Poetry-Wettbewerb Zukunft der FREIHEIT der Zukunft | Hank M. Flemming

Hank M. Flemming ging gerne als Zuschauer zu Poetry Slams, bis er merkte, dass der Eintritt frei ist, wenn man selbst auftritt. Mittlerweile blickt er auf über 500 Auftritte und Moderationen bei Poetry Slams, Science Slams, Comedyshows etc. zurück. Der promovierte Psychologe (Schwerpunkt: Wissenschaftskommunikation) gewann den Literaturförderpreis Erzgebirge, den ZÜBLIN-Kulturpreis und stand fünfmal in Folge bei Landesmeisterschaften im Poetry Slam auf dem Siegertreppchen – einmal sogar ganz oben. Privat ist er eher schüchtern. Mehr unter: www.hankmflemming.de.

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Hank M. Flemming Der größte Feind der Freiheit ist die Angst

Hank M. Flemming | Der größte Feind der Freiheit ist die Angst. - Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg

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Der größte Feind der Freiheit ist die Angst.

Wenn sie nur genügend Angst haben, geben Menschen ihre Freiheit freiwillig ab. Beispielsweise im 2. Weltkrieg: Da hatten die Menschen Angst vor Bombenangriffen in der Nacht. Wenn die Luftüberwachung ein anfliegendes Geschwader meldete, wurde verdunkelt, damit die Bomber keine Orientierung hatten und nicht wussten, wohin sie ihre Bomben werfen sollten. Die Verdunkelung hätte nichts genützt, wenn man gesagt hätte: „Entscheidet selbst, ob ihr das Licht ausmacht oder doch lieber anlasst – muss ja selber wissen!“

Nein, es hieß:

„Nix mit Freiheit – bei Verdunkelungsalarm ist Lichtanmachen für alle verboten!“

Das ließ sich durchsetzen, weil Deutschland eine Diktatur war, in die sich viele Menschen anfangs freiwillig begeben hatten, weil sie so viel Angst hatten.

Trotz Verdunkelung wurde diese Diktatur irgendwann besiegt und wir haben gemerkt, dass es gar keine Diktatur braucht, damit Menschen unfrei sind. In der Diktatur der DDR durftest du keinesfalls öffentlich die Regierung kritisieren, dafür hatte wirklich jeder eine Arbeit (ob er wollte oder nicht), eine Wohnung, genug zu essen und jedes Kind einen kostenlosen Kitaplatz.

Heute kannst du dich direkt vor den Landtag stellen und einen Galgen schwenken, und niemanden juckt es, solange du dabei in einem Trecker sitzt – aber wehe, du verlierst deine Arbeit – dann ist es auch ganz schnell vorbei mit Wohnung und essen, und wenn heute eine alleinerziehende Mutter einen kostenlosen Kitaplatz fordert, kommt Christian Lindner und erklärt, dass Aktien ein besseresInvestment gewesen wären als ein Kind.

Heute wandert niemand mehr in den Knast, weil er die Regierung kritisiert. Heute wandern pro Jahr ungefähr 7.000 Menschen in den Knast, weil sie schwarzgefahren sind und das Bußgeld nicht zahlen konnten.

Die Freiheit des durchschnittlichen Deutschen ist heute nicht bedroht von Bombern oder Diktatoren, sondern von Armut und Ungleichheit. Jeder durchschnittliche Deutsche ist dem Bürgergeld näher als einem Milliardenvermögen, aber sieht seine Freiheit eher durch Flüchtlinge bedroht als durchMilliardäre, obwohl letztere ihm tatsächlich etwas wegnehmen. Jeff Bezos ist der reichste Menschder Welt, weil sein Unternehmen so gut darin ist, Steuern zu vermeiden – also uns allen etwaswegnimmt. Die Steuern, die Jeff Bezos nicht zahlt, sind genau die Sozialwohnungen und Kitaplätze, die wir nicht haben.

Und ich? Ich habe die Freiheit, das zu kritisieren, ohne Angst zu haben, dass ich dafür in den Knast wandere. Ich hab nur Angst, dass Alexa mithört und mein Amazon-Prime-Konto gesperrt werden könnte.

Der größte Feind der Freiheit ist die Angst. Und irgendeine Angst hat jeder.

Einige zum Beispiel haben Angst vor dem großen Bevölkerungsaustausch. Jeden Tag sterben in Deutschland drei- bis viertausend Menschen, von denen ungefähr jeder Zweite ersetzt wird durch einen Neubürger, der nicht mal ansatzweise unsere Sprache spricht, lediglich „Uh uh, uh, ah ah ah, gagagugu“ – was kein Mensch versteht, und der den lieben langen Tag nur auf der faulen Haut liegt und sein gesamtes Umfeld vom Arbeiten abhält, weil er immer irgendwas will. „Uh uh uh, ah ah ah!“ „Was will er? Happa happa?“ Und dann muss er Bäuerchen machen, in den Arm genommen werden, und heult, weil die Windel voll ist – ständig nur fordern, aber selber nichts leisten, so sindse, die Babies.

Wieder andere haben Angst, dass der Wirtschaftsminister in ihren Keller kommt und die Heizung rausreißt. Davor, dass sie in ein paar Jahren kein Öl oder Gas mehr zum Verheizen haben, weil der Diktator, von dem sie es immer gekauft haben, plötzlich den zehnfachen Preis will oder den Hahn zudreht, davor haben sie keine Angst.

Angst ist sehr individuell. Und Freiheit erst recht. Für den Einen bedeutet „Freiheit“, sich ohne Angst gesund und sicher in der Innenstadt aufhalten zu können. Für den Anderen bedeutet „Freiheit“, in einem zweieinhalb-Tonnen-Panzer mit 80 Sachen durch genau diese Innenstadt zu kacheln.

Da sind wir dann bei Immanuel Kants berühmtem Satz:

„Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt“.

Und dafür reicht es nicht, an die Eigenverantwortung des Einzelnen zu appellieren.

Oder würden sie nach Bad Cannstatt ins Thermalbad gehen, wenn die Betreiber sagen würden: „Jeder Badegast soll eigenverantwortlich entscheiden, ob er ins Becken kackt oder nicht“? Wahrscheinlich nicht! Deshalb ist ins Beckenkacken für alle verboten, und niemand kommt ernsthaft auf die Idee, das in Frage zu stellen.

Wenn jetzt aber im Thermalbad in Bad Cannstatt doch mal jemand ins Becken kacken würde, weil er sich darauf beriefe, dass in der Badeordnung gar nicht explizit erwähnt wäre, dass es verboten sei, ins Becken zu kacken (weil einfach nie jemand für nötig gehalten hat, das reinzuschreiben), und dann die Betreiber sagen müssten:

„Ja gut, dann überarbeiten wir halt die Badeordnung und schreiben explizit rein, dass es verboten ist, ins Becken zu kacken“,

daraufhin die BILD-Zeitung die Schlagzeile bringen würde:

Stuttgarter Thermalbaddiktatur: Wo die Verbote sprudeln!“, und eine Bürgerbewegung entstünde: „Cannstatt kackt!“, angeführt von einem windigen Rechtsanwalt, der kleine grinsende Kackhaufen auf Krawatten und als Anstecknadeln verkauft als Zeichen des Widerstands, und es eine große Demo gäbe, auf der die Kacktivisten riefen „Wir wollen Freiheit! Schluss mit Verboten! Wir wollen die Freiheit, ins Becken zu koten!“, und ein radikalisierter Kacktivist zwei Kilo Chili mit Bohnen essen, zehn Mentos einwerfen, mit heißem Kaffee runterspülen und das Ergebnis ans Brandenburger Tor schmieren würde, und dann Friedrich Merz den Grünen die Schuld gäbe, dass man in diesem Land nicht mal mehr frei kacken darf, bis man sich nach wochenlangen Debatten am Ende einigen würde auf eine freiwillige Selbstverpflichtung, nicht ins Becken zu kacken, dann wäre das in der Zwischenzeit völlig egal, weil das Thermalbad für Sanierungsarbeiten der von der vielen Kacke verstopften Wasseraufbereitungsanlage bis mindestens 2070 geschlossen werden müsste.

Wer jetzt meint, das sei völlig absurd, der ersetze einfach „Thermalbad“ mit „Planet Erde“ und „ins Becken kacken“ mit „Treibhausgase und Umweltgifte freisetzen“ und es wird klar: Für die Freiheit aller, nicht in der Scheiße zu schwimmen, muss bisweilen die Freiheit des Einzelnen eingeschränkt werden.

Der größte Feind der Freiheit ist die Angst. Wenn wir aus Angst vor Veränderung nichts ändern, werden Klimawandel, Umweltkatastrophen und daraus resultierende Konflikte irgendwann Fakten schaffen, die unser aller Freiheit einschränken.

Wer nicht will, dass es irgendwann wieder heißt:

„Nix mit Freiheit! Bei Verdunkelungsalarm ist Lichtanmachen für alle verboten!“,

der sollte jetzt dafür Sorge tragen, dass wir nicht aus Angst freiwillig unsere Freiheit abgeben an Leute, denen die eigene Freiheit ins Becken zu kacken wichtiger ist als die Freiheit aller, ohne Angst gesund und sicher leben zu können. Bald ist Europawahl. Geht wählen!

 

Begründung der Jury

Der Text „Der größte Feind der Freiheit ist die Angst“ ist eine intelligente und unterhaltsame Auseinandersetzung mit der These, dass Angst der größte Feind der Freiheit ist. Durch eine geschickte Mischung aus historischem Ansatz und Humor gelingt es dem Autor, schwierige Themen zugänglich zu machen.

Der szenische Einstieg mit einem Beispiel aus dem Zweiten Weltkrieg zieht das Publikum sofort in die Geschichte und die Thematik des Textes hinein.

Der Autor zeigt die Angst als Feind der Freiheit. Die Sprache ist klar und präzise, die eingestreuten historischen und gesellschaftspolitischen Beispiele unterstreichen die Aussagekraft des Textes.

Hervorzuheben ist die gelungene Verbindung von scharfsinniger Reflexion und pointiertem Witz. Dies verleiht dem Text eine einzigartige Tiefe, die Raum lässt, um  über die Bedeutung von Freiheit und Angst in der heutigen Gesellschaft nachzudenken.