsbürgern, Identitären oder auch mit Linken im Gespräch ist – in einer gespaltenen Stadt wie Bautzen generiert das Aufmerksamkeit." Zu Weihnachten 2021 strahlte Ostsachsen-TV Neujahrsgrüße von Lipp und anderen Ausländern aus Donezk aus. Lipp wünschte sich "Frieden im Donbass" und als "Weihnachtswunsch" die Aufhebung aller Corona-Maßnahmen, damit würde "ein Wunder geschehen". Geklappt hat das nicht mal in der von ihr gefeierten "Volksrepublik". Nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine empörte sich Lipp in einem Video auf ihrem Telegram-Kanal über die Maskenpflicht in einem Donezker Supermarkt: "Gibt ja auch sonst keine Probleme im Krieg."
Putinsche Propaganda übernahm auch der sächsische AfD-Landtagsabgeordnete Jörg Dornau. Er postete gleich nach Kriegsbeginn auf Facebook: "Die Ukraine wird entnazifiziert!" Eine Solidaritäts-Friedensaktion mit der Ukraine an einem Gymnasium in Grimma nannte Dornau "Gehirnwäsche an unseren Kindern". Er teilte ein Video von Lipp, in dem sie bei einem Spaziergang durch Donezk von einer "Nazi-Regierung" in Kiew spricht, von "Nazis mitten in Europa", die den früheren ukrainischen Präsidenten verjagt hätten. Dazu schrieb der AfD-Mann: "Die Darstellung über die wahren Zustände in der Ukraine, so wie es mir auch von Einheimischen erzählt wurde."
Weitere Beispiele: Die Partei Die Basis NRW verzichtet in einer aktuellen Erklärung auf jede Kritik an Putin, behauptet stattdessen, die "Kriegssituation in der Ukraine" existiere seit dem "Maidan-Putsch" 2014. Dazu heißt es: "Die Basis NRW legt keinerlei Wert auf Schuldzuweisungen." Und: "Von den westlichen Staaten, die bislang Kiew ermutigt haben, den Donbas und seine Bevölkerung zu bekämpfen, erwarten wir den Stopp aller Waffenlieferungen."
Bodo Schiffmann ist jetzt Kreml-Propagandist
Bodo Schiffmann, eine führende Figur der "Querdenken"-Szene, ließ sich nach Kriegsbeginn per Video zu einer Kundgebung ins niedersächsische Gifhorn zuschalten. Putin habe einen "Befreiungsschlag ausgeführt", verkündete er im Stil eines Kreml-Propagandisten. Schiffmann forderte mit Blick auf den Angriffskrieg: "Hier muss man den Notwehrparagrafen heranziehen." In Bautzen trug eine Demonstrantin bei einem Corona-"Spaziergang" ein "Z" an der Weste – im Propagandainstrumentarium des Kremls das Symbol für die "Sonderoperation in der Ukraine". Gegen die Frau wird nun wegen der "Billigung von Straftaten" ermittelt.
Bei einem Corona-Protest in Zeulenroda äußerte ein Vertreter der "Patrioten Ostthüringen", einer mit Reichsbürgern verbandelten Gruppe: "Die Lügenmedien, die das Volk mit Täuschung und Lüge zum Corona-Thema in Angst und Schrecken versetzt haben, treiben nun mit Kriegshetze und Propaganda die Spaltung unseres Volkes weiter voran." Die "sogenannte Zivilgesellschaft" werde in einen "Taumel der Solidarität" mit der Ukraine gestürzt.
Letztlich schließt sich ein Kreis. Viele derjenigen, die heute im Netz und auf der Straße die russischen Kriegsverbrechen relativieren, waren 2014 in der sogenannten "Mahnwachenbewegung" aktiv. Sie hatte sich im Zusammenhang mit der Krim-Krise gegründet und schon damals ging es um "Frieden mit Russland" nach den Vorstellungen Putins. Die Bewegung gilt als "Wiege der Coronaleugner-Szene", wie der "Tagesspiegel"-Journalist Sebastian Leber in einem Beitrag für das 2021 im Herder-Verlag erschienene Buch "Fehlender Mindestabstand" beschreibt, das vom Autor dieses Textes mit herausgegeben wurde.
Zu diesen Zirkeln gehörten beispielsweise Ken Jebsen oder auch der Gründer des rechtsextremen "Compact"-Magazins, Jürgen Elsässer. Sie waren 2014 dabei, mischten dann auch bei den ersten "Hygiene-Demos" im Frühjahr 2020 an der Berliner Volksbühne oder weiteren "Querdenken"-Protesten mit. Leber bilanziert: "Bei den Mahnwachen handelt es sich – genau wie sechs Jahre später bei den Coronaleugnern – von Beginn an um eine rechtsoffene Bewegung." Die verbindende Komponente blieb erhalten: der Widerstand gegen "das System".
"Fehlender Mindestabstand. Die Coronakrise und die Netzwerke der Demokratiefeinde", Lesung und Gespräch mit Dietrich Krauß und Matthias Meisner, veranstaltet von der Heinrich-Böll-Stiftung Baden-Württemberg. Termine: 24. April in Freiburg, 25. April in Stuttgart, 26. April in Konstanz und 27. April in Mannheim. Mehr Informationen gibt's hier.