Sprache hat Silia Leibfritz schon immer interessiert und fasziniert. Besonders schön findet sie, dass aus bloßen Wörtern etwas entstehen kann, das Menschen berührt, sie nachdenklich oder sogar glücklich macht. In einer Zeit, in der wir immer öfter auf (digitale) Hilfsmittel zurückgreifen, wird das Schreiben für sie immer mehr zu einem besonders wertvollen Gut.
Silia Leibfritz | Wenn Sarah tanzt - Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg
Direkt auf YouTube ansehenWenn Sarah tanzt
Wenn Sarah tanzt, dann tanzt sie richtig, dann ist nichts mehr um sie wichtig. Wenn der Boden unter ihren Füßen bebt und sie das Gefühl hat, dass sie schwebt, sich der Welt enthebt und einfach nur lebt.
Dann überkommt sie ein Gefühl von Freiheit und sie wiegt sich in Gelassenheit.
Wenn Sarah tanzt, dann ist alles echt, dann kann sie alles zeigen.
Es ist ihre Art sich vor dem Leben zu verneigen.
Sie springt von einem Fuß auf den andern und lässt ihre Hände wandern durch die Lüfte und an ihrem Körper entlang. Man könnte meinen, sie hätte einen Hang zur Selbstdarstellung, aber was die anderen denken ist für Sarah nicht wichtig,
denn wenn sie tanzt, dann ist das echt und dann ist das schon so richtig
Wenn Sarah tanzt, dann ist sie mutig. Eenn andere noch denken „maybe“ ist Sarah längt bei „shake it baby“, wenn andere noch denken, „wie sieht das wohl aus?“, streckt Sarah schon voller Kraft die Arme aus, lässt den Boden unter ihren Füßen beben und spürt in jedem Schritt das Leben.
Wenn Sarah tanzt, dann ist sie voller Energie, vom kleinen Zeh bis in die sich windenden Hände. Dann versprüht sie Euphorie und malt ihren Rhythmus in bunten Farben and die Wände.
Aber manchmal lässt Sarah die Wände auch grau und akzeptiert, dass das Leben sie so gezeichnet hat. Wenn Sarah dann tanzt, dann tanzt sie richtig, einsichtig mit gesenktem Kopf, denn Demut ist ihr wichtig.
Sie weiß, wie es sich anfühlt, wenn das Leben sie schlägt und nicht einmal frägt, ob sie das jetzt eigentlich so geplant hat.
Sie weiß, wie es ist, wenn das Schicksal sie frisst und sie jene vermisst, die ihr der Himmel schon viel zu früh genommen hat.
Wenn Sarah tanzt, dann tanzt sie richtig, dann ist nichts mehr um sie wichtig. Wenn der Boden unter ihren Füßen bebt und sie das Gefühl hat, dass sie schwebt, sich der Welt enthebt und einfach nur lebt.
Dann überkommt sie ein Gefühl von Freiheit und sie wiegt sich in Gelassenheit.
Wenn Sarah tanzt, dann ist alles echt, dann kann sie alles zeigen auf Bühnen geplant und einstudiert, auf Dancefloors spontan und extrovertiert, oder auf Tik Tok selbstsicher und inzensiert.
Selbstsicher, vielleicht totsicher inszenieren sich auf Tik Tok auch ganz andere Frauen.
Sie tanzen auf der Straße ausgelassen zum Song „Calm Down“. Doch in diesem Video trügt der Schein, denn zu viele Menschen sind noch immer nicht fein damit, dass diese Mädchen öffentlich tanzen.
In den Kommentaren werden sie beschimpft als unsittliche Emanzen, denn auf den Straßen Teherans ist Tanzen, sowie im Rest des Irans, für Frauen eine Gesetzeswidrigkeit, die bestraft wird, mit dem Entzug von Freiheit.
Wenn eine Frau im Iran überhaupt von Freiheit sprechen kann Denn die genießt doch dort genau genommen nur ihr Mann.
Der auch gern mal bestimmt, wann sie ausgeht und was sie anzieht. Und was für uns also aussieht, wie ein ganz normales Tik tok, das versetzt eine uns fremde Welt in Aufruhr und Schock.
Die Frauen im Video tanzen bauchfrei, ohne die Freiheit zu spüren. Mit offenen Haaren stehen sie vor verschlossenen Türen, denn anstatt sich wie geplant zuhause zu verschanzen, wehren sie sich durch öffentliches Tanzen.
Sie springen von einem Fuß auf den andern und lassen ihre Hände wandern durch die Lüfte und an ihrem Körper entlang, man könnte meinen sie hätten einen Hang zur Selbstdarstellung.
Aber hier geht es nicht ums Tanzen als reine Passion, diese Frauen haben eine Mission. Und was die anderen denken und sehen ist für sie mehr als wichtig, denn ihr Land soll endlich verstehen, wenn sie tanzen, dann ist das schon so richtig. wenn Frauen frei sein wollen, dann ist das schon so richtig.
Diese Frauen sind mutig, wenn sie tanzen, aber sie denken sich schon lange nicht mehr „maybe“ und es ist auch nicht die Zeit für „shake it baby“, denn jetzt sollen Frauen endlich nicht mehr sterben wie (Zina) Masha Amini.
Hier geht es nicht nur um eine Passion, sondern um puren Protest.
Sie verfolgen eine Mission in ständiger Angst vor Arrest. Tanzen wird zum Freiheitsemblem sie lassen nicht nur den Boden, sondern ein ganzes System unter ihren Füßen beben, denn sie wollen endlich in Freiheit leben.
Wenn Iranerinnen tanzen, dann ist das schon so richtig, dann ist alles um sie herum wichtig. Wenn das Regime unter ihren Füßen bebt und sie das Gefühl haben, dass sich endlich was bewegt, dann überkommt sie eine Ahnung von Freiheit, aber sie wiegen sich noch lange nicht in Gelassenheit, denn, wenn diese Frauen tanzen, dann ist alles echt, aber sie können noch längst nicht alles zeigen.
Es ist auch nicht ihre Art sich vor dem Leben zu verneigen, sondern sich die Freiheit endlich wieder anzueignen, die ihnen zusteht, obgleich ihr Kopftuch im Wind weht.
Und Sarah,
Sarah ist eine, die versteht, es ist ein Privileg, wenn man sich manchmal einfach nur um sich selbst dreht. Tanzen aus Spaß und zur Selbsttherapie, das ist für viele Frauen noch immer reine Utopie.
Wenn Sarah tanzt, dann tanzt sie richtig dankbar und umsichtig, denn sie hat schon realisiert, was für uns oft selbstverständlich, ist nicht jeder garantiert.
Wie stehts mit dir?
Hast du das auch schon kapiert?Begründung der Jury
Der Text "Wenn Sarah tanzt" arbeitet mit starken Kontrasten: Das Innen und Außen der handelnden Personen, die Welten der beiden Tänzerinnen zwischen Ausgelassenheit und grimmigem Protest, die Freiheit der Bewegung beim Tanz gegen die tiefe Unfreiheit der Tänzerin. Diese Kontraste als Leitidee zeichnen ihn aus; ebenso der Rhythmus der Sprache, der durch die Versform und wiederkehrende Refrains erzeugt wird. Die Bilder zeigen die Eindeutigkeit der Botschaft auf, so wie sie sich auf dem engen Raum eines kurzen Spoken Work Gedichtes entfalten können. Insgesamt gefällt die Wahl eines prägnanten Leitmotives, das auf formaler wie inhaltlicher Ebene durchgespielt wird.