Dr. Sarah Pohl | Was ist, wenn ein*e Querdenker*in in meiner Familie ist?

Podcast

Folge #11: Ein Spaziergang im Süden

Dr. Sarah Pohl ist Diplompädagogin und leitet die Zentrale Beratungsstelle für Weltanschauungsfragen – kurz ZEBRA – in Baden-Württemberg. Bei ZEBRA geht es darum, Menschen zu informieren, zu beraten und zu sensibilisieren bei Themen rund um gefährliche religiös-weltanschauliche Angebote. Ziel ist es, Menschen zu unterstützen, die Fragen zu diversen Gruppierungen, sog. Sekten und esoterischen Angeboten haben. Dr. Sarah Pohl schrieb gemeinsam mit ihrer Mitarbeiterin Isabella Dichtel das Buch „Alles Spinner oder was? Wie Sie mit Verschwörungsgläubigen gelassener umgehen. Bei dem Buch geht es darum, was wir tun können, wenn die Freundin, der Partner oder die Mutter plötzlich von Chemtrails redet, Corona für das Werk Bill Gates hält oder glaubt, die Impfung solle sie fügsam machen. Dr. Sarah Pohl  geht es vor allem u

Lesedauer: 16 Minuten
Bild einer Frau

Wir sprachen mit ihr u. a. darüber, welche Funktionen eine Verschwörungsideologie erfüllt und welche Bedürfnisse dahinterstecken können. Sie gab uns konkrete Tipps, was wir tun können, wenn wir mit Menschen über Verschwörungsideologien, Corona-Maßnahmen oder den Krieg gegen die Ukraine diskutieren, aber uns diese Menschen am Herzen liegen und wir weiterhin Kontakt halten möchten.

Zur Folge

Shownotes

„Ein Spaziergang im Süden“. Ein Podcast der Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg und der Petra-Kelly-Stiftung

Zentrale Beratungsstelle für Weltanschauungsfragen BW

Was sag' ich jetzt: Gute Argumente für die Corona-Schutzimpfung

Alles Spinner oder was? Wie Sie mit Verschwörungsgläubigen gelassener umgehen

„Selbstbestimmt im Netz“, Bildungsmaterial der Heinrich-Böll-Stiftung

Transkript

Carmen RomanoWir spazieren heute zum letzten Mal zusammen. Wir haben in den letzten Wochen gelernt, welche Themen und Neuausrichtungen die Querdenken-Bewegung erlebt, welche Menschen es sind, die mitmachen und wie die Institutionen bisher darauf reagiert haben. Wir beenden unsere Serie mit konkreten Fragen und Tipps, denn viele von uns haben es erlebt: ein Familienmitglied, eine Freundin, eine Person, mit der man auf einer Party spricht, die dann plötzlich auf Verschwörungsmythen steht und die Pandemie als Ganzes infrage stellt oder die Impfkampagne für schlecht und bedrohlich hält. Wie können wir damit umgehen? Wie können wir Leute im eigenen Umfeld zu diesem Thema noch erreichen und nicht isolieren? Können wir trotz unterschiedlichen Weltanschauungen miteinander reden?



 Sabine DemsarDu hörst eine neue Folge von „Ein Spaziergang im Süden“, ein Podcast der Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg und der Petra-Kelly-Stiftung über die Querdenken-Bewegung in Süddeutschland, ihre Entwicklung und was dies für uns alle bedeutet. Heute reden wir mit Dr. Sarah Pohl. Sie ist Diplom-Pädagogin und leitet die Zentrale Beratungsstelle für Weltanschauungsfragen, kurz ZEBRA, in Baden-Württemberg. Es geht bei ZEBRA darum, Menschen zu informieren, zu beraten und zu sensibilisieren, bei Themen rund um gefährliche religiös-weltanschauliche Angebote. Ziel ist es, Menschen zu unterstützen, die Fragen zu diversen Gruppierungen, sogenannten Sekten, und esoterischen Angeboten haben.

Carmen RomanoSarah Pohl hat gemeinsam mit ihrer Mitarbeiterin Isabella Dichtel ein Buch geschrieben: „Alles Spinner oder was? Wie Sie mit Verschwörungsgläubigen gelassener umgehen“. In dem Buch geht es darum, was wir tun können, wenndie Freundin, der Partner oder die Mutter plötzlich von Chemtrails redet, Corona für das Werk von Bill Gates hält oder glaubt, die Impfungen sollen sie fügsam machen. Sarah Pohl geht es vor allem um die wertschätzende Auseinandersetzung miteinander und mit diesen schwierigen Themen. Wir sprechen mit ihr unter anderem darüber, welche Funktionen eine Verschwörungsideologie erfüllt und welche Bedürfnisse dahinterstecken können. 

Liebe Sarah, danke, dass du dir Zeit für uns genommen hast. Du hast ja das Buch „Alles Spinner oder was?“ mit deiner Kollegin Isabella Dichte geschrieben. Für wen ist das gemeint und aus welcher Perspektive wurde das Buch verfasst?

Sarah PohlDieses Buch richtet sich eigentlich direkt an Betroffene selber, also an Menschen, die in Konflikte geraten sind mit ihren Freunden, Verwandten, Kindern, Eltern, und die aus diesen Konflikten nicht so recht raus wissen. Und es richtet sich an Menschen, die Konflikte erleben, die aufgrund von Verschwörungsnarrativen entstanden sind. Wir haben in dem Buch ganz viele Tipps und Anregungen, die man selbst ausprobieren kann, die man einfach mal versuchen kann - was kann ich denn direkt selbst anders machen in diesen Streitereien, in denen ich vielleicht gerade stecke, aufgrund von verschiedenen Meinungen.

Sabine DemsarJa, fangen wir mal mit dem Negativen an: Was sind denn die häufigsten Fehler oder die Sackgassen, in die wir geraten können, wenn wir mit jemandem streiten, der oder die an Verschwörungsmythen glaubt?

Sarah PohlIch würde sagen, das, was am häufigsten passiert, ist, dass wir die Augenhöhe verlieren, dass wir beginnen, dem anderen einen verbalen Aluhut aufzusetzen und ihn stigmatisieren, erstmal, als „du Verschwörungstheoretiker“. Das ist per se schon mal eine Abwertung. Keiner wird sich selbst als Verschwörungstheoretiker bezeichnen wollen, sondern das ist eigentlich mittlerweile ein Begriff, der auch häufig benutzt wird, um Ansichten, die einem nicht so ganz passen, abzuwerten oder ihnensozusagen so einen Stempel zu geben. Und da ist man eigentlich auch schon mitten im Thema. Für solche Diskussionen ist es wichtig, Augenhöhe miteinander und Respekt voreinander zu behalten, eben nicht den anderen zu disqualifizieren, weil die Meinung eine andere ist. Das ist somit der Hauptpunkt, den wir erleben, der Konflikte sehr zum Eskalieren bringen kann. Zweitens erleben wir auch, dass diese Themen häufig so einen Halo-Effekt haben. Also die überstrahlen im Prinzip alles andere, was man eigentlich auch noch so an Themen miteinander hat. Häufig fangen Menschen an, den anderen auf diesen einen Punkt zu reduzieren und nehmen nicht mehr wahr, was eigentlich alles auch noch verbindet, wo es eigentlich gut läuft, wo man sich einer Meinung ist, sondern fokussiert auf diese Punkte, bei denen man eben nicht einer Meinung ist und man einen anderen Standpunkt hat. Das ist, denke ich so der zweite Fehler. Und der dritte ist, dass man beginnt, Menschen auf ihre Meinung zu reduzieren oder den Menschen mit seiner Meinung verwechselt und nicht mehr den Menschen dahinter sieht, sondern nur den Aluhütler, den Verschwörungstheoretiker. All das trägt nicht dazu bei, friedvoll und respektvoll miteinander umzugehen.



 Sabine DemsarDu sagst also, die Augenhöhe zu bewahren ist eine der wichtigsten Maßnahmen, die wir ergreifen können, um anderen zu begegnen, um erste Schritte in eine bessere Richtung zu machen. Und das ist das, was du dann den Menschen, die zu euch kommen, empfiehlst. Was noch? Wie gehst du damit um, wenn jemand kommt und um Unterstützung bittet?

Sarah PohlDas ist häufig sehr unterschiedlich, was eigentlich so an uns herangetragen wird. Wir haben natürlich nicht so daseine Rezept. Klar gibt es Basics, dass wir sagen Augenhöhe, Wertschätzung, und so weiter. Aber wir gucken uns auch jeden Konflikt im Einzelnen an und schauen nochmal, wie ist er eigentlich entstanden? Was für eine Konfliktstruktur hat er? Auf welchem Eskalationslevel ist er? Was für ein Typ sitzt da eigentlich vor uns? Was für ein Streittyp ist es? Ist es eher ein Angreifer oder zieht er sich zurück? Also je nachdem sind es auch ganz andere Ratschläge, die wir da geben. Und dann schauen wir mit den Menschen gemeinsam, wo stehen sie gerade in ihrem Konflikt? Ein wichtiger Punkt, den wir immer wieder versuchen mit demjenigen, der uns anruft, anzuregen, ist zu überlegen: Warum ist das eigentlich so wichtig für den anderen, dass er an diese Theorien glaubt? Irgendwas zieht er ja daraus. Also dieses Paradigma, verstehen statt verurteilen. Wenn es uns gelingt, so die Bedürfnisse, die ein Menschen hat, weshalb er sozusagen an diese Theorien glaubt, zu verstehen, dann gehen wir automatisch weg vom Verurteilen, werden wieder weicher in der Kommunikation. Eine harte Kommunikation verurteilt oft und da spielt dieses Verständnis keine Rolle, sondern da sind wir dabei, den anderen in eine Schublade zu stecken. Wenn wir aber verstehen, was da an Ängsten, Nöten, Befürchtungen dahintersteckt, dann gelingt es uns oft doch nochmal, irgendwie anders mit demjenigen zu reden.

Carmen RomanoDas ist total spannend, was du erzählst. Vielleicht auch im Konkreten: Was sind denn die Bedürfnisse, die hinter einem Glauben an Verschwörungsideologien stecken? Also welche Funktionen spielen dann diese Ideologien für Menschen, die das annehmen?

Sarah PohlDas ist auch wieder sehr weit gefächert. Da haben wir nicht den Prototyp „Verschwörungstheoretiker“ sozusagen,mit den gleichen Bedürfnissen, sondern es gibt einen ganzen Blumenstrauß an Bedürfnissen, die dahinterstecken können. Ein Bedürfnis kann sein, dass man mit Komplexität überfordert ist. Und Verschwörungstheorien reduzieren Komplexität. Die benennen klare Sündenböcke, teilen auf in schwarz-weiß und helfen dadurch Menschen, die eine Überforderung erleben, durch so eine komplexe Situation wie jetzt Corona zum Beispiel, wieder mehr Leitplanken zu bekommen, eine Orientierung zu bekommen. Die wissen dann, wer ist schuld daran. Das kann eben auch noch mal entlasten, es kann so eine psychische Entlastungssituation hergestellt werden. 

Ein weiterer Aspekt ist, dass Verschwörungstheorien Sinn konstruieren. Verschwörungstheorien erfüllen einen Zustand, wie wir ihn jetzt alle mit Corona erlebt haben, mit Sinn. Zwar keinem positiven Sinn, weil ja häufig sehr düstere Szenarien entworfen werden, aber trotz allem wird ein Sinn konstruiert und das ist so ein bisschen wie eine Krücke, mit der man, wenn man Sinn erlebt, besser durch so eine etwas holprige Zeit kommt, weil es verständlicher ist. Und was ich verstehen kann, kann ich auch leichter handhaben. Darauf kann ich reagieren und mich entsprechend verhalten. 

Andere Aspekte können sein, dass es für den Selbstwert positiv ist, dass ich sozusagen zu der kleinen Gruppe derer gehöre, die es verstanden hat oder meint, es verstanden zu haben und dass es sich für den Selbstwert auch positiver auswirken kann, zu sagen „Ich bin den anderen ein bisschen überlegen, weil ich durchschaue, was wirklich dahintersteckt“, das ist auch ein weiterer Faktor, weshalb Menschen daran glauben. 

Gleichzeitig haben wir auch erlebt, dass sich Ängste reduzieren können. Also manchen Menschen macht so eine unvorhersehbare Krise wie Corona unglaublich Angst. Und eine Angst kann dann reduziert werden, wenn ich eben wieder Komplexität reduzieren kann, Bösewichte benennen kann, das ist wie eine Entlastungsfunktion, dass es für die Psyche sozusagen leichter wird, zu sagen „ich verstehe es“. 

Und ein weiterer Punkt kann sein, dass ein Gemeinschaftsgefühl hergestellt wird. Man glaubt Dinge meistens nicht allein, sondern sucht sich Gleichgesinnte. Und das haben wir jetzt ja auch in der Querdenken-Bewegung erlebt, dass sich da auf einmal Menschen unterschiedlichster Couleur zusammengeschlossen haben und miteinander auf die Straße gegangen sind. Daskann ein ganz starkes Gruppengefühl geben und das Gefühl geben, man ist da in einer Gemeinschaft aufgehoben mit Gleichgesinnten. Also dieses Gemeinschaftserlebnis, was man haben kann, wenn man auf einer Demo ist oder sich mit anderen Gleichgesinnten austauscht, kann auch ein ganz starker Attraktor sein, zu sagen „ich fühle mich da eigentlich ganz wohl mit diesen Theorien“.

Carmen RomanoIch vermute, das ist in deiner Arbeit schon schwierig, zwischen dem Bedürfnis an Gelassenheit und Augenhöhe, dem Verständnis über die Bedürfnisse der Menschen, zu vermitteln und aber auch klare Kante zu zeigen, wenn es um extremistische Positionierungen geht. Und natürlich nicht um deren Argumentationsmuster zu rechtfertigen, aber während der Demos wird sich häufig auf Prinzipien wie die Meinungsfreiheit berufen. Deswegen meine Frage: Wo verläuft die Grenze zwischen Verschwörungsideologien und berechtigter Gesellschaftskritik? Und wann ist dann diese Gelassenheit aus eurem Buch nicht mehr der richtige Weg?

Sarah PohlIch würde sagen, dann, wenn Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten werden, ist Gelassenheit natürlich nicht mehr der Umgang. Also gut, man kann trotzdem versuchen, gelassen zu bleiben. Aber dann geht es nicht mehr darum, mit Kommunikationsstrategien, wie wir sie im Buch auch vorschlagen, vorzugehen, sondern so etwas auch ganz klar zu benennen. Und Grenzen der Meinungsfreiheit werden überschritten, wenn zum Beispiel Randgruppen diskriminiert werden, wenn man es mit Antisemitismus zu tun hat, wenn Volksverhetzung betrieben wird, wenn Personen als solche disqualifiziert werden. All das sind ganz klare Grenzverletzungen dessen, was durch Meinungsfreiheit gedeckt ist. Und wir raten da dann eher, so etwas auch zu benennen und klar anzusprechen, „hier ist jetzt eine Grenze des Verhandelbaren erreicht“. Wobei wir grundsätzlich, in unserem Ratgeber oder auch in den Gesprächen, festgestellt haben, dass eben diese Gespräche, die auf der Faktenebene stattfinden, meistens zu wenig führen, sondern dass wir eher den Ratschlag geben, auf einer Gefühlsebene miteinander zu sprechen. Aber trotzdem ist es wichtig, so etwas zu benennen, in einer freundlichen Art, ohne auf den anderen aggressiv oder unhöflich zu reagieren, in einer freundlichen Art diese Grenze klarzumachen. Das ist ein wichtiger Punkt, online und offline.

Sabine DemsarDas klingt nach einer großen Herausforderung, gerade wenn es um Emotionen geht. Würden wir jetzt so einen Gesprächsverlauf simulieren, wie könnte das gehen? Also nehmen wir mal an, bei einer Familienfeier sagt jemand zu mir, dass der Krieg in der Ukraine den ausschließlichen Zweck der Herrschenden hat, von Corona abzulenken. Was kann ich erwidern?

Sarah PohlDas ist gut, weil wir ein klares Setting haben. Das, was ich jetzt vorschlage, trifft natürlich nicht auf jedes Setting zu, aber in einem Familienkontext, bei dem auch viele Zuhörer da sind, ist es ganz wichtig, darauf etwas zu erwidern, weil man ja auch immer stille Zuhörer hat. Das ist im digitalen Bereich ganz genauso. Wenn man so etwas unkommentiert stehen lässt, könnte darin ja auch eine Zustimmung gedeutet werden. Deswegen kann man erstmal ein klares Statement geben, „das sehe ich nicht so“, also einfach eine Grenze zu ziehen, aber sich jetzt nicht hinreißen zu lassen zu einer inhaltlichen Diskussion, sondern einfach klar ein Statement zu geben, „ich sehe das anders“ oder „ich stimme da nicht zu“, um nicht durch Schweigen aus Versehen Zustimmung zu signalisieren. Im Zweiten macht es Sinn, nicht demjenigen die Bühne zu geben. Auf einer Familienfeier hat man eine tolle Bühne, da hören ganz viele zu, aber es macht viel mehr Sinn, so etwas unter vier Augen zu besprechen, dem anderen zu sagen „wenn wir aber da nochmal tiefer einsteigen, fände ich es besser, wir setzen uns mal ein bisschen abseits und reden da wirklich mal in Ruhe drüber“. Das wäre der zweite Punkt, dass man diese Diskussion möglichst nicht mit vielen Zuhörenden führt. Häufig suchen sogenannte Verschwörungstheoretiker so eine Bühne und genießen es dann, diese Aufmerksamkeit zu haben. Und im Dritten kann man dann natürlich in diesem Gespräch, das man führt, verschiedene Techniken anwenden. Eine Technik wäre, zu sagen „ich gehe jetzt nicht dagegen“, denn die Erfahrung machen die meisten, mit Argumenten erreicht man nichts, sondern ich lehne mich zurück und stelle einen ganzen Haufen Fragen. Ich frage den anderem zum Beispiel nach Bedürfnissen, nach Ängsten, die dahinterstecken, frage ihn mal, wie sich das anfühlt, daran zu glauben, was sozusagen vielleicht sein Weg dorthin war. Also ich versuche durch meine Fragen zu verstehen, welche Bedürfnisse und welchen Sinn diese Theorie für den anderen hat. In dem Moment muss ich nicht selbst zum Experten werden und mich vorbereiten, auf den Ukraine-Krieg oder muss zum Corona-Experten werden, sondern ich lenke, indem ich Fragen stelle. Das kann im besten Fall einfach auch dazu führen, dass der andere selbst anfängt, sich zu hinterfragen. So einen Prozess anzustoßen, wieder andere Perspektiven zuzulassen, aus diesem Tunnel rauszukommen, beinhaltet im Prinzip, dass man dem anderen eine Chance gibt, neue Perspektiven selbst zu entdecken. Und dahin kann ich mit Fragen lenken. Also das wären jetzt mal so die ersten Basics, die man machen könnte.

Carmen RomanoVielen Dank! Das ist total spannend, dass du erwähnt hast, dass es auch online ähnlich funktionieren würde. Weil wir dich fragen wollten, ob es einen Unterschied macht, ob man sich mit dieser Person online oder offline unterhält. Das ist vielleicht die Erfahrung von vielen, dass es online viel schwerer ist, so eine Diskussion zu führen. Kann man überhaupt erfolgreich online darüber diskutieren? Wie ist eure Erfahrung?

Sarah PohlDie Erfahrung ist, dass online das gute Benehmen der Menschen viel stärker nachlässt, dass man sehr viel schneller aggressive Hasskommentare, von beiden Seiten, zu hören kriegt. Da schützt ja quasi diese Anonymität des Internets noch ein Stück weit. Und dass man eigentlich mit dem Menschen, an den man sich richtet, nicht viel erreicht, das muss einem klar sein, sondern man erreicht eben wie gesagt auch da eher was bei den stillen Mitlesern, dass ein Kommentar eben nicht so stehen bleibt. Und beim Diskutieren online ist ganz stark nochmal auf Netiquette zu achten, darauf, wie sage ich was? Wenn ich selbst mit einer Aggressivität oder mit disqualifizierenden Begrifflichkeiten da reingehe, mache ich auch nicht gerade Werbung für die andere Seite. Da gibt es, finde ich, so ganz witzige Seiten, die auch Memes vorschlagen, die man da teilen kann und so weiter. Grundsätzlich kann man online sagen „drei gewinnt“, also nicht mehr als drei Argumente. Wenn man merkt, nach dem dritten Argument steigt jemand in der Online-Diskussion nicht darauf ein, kann man es tatsächlich vergessen. Auch online macht es Sinn, dem anderen Angebote zu machen für einen direkteren Austausch, aber da wird selten darauf eingegangen. Man kann recht niederschwellig manchmal auch mit Humor kontern und da gibt es eben diese Meme-Seiten, wo ich denke, das ist auch noch mal eine Seite, da lacht man nicht über den anderen, aber man macht sozusagen selbst ein kleines Statement und sagt „so lassen wir das nicht stehen“, ohne gleich eine Experten-Diskussion zu führen.

Sabine DemsarJa, Sarah, wir kommen schon zum Schluss unserer Aufnahme. Das wollen wir vielleicht mit etwas Positivem beenden. Was gibt dir Hoffnung in diesem Feld? Also gibt es Entwicklungen in der Politik oder gesellschaftliche Tendenzen, die du in deiner Arbeit beobachtet hast, die auf eine entspanntere Diskussionskultur hindeuten? Und kannst du Erfolge verbuchen?

Sarah PohlAlso eine Sache gibt mir Hoffnung: dass wir, da weisen auch viele Studien darauf hin, mit unserer Jugend offensichtlich schon eine gute Medienbildung gemacht haben. Es zeigt sich, dass sehr viele Jugendliche gut in der Lage sind, Fake News zu erkennen. Eine kritische Auseinandersetzung mit Medien machen sie sehr viel besser als die Generation über 60 zum Beispiel, die sind ganz anders mit Medien großgeworden. Das gibt mir schon Hoffnung, dass da viel passiert, auch seitens der Schulen und seitens anderer Bildungsträger, die wirklich viel Gutes, auch in der Pandemie und auch schon davor, gemacht haben, für eine kritische Medienbildung und Jugendliche früh sensibilisiert haben darauf, so etwas zu dekonstruieren und zu erkennen. 

Zum anderen erlebe ich auch in den direkten Gesprächen immer wieder, dass Menschen in der Lage sind, doch aufeinander zuzugehen. Ich denke da an ein Ehepaar, die kamen zu uns und waren total zerstritten, hatten eigentlich schon die Idee, sich zu trennen. Er hatte gesagt „sie lässt sich nicht impfen, ich möchte mich von ihr trennen“. Und sie hatte gesagt „ich möchte mich auch von ihm trennen, weil er so ein Corona-Apostel ist“. Und die zwei, das ist so eines der Beispiele, die mir wirklich sehr Hoffnung gemacht haben. Die zwei haben sich darauf eingelassen, nochmal ein bisschen hinter die Kulissen zu gucken und zu schauen, warum ist es dem anderen eigentlich so wichtig? Und sie hat festgestellt „Mensch, der hat mich so gern, dass er Angst hat, mich zu verlieren, wenn ich mich nicht impfen lasse“, und irgendwann hat sie sich tatsächlich impfen lassen. Nicht weil sie überzeugt war von der Impfung, sondern weil sie verstanden hat, dass ihr Mann ganz starke Ängste um sie hatte und sie ihm einfach diesen Gefallen tun wollte und sich auf ihn zu bewegt hatte und verstanden hat, da geht es eigentlich um Ängste, die er hat, um Gefühle, die er für mich hat.

Und das macht mir wirklich Hoffnung, dass man mit Menschen diesen Weg geht, nochmal zu schauen, was steckt eigentlich hinter dieser Oberfläche? Also die Spitze des Eisbergs verlässt und nochmal untertaucht, im Kleinen. Ich hoffe, dass das im Großen auch irgendwann gelingt und wir da auch wieder stärker im Großen aufeinander zugehen können und diese Spaltung nicht weiter voran geht.

Carmen RomanoJa, danke dir, das waren echt gute und konkrete Tipps. Ich finde vor allem die letzte Geschichte sehrhoffnungsvoll. Es gibt mir aber auch Hoffnung, dass du gesagt hast, dass man kein Experte für beispielsweise die Pandemie oder den Krieg in der Ukraine sein muss, um dagegen zu wirken, Argumente zu bringen und Fragen zu stellen. Das gibt bestimmt auch Gelassenheit und Hoffnung an diejenigen, die in der Situation stecken. Und die können sich aber natürlich gerne an euch wenden, wir werden eure Kontaktdaten in die Shownotes der Podcast-Folge setzen. Und übrigens, weil du auch gesagt hast, dass jüngere Menschen eine erhöhte Medienbildung zeigen: wir haben vor kurzem im Stiftungsverbund das Dossier „Selbstbestimmt im Netz“ zum Thema Fake Facts veröffentlicht, das werden wir auch in die Shownotes reinsetzen, um ein paar weitere konkrete Tipps und Informationen dazu zu geben. 

Also, danke nochmal für deine Zeit. Das war total spannend und ein positives Ende für unserer Podcast-Reihe.

Sarah PohlDankeschön, hat sehr viel Spaß gemacht.

Sabine DemsarJa, danke Sarah. Das war es für diese Folge und das war es eigentlich auch mit dieser Podcast-Reihe. Wir haben in den letzten Wochen viel gelernt über die Querdenken-Bewegungen. 

Und du? Schreib uns gerne, wenn du Anregungen und Kommentare hast. Abonniere unseren Podcast unter Petra-Kelly-Stiftung in der Podcast-App deiner Wahl, um neue Projekte wie dieses zu hören. Wir sind Sabine Demsar…

Carmen Romanound Carmen Romano…

Sabine Demsarund sagen danke und tschüss.

Carmen RomanoBis zum nächsten Mal. Ciao Ciao.