Mit seinen vielen Sandbänken, Olivenhainen mit Hunderten von Bäumen, die mehr als 200 Jahre alt sind, und weißen Feldern zur Salzgewinnung gehört es zu den letzten naturbelassenen Gebieten in Europa.
Das Landschaftsschutzgebiet Vjosa-Narta im Süden Albaniens nördlich der Stadt Vlora (albanisch auch Vlorë) ist durch den Bau eines Flughafens gefährdet. Es ist eines der größten Ökosysteme im Mittelmeerraum. Außerdem ist die Lagune Lebensraum für Tausende von Flamingos, Pelikane, Schmutzgeier, Säbelschnäbler, Alpenstrandläufer, Brachschwalben und weiteren seltenen Vogelarten, die zum Teil nur hier vorkommen und inzwischen auf der roten Liste der gefährdeten Arten stehen. Auf ihrem Flug von und nach Afrika rasten in der Mündung des Flusses Vjosa jedes Jahr mehr als 50.000 Zugvögel aus dem nördlichen Europa, die auf der Route über den Nahen Osten unterwegs sind.
„Und genau dort“, sagt Tea Zeqaj, die in der Heinrich-Böll-Stiftung in Tirana für Ökologie und Nachhaltigkeit zuständig ist, „soll ein Rollfeld von über drei Kilometern Länge und ein Terminal von 34.000 Quadratmeter Größe entstehen.“ Dazu kommen notwendige Zufahrtstrassen, Nebengebäude, Stellplätze für vierundzwanzig Flugzeuge und eine Marina für Motor- und Segelboote im Flussdelta mit Verbindung zur Lagune. Die ersten Vorarbeiten haben bereits begonnen.
„Für das Vogelparadies ist das der Todesstoß!“
Deshalb haben am Samstag, den 28. Januar dieses Jahres zum wiederholten Mal Umweltschützer am Eingang zur Baustelle protestiert. „No Airport in Vjosa-Narta!“ lautet die Parole. Der dringend notwendige Protest wird von der Heinrich-Böll-Stiftung in Tirana unterstützt.
Zydjon Vorpsi, ein Mitarbeiter von PPNEA (Protection and Preservation of Natural Evironment in Albania), einer NGO zum Schutz und Erhalt der natürlichen Umwelt in Albanien, ist der Meinung, nur von ganz oben am Hang kann man das Gebiet mit der Lagune und der Flussmündung gut überblicken. „Von da kannst du das ganze Ausmaß der Zerstörung ermessen, die der geplante Flughafen verursachen würde.“ Mit dem Großprojekt wäre die Schönheit dieser in Europa einzigartigen Landschaft mit dem silbernen Grün der Olivenbäume und dem Mittelmeer, das sich hinter der Lagune bis zum Horizont erstreckt, zerstört.
Also schiebt sich an einem Ortstermin im Oktober 2022 der Bus mit einer Reisegruppe der Heinrich-Böll-Stiftung Baden-Württemberg und der Petra-Kelly-Stiftung Bayern den steilen Berg hinauf. Immer wieder drehen die Räder auf dem lockeren Gestein durch. Nur in den Spitzkehren ist die Straße betoniert und mit Querrillen versehen, um ein Abrutschen zu verhindern. Geschickt hantiert der Fahrer mit Handbremse und erstem Gang, wenn der Bus stehen bleibt. Es bleiben nur wenige Zentimeter rechts zu den Felsen und links zum Abhang.
Nach dem Aussteigen fällt als erstes ein dreistöckiges Haus auf, das sich offensichtlich schon seit Jahren in einem unfertigen Zustand befindet. Direkt daneben einer der 175.000 grauen Betonbunker, die der Führer der Partei der Arbeit Albaniens Enver Hoxha zwischen 1972 und 1984 zur Verteidigung des Landes bauen ließ. Das Ziel war 750.00 Bunker, also für je vier Albaner*innen ein Unterstand, um sich gegen alle äußeren Feinde des kleinen Landes verteidigen zu können.
Zydjon hat inzwischen zwei Monokulare der Firma Zeiss aufgebaut. Von der höchsten Stelle überblickt man fast das ganze Schutzgebiet von 19.000 Hektar.
Das Flughafenprojekt ist aber nicht nur ein albanisches Problem. Der neue Bericht der Umweltorganisation WWF von 2022 weist darauf hin, dass inzwischen Lebewesen in Feuchtgebieten besonders geschützt werden müssen. In keinem anderen Ökosystem gibt es weltweit derart gravierende Rückgänge.
Die Geschichte des Projekts Airport Vlora ist für albanische Verhältnisse nicht untypisch.
2018 besucht der albanische Ministerpräsident Edi Rama seinen türkischen Amtskollegen Recep Erdoğan. Der bietet seine Unterstützung beim Bau des Flughafens und bei der Gründung von Air Albania an, die 2019 den Betrieb aufnehmen kann. 2020 soll der Airport Vlora fertig sein. Die Zahl der verheißenen Arbeitsplätze wird großzügig von 800 auf 1.000 erhöht, um vor allem die lokale Bevölkerung von dem Projekt zu überzeugen.
2019 trennen sich die albanische Regierung und der türkische Investor wegen eines Streits über den Minimumumsatz, der von den Albanern garantiert werden muss. Eine internationale Ausschreibung soll es nun richten. Das Ausschreibungsverfahren wird allerdings im Frühjahr 2020 während der COVID-19-Pandemie abgebrochen. Der gewählte Zeitpunkt scheint der Infrastrukturministerin nicht geeignet zu sein, so die offizielle Begründung.
Dann die Überraschung! 2021 erhält der mächtigste Mann im Kosovo, der umstrittene Geschäftsmann und Politiker Behgjet Pacolli, den Zuschlag für seine Firma Mabetex, die ihren Sitz in der Schweiz hat.
Nachdem anfangs noch von einer Inbetriebnahme innerhalb von zwei Jahren die Rede war, soll es nun im April 2025 so weit sein. Es wird also ernst. Zydjon sagt: „Wie Mabetex den Zuschlag bekam, wurde öffentlich nie kommuniziert. Kein Mensch weiß, wie viel Geld geflossen ist.“ Außerdem glaubt er, wie viele andere auch, nicht an die Zahl von 1.000 Arbeitsplätzen. Vor allem nicht für ungelernte Arbeitskräfte aus dieser bäuerlichen Region.
„Für die bleibt in einem hochmodernen Airport nur ein Job bei der Kofferabfertigung oder in der Abfallentsorgung und Reinigung. Wenn die Olivenbäume einmal gerodet sind, wird die Verarmung hier zunehmen.“
Auch die EU kommt in ihrem Albania Report 2021 zu einem negativen Urteil:
Mit der Unterzeichnung des Vertrages, den Vlora Airport in dem Vjosa-Narta Schutzgebiet zu bauen, verstößt Albanien gegen nationale von der Regierung selbst verabschiedete Gesetze. Das Land bricht zudem internationale Vereinbarungen zum Schutz der Biodiversität, die es ratifiziert hat. Anstatt das Schutzgebiet zu vergrößern, wird mit den Plänen für den Flughafen das Gebiet mehr und mehr fragmentiert und verkleinert. Die Stellungnahmen von Wissenschaftler*innen und Naturschützer*innen wurden bei der Planung nicht berücksichtigt. Anträge von NGOs wurden weder beantwortet noch behandelt. Nach Meinung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik hängt das mit einem Mangel an Demokratie in der politischen Kultur Albaniens zusammen. Mit der Zerstörung eines Feuchtgebiets von internationaler Wichtigkeit durch die Regierung muss demnach gerechnet werden.
Außerdem kritisiert die EU, dass Waldrodungen, Umweltverbrechen wie Brandstiftung, Wilderei, das Auslegen von Giftködern und Verschmutzung der Flüsse durch landwirtschaftliche Abwässer 2020 und in der ersten Hälfte 2021 in den Schutzgebieten enorm zugenommen haben und nicht genügend bekämpft werden. In den meisten Fällen bleiben Sanktionen aus. Speziell für den Vjosa Fluss müssten verstärkte Maßnahmen zur Reinhaltung getroffen werden. Er entspringt im griechischen Pindosgebirge, ist einer der letzten über 270 km naturbelassenen Flüsse Europas und mündet nördlich der Lagune ins Mittelmeer. Er sollte – vor allem auch zusammen mit seinen Nebenflüssen – einen besonders geschützten Status erhalten, am besten den eines Nationalparks.
Seit 2014 ist Albanien Beitrittskandidat der EU. 2018 wurden Beitrittsverhandlungen in Aussicht gestellt. Seither gab es mehrere Verzögerungen. Korruption, Drogenhandel und Umweltverschmutzung erschweren den Aufnahmeprozess. Das Flughafenprojekt gehört mit zu den Hindernissen.
Bevor wir wieder auf Meereshöhe hinunterfahren, trinken wir Kaffee in Kërkovë. Dazu muss der Bus (gefühlt) eine halbe Ewigkeit rückwärtsfahren, weil die Straße zum Wenden zu eng ist. Tea und Zydjon sind in dem Dorf seit langem bekannt. Sie waren mehrmals mit einem Kinobus auf dem zentralen Platz. Sie stellten eine Leinwand im Freien auf, die Zuschauer*innen saßen auf Strohballen. Lehrfilme über den längst fälligen Naturschutz wurden gezeigt. Trotzdem sind die Bewohner*innen des Dorfes gespalten. Einige erwarten sich, trotz aller Einwände, von dem Projekt nach langen Jahren der Armut einen bescheidenen Wohlstand.
Eine Stunde später sind wir auf einem Kilometer langen Damm, der schnurgerade über die Lagune führt. Die Flamingos und Reiher lassen sich von unserem Besuch nicht stören. Im flachen Wasser suchen sie nach Nahrung. Ab und zu erhebt sich einer dieser majestätischen Vögel aus dem Wasser und segelt ein Stück über die Lagune oder lässt sich auf einer der Inseln nieder, die auch als Brutplätze dienen. Tea und Zydjon kommen oft aus der Hauptstadt Tirana, eine Fahrt von etwa zwei Stunden, um zu beobachten, zu fotografieren, Zählungen durchzuführen und zu katalogisieren. Sie haben Hunderte von Fotos auf ihren Handys. Manche der Vögel begleiten sie nun schon seit mehreren Jahren. Nicht nur das nationale Vogelschutzprogramm, sondern auch internationale Institutionen sind an ihren Ergebnissen interessiert.
Bei einem Gespräch in der Heinrich-Böll-Stiftung in Tirana ist Dr. Alexandër Trajçe, der Geschäftsführer von PPNEA, verhalten optimistisch:
„In diesem kleinen Land ist ein zweiter internationaler Flughafen völlig überflüssig! Wir müssen den Widerstand in der Bevölkerung organisieren und benötigen die Unterstützung aus dem Ausland. Das Beste wäre, wenn die EU die Beitrittsgespräche wegen des Projekts abbrechen würde.“
Er sagt nicht: „Dann wäre der Flughafen vom Tisch“, sondern vorsichtiger, „dann gäbe es gute Chancen bei einer Klage gegen die Betreiber zu gewinnen. Wir haben ein ganzes Team von Anwälten mit dem Fall beauftragt und werden auch von internationalen Organisationen unterstützt.“ Am Ende des Treffens wird er dann noch einmal grundsätzlich:
„Wir müssen durch wissenschaftliche Forschung, die Schaffung strategischer Partnerschaften und kontinuierliche Interaktion mit Entscheidungsträgern ein Regierungs- und Sozialklima schaffen, in dem der Erhalt des Naturerbes in Albanien Priorität erhält. Ich bin überzeugt, nichts anderes erwarten zumindest die westlichen europäischen Nachbarn von uns.“
Für diese Haltung wurde er 2013 für den Future Nature Prize nominiert.