Folge #04: Ein Spaziergang im Süden
Dr. Dietrich Krauss ist Journalist sowie Redakteur und Autor der ZDF-Satiresendung „Die Anstalt“. Für seine journalistische Arbeit wurde er mit dem Grimmepreis und dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. Im Buch Fehlender Mindestabstand. Die Coronakrise und die Netzwerke der Demokratiefeinde. von Matthias Meisner und Heike Kleffner schrieb er den Beitrag Wir können alles, außer Impfen. Warum „Querdenken“ eine Stuttgarter Vorwahl hat. Das Buch erschien 2021 und enthält Beiträge von u.a. Michael Blume, Katharina Nocun, Matthias Quent, KarolinSchwarz, Andreas Speit, und vielen anderen, die sich mit diesem Thema auseinander setzen.
Aus aktuellem Anlass: Zur Mitteilung der Böll-Stiftung | Anthroposophie, Querdenker und Rechtsextreme: Eine notwendige Auseinandersetzung
Wir sprachen mit Dr. Dietrich Krauss darüber, wie Anthroposophie mit Querdenken zusammenhängen könnte.
Zur Folge
Transkript
Sabine Demsar: Wie wir letzte Woche gehört haben, spazieren bei den Querdenken-Demos nicht nur Rechtsextreme, sondern unter ihnen sind Menschen, die stark im anthroposophischen Milieu verwurzelt sind. Die Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg hat letztes Jahr eine Studie in Auftrag gegeben, bei der es um die Quellen des „Querdenkertums“ in Baden-Württemberg geht. Oliver Nachtwey und Nadine Frei von der Uni Basel haben in dieser soziologischen Studie festgestellt, dass die anthroposophische Szene eine der Strömungen ist, aus der sich die Querdenker*innen-Bewegung in Baden-Württemberg speist, wenngleich sie in der Studie auch betonen, dass es keine logische Abfolge sozusagen von der Waldorfschule auf die Querdenken-Demo gibt. Dennoch ist der hohe Anteil an anthroposophischen, alternativen und esoterischen Milieus an der Querdenken-Szene in Baden-Württemberg prägend und unterscheidet sich dadurch von den Bewegungen beispielsweise in Leipzig oder überhaupt in Ostdeutschland. Wir sprechen heute darüber, wie Anthroposophie mit Querdenken zusammenhängen könnte.
Carmen Romano: Du hörst eine neue Folge von „Ein Spaziergang im Süden“, ein Podcast der Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg und der Petra-Kelly-Stiftung über die Querdenken-Bewegungen in Deutschland, ihre Entwicklungen und was es für uns alle bedeutet.
Sabine Demsar: Heute reden wir mit Dr. Dietrich Krauss. Er ist Journalist sowie Redakteur und Autor der ZDF-Satiresendung „Die Anstalt“. Für seine journalistische Arbeit wurde er mit dem Grimme-Preis und dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. Im Buch „Fehlender Mindestabstand - die Coronakrise und die Netzwerke der Demokratiefeinde“ von Matthias Meisner und Heike Kleffner schrieb er den Beitrag „Wir können alles außer Impfen. Warum „Querdenken“ eine Stuttgarter Vorwahl“ hat. Das Buch verlinken wir dir in den Shownotes. Es erschien 2021 und enthält Beiträge von Michael Blume, Katharina Nocun, Matthias Quent und vielen anderen, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen.
Carmen Romano: …und die wir übrigens auch als Gast in unserer Podcast-Reihe haben.
Ja, wunderbar, herzlichen Dank, dass du dir Zeit für uns genommen hast. Könntest du vielleicht zunächst schildern, wer überhaupt diese Esoteriker*innen sind? Mit welchen Themen beschäftigen sie sich und vor allem, mit welchen Themen beschäftigten sie sich vor der Pandemie? Und sind Esoteriker gleichzusetzen mit Anthroposophen?
Dietrich Krauss: Man kann auf jeden Fall sagen, was vielleicht auf den ersten Blick ein bisschen überraschend ist: das ist die wichtigste esoterische Strömung in Deutschland. Und die ist natürlich schon 100 Jahre alt und ist so der wichtigste Teil einer sehr vielschichtigen Szene, die zum Ende des 19. Jahrhunderts zu einer neuen Blüte gekommen ist und sich zuerst als Theosophie und dann als Anthroposophie, vor allem in Deutschland, ausgebreitet hat. Im Grunde geht es darum, die Erkenntnis höherer Welten zu erlangen, wie das Steiner mal als Buchtitel aufgeschrieben hat. Es geht im Grunde immer darum, über einen besonderen Schulungsweg, über besondere Techniken, Einblicke zu bekommen in tiefere Wahrheiten. Steiner hat das selbst so genannt. Er liest in einem feinstofflichen Buch der Akasha-Chronik, da sind die ganzen Welt-Geheimnisse aufgeschrieben und dort konnte er sie also alle lesen und aufschreiben. Und es ist auch ein bisschen das Ziel des anthroposophischen Schulungswegs, selbst zu diesen höheren Erkenntnissen zu kommen, die immer in Konkurrenz zu den herkömmlichen, empirisch nachprüfbaren Tatsachen stehen. Aber so kann man eigentlich zusammengefasst sagen: das macht Esoterik aus. Man will erkennen, was hinter allem steht und weiß dann auch, was hinter allem steht und wie alles mit allem zusammenhängt. Und das ist ja eine große Aufgabe, da hat man viel zu tun.
Carmen Romano: Ja, tatsächlich, allerdings. Aber gibt es grundsätzliche, konkrete Themen oder ist es insgesamt diese Herangehensweise? Und was für Menschen sind Teil davon oder wer tendiert dazu?
Dietrich Krauss: Wie gesagt, es gibt die Anthroposophie, die ist quasi so ein bisschen die Urmutter der neuzeitlichen Esoterik. Dann gab es natürlich auch infolge der Achtundsechziger-Bewegung sehr viele spirituelle, esoterische Trends oder Bewegungen. Die könnte man jetzt gar nicht gut über einen Kamm scheren. Aber es geht schon immer darum, meditativ intuitiv mit höheren Welten Kontakt aufzunehmen. Und bei Steiner ist es ganz konkret so, dass er eine Art Evolutionslehre der Menschheit dort geschaut haben will, nicht nur der Menschheit, sondern des Planeten, die sich alle auf einem Entwicklungsweg zu immer höherer Vervollkommnung befinden. Die Planeten werden wiedergeboren, die Menschen werden wiedergeboren, die Rassen werden wiedergeboren und alles soll dazu dienen, dass am Schluss der Mensch ein fast gottgleiches Wesen wird. Und das hat sich dann eben in sehr viele einzelne und praktische Bereiche ausbuchstabiert. Und das führt auch dazu, dass Kritiker sagen „das ist so eine Schlaumeier-Bewegung, auch so eine Esoterik, denn die können zu allem etwas sagen, ohne dass sie es eigentlich studiert haben müssen“. So ging es auch Steiner, zum Beispiel in Bezug auf seine landwirtschaftlichen Erkenntnisse. Er hatte den Auftrag, einen Vortrag zu halten und hat ihn mehr oder weniger die Nacht zuvor, weil er überhaupt nicht aus dieser Branche kam, einfach zu Papier gebracht. Und das wurde dann als landwirtschaftliches Fachwissen, in Anführungsstrichen, praktiziert und wird bis heute durch die Bewegung gereicht. Und das ist schon sehr kurios und grotesk anzusehen, wie das dann eigentlich in der Praxis entstanden ist.
Sabine Demsar: Du hast dich mit Querdenker*innen in Baden-Württemberg und insbesondere in Stuttgart beschäftigt. Warum sind Querdenker*innen verstärkt im Süden repräsentiert? Warum in Stuttgart? Und warum sind manche Anthroposophen? Wie hängt das überhaupt zusammen?
Dietrich Krauss: Geschichtlich war es einfach so, dass Steiner hier in Stuttgart einen Mäzen gefunden hat, Emil Molt, der ihm eine Art Schulversuch gesponsert hat. Emil Molt war ein Zigarren-Fabrikant der Firma Waldorf Astoria, daher kommt auch der Name Waldorfschule. Nach Ende des ersten Weltkrieges hat Steiner hier die Möglichkeit gehabt, seine Lehre in einer Art Praxisform einer Schule auszubuchstabieren. Und um eben diese erste Waldorfschule auf der Uhlandshöhe sind dann ganz viele Einrichtungen entstanden, wie das erste anthroposophische Krankenhaus. Und bis heute ist es so, dass dieser Südwesten sozusagen die Kernzone ist. Hier gibt es am meisten anthroposophische Ärzte, am meisten anthroposophische Landwirtschaft, am meisten Waldorfschulen. Und Stuttgart gilt mit Alerheim und Dornach in der Schweiz, wo das offizielle Zentrum der Anthroposophie ist, als die Keimzelle dieser Bewegung.
Sabine Demsar: Und wie kommen Anthroposophen jetzt in die Querdenken-Bewegung hinein? Wie hängt das zusammen?
Dietrich Krauss: Nun, die Anthroposophen haben ja zu allem etwas zu sagen, auch zu Themen wie Medizin und Gesundheit, und haben da auch ganz eigene Vorstellungen, zum Beispiel, dass Krankheiten Ergebnisse sind von Verhalten aus dem vorigen Leben. Ihre Reinkarnationslehre sagt, dass sich im Grunde gewisses Fehlverhalten im letzten Leben bei der kommenden Wiedergeburt in bestimmten Krankheiten niederschlägt. Und dieses Weltbild führt eben auch dazu, dass man schon beim Thema Masernimpfung große Vorbehalte hat, weil man für den Nicht-Anthroposophen sehr verquere Vorstellungen hat, dass es im neuen Kind das Masern-Fieber braucht, um sich in diesem Körper einzurichten. Das ist so die Ideologie, die da dahintersteht. Und wenn man das Kind impft, dann kommt es zu einer Art Reinkarnationsstörung, und das will man nicht haben. Und das war so ein bisschen der ideologische Hintergrund beim Thema Masern. Schon bei der Spanischen Grippe hat Steiner astrologische Ursachen der damaligen Pandemie ausgemacht und diese ganzen Gedankengebäude kamen jetzt auch bei Corona wieder hoch. Dann werden diese alten Schriften zur Spanischen Grippe wieder veröffentlicht. Dann wird geschaut, wie ist die Planeten-Konstellation? Ist die ursächlich für Corona verantwortlich und wie gefährlich sind die Impfungen? Also diese ganze anti-wissenschaftliche, esoterische Gemengelage hat dazu geführt, dass die Anthroposophen auch in dieser Querdenken-Bewegung, bei dieser Impfskepsis mit dabei war.
Sabine Demsar: Dann ist da der Ansatz. Jetzt wissen wir auch, dass in der Querdenken-Bewegung Menschen mitlaufen, die rechtsextreme Überzeugungen haben. Kannst du etwas dazu sagen, warum sich viele Menschen, die der Anthroposophie anhängen, nicht ausreichend von der rechtsextremen Szene abgrenzen? Wohl wissend, dass die Demonstrationen für die eigenen Zwecke genutzt werden? Sind ihnen die Einflüsse egal oder wie verhalten sie sich diesbezüglich?
Dietrich Krauss: Die Anthroposophie ist da auch gespalten, also grundsätzlich in dem Umgang mit Corona. Es gab immer starke Auseinandersetzungen, einerseits zwischen dem Waldorf-Verband, der am meisten in der Öffentlichkeit steht, der auch mit den Behörden kooperieren muss. Der muss schon auch die Masern-Impfpflicht durchsetzen, obwohl das eigentlich gegen die reine anthroposophische Lehre verstößt. Das heißt, da gab es von Anfang an Leute, die bereit waren, die staatlichen Maßnahmen mitzutragen. Und dann gibt es aber so einen harten ideologischen Kern, die das aufgrund der Lehre von Steiner überhaupt nicht so sehen. Dieser Riss geht also, denke ich, mitten durch die Bewegung. Aber die Verbindung nach rechts ist, das kann man auch historisch sehen, einfach so eine Art Überhöhung des Natürlichen. Also so ähnlich, wie die Nationalsozialisten schon gesagt haben „was uns nicht umbringt, macht uns hart“, so eine Art, den Darwinismus im Grunde auf das Sozialleben übertragen zu haben, „nur die Gesunden kommen durch“. Das bietet eben Anknüpfungspunkte, auch hinsichtlich einer Bewegung wie der Anthroposophie, die eher aus der lebensreformerischen Ecke kommt, aber auch der Natur zu ihrem Recht verhelfen will. Dieser Gedanke, dass es im Grunde darum geht „na gut, wenn die Zeit gekommen ist, dann müssen wir halt sterben, dann kann man es eben nicht verhindern“, dass quasi die Weigerung, Maßnahmen zu ergreifen, weil das unnatürlich ist, das ist eine Art Brücke imNaturbegriff zwischen diesen, sage ich mal, spirituellen esoterischen Bewegungen und den Rechten. Und historisch gab es durchaus immer schon Berührungspunkte. Auch in der nationalsozialistischen Bewegung gab es Anhänger der Anthroposophie, wie Rudolf Hess, es gab einen Demeter-Garten im KZ Dachau, es gab auch Himmler, der gesagt hat, er interessiere sich für diese Form des Landbaus. Man hat auch versucht, diese Form der Medizin einzugemeinden und so eine Art germanische Medizin zu schaffen, das hat man eine Zeit lang versucht, bis man gemerkt hat, das funktioniert nicht so richtig. Und es gibt natürlich auch im Kern der Anthroposophie eine Rassenlehre, die anders ist als die nationalsozialistische, aber es gibt eben eine ganz klare Hierarchisierung von Rassen in den Schriften von Steiner. Und von daher gibt es einerseits im ideologischen Korpus der Anthroposophie Berührungspunkte nach rechts und es gibt diese Wissenschaftsskepsis, aus diesem Anti-Mainstream-Denken, also ohne dass die Leute im Grunde so richtig zur Ideologie dieser Anthroposophie durchdringen. Aber diese Grundhaltung „wir sind hier in einer Waldorfschule, die keine Staatsschule ist“, da bringt man schon so eine gewisse oppositionelle Grundhaltung gegenüber dem Staat mit und die wurde ja auch so ein bisschen angetriggert in dieser Querdenken-Bewegung. Und von daher denke ich, muss man da unterscheiden: es gibt diese geschichtlichen, ideologischen Übereinstimmungen mit rechts und es gibt so eine Art automatisiertes Querdenken und Oppositionstum, das sich dann auch überschneidet mit Rechten, die natürlich jede Gelegenheit nutzen, um so eine Art Systemfrage zu stellen.
Carmen Romano: Total spannend, diese Verbindungen zu sehen. Wir haben uns bisher vor allem auf die Lage in Stuttgart fokussiert und insgesamt auf die Bewegung. Ist diese Szene auch in anderen Bundesländern verbreitet? Wie sieht es beispielsweise in Bayern aus?
Dietrich Krauss: Man kann grundsätzlich sagen, dass diese Waldorfschulen sich von so einem Großstadt-Phänomen in den letzten 20 Jahren ausgebreitet haben. Also auch in meiner Kleinstadt gibt es inzwischen eine Waldorfschule, wo ich herkomme, in Crailsheim, das ist eine 20.000-30.000 Einwohner-Stadt. Die Bewegung war schon sehr erfolgreich darin, dass sie es geschafft hat, sich als Sinnbild einer Art alternativen Idee zu verkaufen - alternative Schule, alternative Medizin, alternative Ernährung. Dass dahinter ein völlig irres esoterisches Weltbild steckt, das wissen die meisten Kunden dieser Einrichtungen überhaupt nicht. Aber da ist eben die PR sehr erfolgreich. Und wie gesagt, in den Großstädten waren sie sowieso immer schon in bestimmten Milieus, zum Beispiel in so einem Post-Achtundsechziger Milieu, vertreten. Und das ist so schon auch heruntergesickert in die Provinz. Ganz konkret hat man allerdings in Bayern, in Oberbayern, dann eher so einen Zusammenhang festgestellt zu der Heilpraktiker-Szene. Da ist eine unheimlich starke Dichte von Heilpraktikern, wo es, wenn ich die Zahl richtig erinnere, doppelt so viele Heilpraktiker wie Hausärzte gibt. Und dort findet ja diese Esoterik auch in den abstrusesten Methoden Einzug. Da hat man eben auch festgestellt, dass in diesen Gegenden der Zusammenhang zwischen hoher Heilpraktiker-Dichte und Impfmüdigkeit sehr stark ist.
Carmen Romano: Ja, das sind erschreckende Zahlen, die mir auch selbst nicht bekannt waren. Es stellt sich dann natürlich die Frage, inwieweit diese Szene und diese ganze Ideologie, die sie verbreiten, gefährlich ist. Also, wir haben die Konsequenzen gesehen, zum Beispiel, dass die Impfrate in der Gegend, in der sie verbreitet sind, am niedrigsten ist. Und das ist natürlich eineGesundheitsgefahr für alle, für die Gemeinschaft. Aber gibt es weitere Konsequenzen? Verbreiten sie beispielsweise auch weitere Verschwörungsmythen?
Dietrich Krauss: Na ja, das ist so eine Rutschbahn, sage ich mal. Also diese Pandemie hat eine gewisse Szene angetriggert und zusammengebracht, die sich gefunden hat und ein Teil davon hat sich dann immer weiter radikalisiert, was auch zu der Gründung dieser Partei dieBasis geführt hat, die auch stark von den Anthroposophen geprägt ist. Und da muss man schauen, wo sich das hin entwickelt. Ich denke, da stellt sich schon die Frage, wie groß die staatliche Toleranz oder sogar die staatliche Förderung von Irrationalismus eigentlich sein darf, sein muss. Das heißt, man müsse sich nur mal vorstellen, man würde heute an eine Schulbehörde herantreten mit den Inhalten der Schriften von Steiner, die wirklich unglaublich sind, und würde versuchen, auf dieser Basis eine Genehmigung für einen Schulbetrieb zu bekommen. Ich glaube, das wäre völlig unmöglich. Über die letzten 100 Jahre hat so eine Art Traditionalisierung stattgefunden, dass man das gar nicht mehr als das wahrnimmt, was es eigentlich ist,eben eine esoterische Lehre. Und die wird auch sehr geschickt versteckt nach außen hin, das durchschauen eigentlich nur Leute, die sich ausführlich damit beschäftigen, was da für ein Weltbild dahintersteht. Und da ist der Staat natürlich in einer schwierigen Situation. Es gibt die Weltanschauungsfreiheit, es gibt auch die Freiheit, Schulen zu gründen und gleichzeitig muss man sehen, wen man da mit Steuergeldern nährt. Die dürfen völlig eigene Lehrpläne veranstalten, wo dann teilweise noch gelehrt wird, dass die Geschichte in Atlantis beginnt und einfach völlig kruder esoterischer Unsinn, da habe ich vor Jahren mal eine Dokumentation darüber gedreht. Das wird alles nicht wirklich kontrolliert, es gibt keine Schulbücher, es gibt nur Lehrerseminare, in denen die Leute auf der Grundlage von Steiner so eine Art Ausbildung bekommen in Anthroposophie und dann auf Schüler losgelassen werden und diese Schüler von Klasse 1 bis 9 unterrichten. Und dafür gibt man sehr viel staatliche Gelder aus und die Leute denken noch, sie tun ihren Kindern etwas besonders Gutes. Also da hat sich, finde ich, eine ungute Mischung herausgebildet, dass man so etwas in dem Ausmaß unterstützt. In der Medizin ist es genauso. Es wurde in den 1970er Jahren verfügt, dass diese ganze Medizin der Anthroposophen und Homöopathen keinen Wirkungsnachweis erbringen muss und trotzdem in Apotheken verkauft werden darf. Das heißt, man gibt hier praktisch ein Gütesiegel ab, das sei ein Medizinprodukt, obwohl da gar nichts oder eben nur Esoterik drin ist. Und das sind lauter solche Felder, bei denen man überlegen muss: müsste hier nicht eine härtere Grenze gezogen werden, fördert man da nicht die Wissenschaftsskepsis, von der man nicht weiß, wo die dann irgendwann hinläuft? Wenn es um die eigene Gesundheit geht, sagt man „okay, das ist jedem sein eigenes Bier“. In der Pandemie wird plötzlich die Sorge um die eigene Gesundheit auch ein soziales Problem. Das heißt, wenn ich sage, ich lasse mich nicht impfen, wird das auch zu einem politischen Problem. Und da hat man dann eigentlich zum ersten Mal gesehen, wie gefährlich das auch werden kann. Und wie gesagt, diese Bewegung, diese Lehre, ist so irre, da kann man eine rechts-rassistische Bewegung daraus stricken, da kann man so eine pseudo-alternative Bewegung daraus stricken, je nach dem wer da das Sagen hat. Und es gibt auch viele Rechte, die ihre Kinder auf Waldorfschulen schicken, weil sie das als die eigentliche germanische Schule sehen. Das heißt, diese Bewegung ist sehr vielseitig, sage ich mal.
Carmen Romano: Ich finde das total krass, dass du auch von staatlicher Förderung gesprochen hast. Mich würde interessieren, inwieweit das einen politischen Einfluss hat. Also, welche Parteien sind am meisten davon betroffen? Ich habe beispielsweise ineinem Artikel von 2020 gelesen, dass einige ÖDP- Kandidat*innen oder Vertreter*innen in Nürnberg bei den Demos mitmarschiert sind. Ja, inwieweit hat das eine staatliche Repräsentanz oder Anerkennung? Ich meine, das ist natürlich nicht dieselbe Bewegung, aber beispielsweise in den USA hat QAnon jetzt einige Vertreter*innen im Parlament. Entwickelt sich so etwas in der Richtung auch hier in Deutschland oder ist das immer noch eher in der Gesellschaft verbreitet und toleriert?
Dietrich Krauss: Man kann schon sagen, die Grünen waren eigentlich ursprünglich der Arm, sage ich mal, der Anthroposophie. Also bei dem Gründungsparteitag der Grünen in Baden-Württemberg in den 1980er Jahren, da waren, wenn ich die Zahl richtig erinnere, ein Drittel der Delegierten der anthroposophischen Bewegung nahestehend. Und es war immer so, dass da eine starke Nähe da war und das hat sich dann auch niedergeschlagen in dieser ganzen Waldorf-Kundschaft. Man hat eben so ein Demeter-Land bei uns, steht der anthroposophischen Bewegung nahe. Also es gibt schon vor allem in Baden-Württemberg eine sehr eigenartige Melange aus Grün. Dann gibt es eben auch viele aus dem schwäbischen Mittelstand, wie den schwäbische Automobilzulieferer Mahle. Also Grün, Geld, Architekten, Kreative, alle sind da irgendwie vereint. Und politisch sind die schon überwiegend bei den Grünen zu Hause gewesen. Mal sehen, wie sich das weiterentwickeln wird. Im Moment hat sich die Auseinandersetzung weiterentwickelt, also die, die in der Öffentlichkeit sichtbar war, war eher die, bei der es um die Homöopathie ging. Aber auch da zeigt sich, dass das die Grüne Jugend inzwischen kritischer sieht als, sage ich mal, das Establishment, dass da die Bälle flach halten will, weil sie weiß, das ist eigentlich die Kundschaft, die Wählerschaft. Und das wird ganz spannend sein, zu sehen, wie sich die Grünen da verhalten, weil sie natürlich sagen, sie wollen einerseits die Wissenschaftspartei sein und legen Wert darauf beim Thema Klima, dass man auf die Wissenschaft hört. Dann kann man natürlich nicht gleichzeitig diesen kruden Unsinn von Demeter-Landbau, Homöopathie, anthroposophischer Medizin und so weiter dulden. Das ist aber natürlich eher so eine pragmatische Machtfrage, da duckt man sich weg, weil das einem natürlich letztlich nur politisch schaden kann, weil einem ein paar Leute von der Stange gehen.
Sabine Demsar: Aber da ist ja vieles im Wandel, das haben wir auch auf jeden Fall feststellen können.
Jetzt sind wir schon bei unserer letzten Frage, die über das Buch geht, bei dem du mitgemacht hast, „Fehlender Mindestabstand“, das ist jetzt etwa ein Jahr alt. Querdenker*innen werden hier in Baden-Württemberg vom Verfassungsschutz beobachtet. Die Szene ist kleiner geworden, so mein Eindruck. Der Gründer von „Querdenken 711“, Michael Ballweg, ist inhaftiert wegen Verdachts auf Betrug und Geldwäsche. Wie schaust du heute auf Querdenker*innen in Baden-Württemberg, in Stuttgart? Kannst du neue Entwicklungen, zum Beispiel seit dem Beginn des Kriegs gegen die Ukraine erkennen? Und gibt es neue Themenfelder, auf die sich die Szene konzentriert?
Dietrich Krauss: Ja, natürlich. In der öffentlichen Wahrnehmung sind sie sehr viel unbedeutender geworden. Aber ich sage mal so, die Reste und das, was sich publizistisch etabliert hat, stürzt sich jetzt, das kann man schon sagen, auf diesen Ukraine-Krieg und macht da so das nächste Fass auf. Da bezieht man eben auch so eine Art Grundsatz-Oppositionshaltung und ist bemüht, wieder sogenannte herrschende Narrative in Frage zu stellen und zu sagen „ist das wirklich so einfach, dass da die Russen die Ukraine überfallen haben? Da muss man doch auch das und das sehen“. Es kristallisiert sich schon, ähnlich wie bei der AfD, heraus, dass das eine Bewegung ist, die nach Themen sucht, bei denen man im Grunde immer wieder die Systemfrage stellen oder seine Grundsatzpositionen darstellen kann und versucht, dadurch Leute bei der Stange zu halten.
Carmen Romano: Darf ich eine extra Frage stellen? Denn als du die Anthroposophie erklärt und ihre Gedanken erläutert hast, da habe ich mir gedacht: inwieweit ist es gefährlich, wenn man als Journalist solche Sachen erklärt, dass sich dann derenAnhängerschaft erweitert? Denn vielleicht sind solche Inhalte eher in Nischen verbreitet. Und du hast natürlich gemeint, die machen ganz gute PR-Arbeit, indem sie ihre eigenen Inhalte hinter dieser allgemeinen alternativen Szene verstecken. Aber ist das eine Frage, die du und deine Kolleg*innen euch stellt, inwieweit ihr denen weiterhelft?
Dietrich Krauss: Ich glaube, da bin ich anderer Meinung. Ich glaube, das macht ihnen eher Probleme, denn jeder, der das mal im Original gelesen hat, kann einfach nur den Kopf schütteln. Das ist einfach so verrückt, dass das keine Werbung ist. Deswegen müssen die Anthroposophen immer versuchen, diese irre Lehre ein bisschen hinter allgemeinen Floskeln zu verstecken. Das ganz klar zu benennen und zu sagen „Wie verhaltet ihr euch? Ist das wirklich die Grundlage eures Denkens?“, das muss man wahrscheinlich,im Gegenteil, noch viel stärker machen. Gerade die rassistischen Kerne, da gibt es eine windelweiche Erklärung, in der man sich ein bisschen davon distanziert, aber im Grunde macht diese sogenannte Evolutionslehre den Kern dieser Lehre aus. Das heißt, man darf sie auch nicht so einfach davonkommen lassen, genauso wie bei der Reinkarnationslehre. Man muss sich vorstellen, es gibt Behinderteneinrichtung, anthroposophische Behinderteneinrichtungen, die betrachten Behinderung als eine Strafe von Fehlverhalten aus dem letzten Leben. Also das ist so eine menschenfeindliche Ideologie und dass man solchen Leuten offiziell die Betreuung von gehandicapten Menschen übergibt, das finde ich einfach fahrlässig. Deswegen müsste da schon ein sehr kritischer Blick darauf geschärft werden: Was ist der Kern dieser Lehre, wollen wir das wirklich unterstützen? Mit Geld, mit Einrichtungen, mit Manpower?
Carmen Romano: Danke, ich glaube dein Beispiel zeigt noch mal deutlich, wie verrückt das Ganze ist, einfach unmöglich und unmenschlich. Ich bin sprachlos.
Dietrich Krauss: Ja, es lohnt sich wirklich, sich damit auseinanderzusetzen. Man glaubt es zuerst nicht. Ich konnte, als ich mich zum ersten Mal mit dem Thema beschäftigt habe, gar nicht aufhören zu lesen, weil es so eine Art Gruselsucht auslöst. Weil man denkt, es wird immer noch verrückter, noch verrückter und man dann so ein bisschen das Problem hat, dass die Leute einen selber für einen Spinner halten. Aber man gibt wirklich nur die Inhalte wieder, die hinter dieser ganzen Lehre stehen und die sind so abseitig und auch, wie ich finde, menschenfeindlich, dass es einfach nicht gerechtfertigt ist, da wegzugucken, sondern die müssen,im Gegenteil, in den Kern des Diskurses gestellt werden. Denn das ist die Grundlage von allem, was dort betrieben wird und dem müssen sich ja alle stellen. Ich meine, auch die christlichen Kirchen mussten ihr Verhältnis zur Wissenschaft erklären, und so weiter. Und ohne das jetzt auf eine Stufe stellen zu wollen, aber diese esoterischen Bewegungen, die transportieren letztlich in ihrem Kern, wenn ihre eigene Lehre ernst nimmt, etwas, wie ich finde, menschenfeindliches. Und darüber sollte man sprechen.
Sabine Demsar: Ja, absolut. Vielen Dank, Dietrich. Danke für die spannenden Einblicke, die die Zusammenhänge etwas verständlicher gemacht haben. Wir haben heute auf die Besonderheiten der Querdenken-Bewegungen geschaut, um herauszufinden, warum viele Menschen aus dem Anthroposophie-Milieu bei der Bewegung mitlaufen. Manches lässt sich historisch-ideologisch erklären, aus den Lehren Rudolf Steiners heraus, und manches wird vielleicht ein bisschen verständlicher mit dem Wissen, dass wir hier Menschen begegnen, die eine oppositionelle Grundhaltung haben. Die Szene scheint in der Öffentlichkeit kleiner geworden zu sein, aber sie greift neue Themen auf, wie auch den Krieg gegen die Ukraine.
Carmen Romano: Das war es für diese Folge. In der nächsten werden wir mit Michael Nattke vom Kulturbüro Sachsen über die Unterschiede der Bewegung zwischen Süd- und Ostdeutschland reden. Abonniere unseren Podcast unter Petra-Kelly-Stiftung in der Podcast-App deiner Wahl, um immer die neuesten Folgen zu hören. Wir sind…
Sabine Demsar: Sabine Demsar…
Carmen Romano: und Carmen Romano und sagen Tschüss und bis zum nächsten Mal.
Dietrich Krauss: Tschüss.
Sabine Demsar: Tschüss.
Shownotes
„Ein Spaziergang im Süden“. Ein Podcast der Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg und der Petra-Kelly-Stiftung
Fehlender Mindestabstand. Die Coronakrise und die Netzwerke der Demokratiefeinde
Homöopathie wirkt doch - MAITHINK X vom 18. September 2022 mit Dr. Mai Thi Nguyen-Kim, was passiert, wenn man Homöopathie mal wirklich richtig ernst nimmt?