Zwangsarbeit im 21. Jahrhundert | Einführung

Virtueller Spaziergang

Eine virtuelle Tour zum Thema Zwangsarbeit in globalen Lieferketten. Dieser Angebot wurde vom SÜDWIND-Institut für die Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg erstellt. 

Weiter zu Schuldknechtschaft

Lesedauer: 4 Minuten
Zwei weiblich gelesene Personen im Globalen Süden, die harte körperliche Arbeit verrichten

Was ist Zwangsarbeit?

Asiatisch gelesene Person mit Kopftuch arbeitet in der Elektronikindustrie in Malaysia

„Ich muss drei Jahre lang arbeiten, nur um das Geld zurückzuzahlen, das ich mir für diesen Job geliehen habe. Ich habe 1.600 Dollar an einen Personalvermittler in Nepal gezahlt, mit 48 % Zinsen. (…) Wenn du vor Ablauf deines Dreijahresvertrags gehen willst, musst du drei Monatsgehälter zahlen. Wenn es keine Strafe gäbe, würde ich sofort nach Hause gehen.“

Aakash, 24, aus Nepal, gefangen in der Elektronikindustrie in Malaysia

Dieses Zitat ist ein Beispiel für Schuldknechtschaft, eine Form von Zwangsarbeit.

Was fällt sonst unter Zwangsarbeit?

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) hat eine Reihe von Indikatoren formuliert, die auf das Risiko von Zwangsarbeit hinweisen:  

Indikatoren von Zwangsarbeit (ILO)

  • Missbrauch der Schutzbedürftigkeit
  • Täuschung
  • Einschränkung der Bewegungsfreiheit
  • Isolierung
  • Physische und sexuelle Gewalt
  • Einschüchterung und Drohungen
  • Einbehaltung von Ausweispapieren
  • Vorenthaltung von Löhnen
  • Schuldknechtschaft
  • Missbräuchliche Arbeits- und Lebensbedingungen
  • Exzessive Überstunden

Grafik: Anteil der Zwangsarbeiter*innen nach Sektor

Weltweit arbeiten circa 25 Mio. Menschen in Zwangsarbeit.

Die Zwangsarbeiter*innen sind dabei vor allem jung und weiblich:  Knapp 16 Millionen Menschen (60%) in Zwangsarbeit sind weiblich und rund 4 Millionen (25%) sind Kinder unter 18 Jahre.

Auch in Deutschland gibt es Fälle von Zwangsarbeit. So wurden immer wieder Fälle von Vietnames*innen aufgedeckt, die dazu gezwungen wurden, in der Gastronomie oder in Nagelstudios zu arbeiten. Siehe dazu auch folgenden Länderreport vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Länderanalyse - Länderreport 34 - Vietnam

In anderen Ländern ist die Zahl an Zwangsarbeiter*innen aber vermutlich deutlich höher.


Fokus auf eine schmutzige Hand, die Blätter festhält

„Ich kam mit meinem Mann nach Sizilien. (…) Aber der Gewächshausbauer, bei dem wir Arbeit fanden, sagte, ich müsse mit ihm schlafen, und wenn ich mich weigerte, würde er uns nicht bezahlen. Mein Mann sagte, das sei die einzige Möglichkeit, unsere Arbeit zu behalten. (…) Ich verließ sowohl den Hof als auch meinen Mann, aber ich fand heraus, dass es überall in Sizilien gleich ist, wo man versucht, Arbeit zu finden.“

Nicoleta, 34, rumänische Überlebende von Zwangsarbeit und sexueller Zwangsausbeutung in Sizilien

Auch das fällt unter Zwangsarbeit.


Wo überall auf der Welt ist Zwangsarbeit zu finden?

Zwangsarbeit kommt weltweit vor, am häufigsten aber wahrscheinlich in Asien (16,6 Mio.), gefolgt von Afrika (3,4 Mio.), von Europa/Zentralasien (3,3, Mio.), Amerika (1,3 Mio.) und den arabischen Staaten (350.000). Diese Zahlen sind alle nur Schätzungen. Die genauen Zahlen von Zwangsarbeit zu ermitteln, ist sehr schwierig.

In der EU gibt es heute auch noch weitere Beispiele von Zwangsarbeit. In der Orangenernte in Italien etwa arbeiten vor allem migrantische Erntehelfer*innen als Tagelöhner für sehr wenig Geld unter sehr schlechten Bedingungen. Die Arbeiter*innen sind meist der Willkür der Mittelsmänner ausgeliefert. Dazu: Factsheet zu den ausbeuterischen Verhältnissen in der Orangenernte


Wie wird versucht gegen Zwangsarbeit vorzugehen?

Die 10 Kernarbeitsnormen der ILO sind wichtig. Wirklich wichtig. Für diese Kernarbeitsnormen sind alle ILO-Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, diese umzusetzen (auch wenn sie sie nicht ratifiziert, also rechtlich zugestimmt haben).

Dabei gibt es zwei Übereinkommen zur Zwangsarbeit:

  • ILO-Übereinkommen Nr. 29 zur Zwangsarbeit (1930) + ein 2014 verabschiedetes Protokoll und eine Empfehlung betreffend ergänzende Maßnahmen zur effektiven Beseitigung von Zwangsarbeit
  • ILO-Übereinkommen Nr. 105 zur Abschaffung der Zwangsarbeit

Mehr Infos zu den ILO-Übereinkommen: ILO Kernarbeitsnormen (ILO-Berlin)

Auch in den Sustainable Development Goals (SDG) der Vereinten Nationen ist in Ziel 8 die Abschaffung von Zwangsarbeit bis 2030 geplant.

Hierzu gibt es die Allianz 8.7., eine globale Partnerschaft aus Staaten, Gewerkschaften, Zivilgesellschaft sowie Arbeitgeberorganisationen, die sich gemeinsam gegen Zwangsarbeit, Menschenhandel sowie Kinderarbeit einsetzen.

Mehr Informationen zu SDG 8 über menschenrechtliche Arbeit. Goal 8 | Department of Economic and Social Affairs und zu den anderen Zielen.


Zwangsarbeit kommt auch in globalen Lieferketten vor: Beispielsweise arbeiten Menschen unter ausbeuterischen Verhältnissen auf Baumwollfeldern, welche dann von globalen Unternehmen zu T-Shirts weiterverarbeitet wird.

Daher gibt es jetzt nationale Gesetze, wie zum Beispiel das deutsche Lieferkettengesetz, das Unternehmen dazu verpflichten, die eigenen Lieferketten unter anderem auf das Risiko von Zwangsarbeit hin zu untersuchen.

Derzeit wird auf europäischer Ebene auch über ein europäisches Lieferkettengesetz diskutiert.

Auch bei der UN wird zu einem bindenden Vertrag für Wirtschaft und Menschenrechte verhandelt, dem UN Binding Treaty.

Es gibt auch viele Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Gewerkschaften, die sich sowohl gegen Zwangsarbeit einsetzen: in Deutschland, international, wie auch in den Ländern, in denen vermehrt Zwangsarbeit vorkommt. Auch das SÜDWIND-Institut ist so eine Organisation.

Das SÜDWIND-Institut ist auch Teil des zivilgesellschaftlichen Bündnisses Initiative Lieferkettengesetz, das sich derzeit für ein starkes europäisches Lieferkettengesetz einsetzen. Mehr Informationen zu dieser Kampagne.

Kampagne YESEUCAN