„Wie lange müssen wir noch im Mittelmeer ertrinken?“

Interview

Filimon Mebrhatom ist mit 14 Jahren vor der Militärdikatur in Eritrea geflüchtet. In seinem Buch „Ich will doch nur frei sein“ beschreibt er seine Erlebnisse auf der Flucht und seine Ankunft in Deutschland. Was ihn dazu bewegte, seine Geschichte aufzuschreiben und welche Botschaft er für europäische Politiker*innen hat, erzählt er im Zwischenraum-Interview.

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Filimon Mebrhatom ist im Alter von 14 Jahren aus Eritrea geflüchtet und wohnt jetzt in München.

Lieber Filimon, du bist im Alter von 14 Jahren aus Eritrea vor der Militärdiktatur geflohen. In deinem im August 2020 erschienenen Buch Ich will doch nur frei sein beschreibst du die schrecklichen Erlebnisse auf deiner Flucht, die einen beim Lesen in Entsetzen versetzen. Was hat dich dazu bewegt deine Geschichte aufzuschreiben und wie kam es zur Publikation?

Filimon Mebrhatom: Ich habe das Buch geschrieben, damit die Menschen in Europa verstehen können, was es bedeutet, durch die Hölle der Wüste und die gefährlichen Länder zu fliehen. Wir suchen nichts als Schutz, Freiheit, Frieden, Sicherheit und eine bessere Zukunft. Dafür werden täglich unschuldige Menschen erpresst, gequält, vergewaltigt, gefoltert und sogar getötet. Europa sind wir egal. Wir werden nicht als Menschen angesehen, sondern wie Tiere in einen Stall eingesperrt und alleine in der Dunkelheit gelassen. Ich möchte, dass dieses Sterben aufhört.

Ich habe lange nach einem Verlag gesucht und bei vielen Verlagen, Zeitungen und auch beim Fernsehen angefragt. Niemand hat sich für meine Geschichte interessiert. Ich hatte die Hoffnung das Buch zu veröffentlichen schon aufgegeben, aber trotzdem habe ich meine Geschichte auf vielen Veranstaltungen in Deutschland und auch außerhalb erzählt. Irgendwann wurde ich bei einer dieser Veranstaltungen angesprochen und zu meinem jetzigen Verlag vermittelt.

Du wurdest Augenzeuge all dieser Verbrechen, die von Soldaten, Schleppern und Dschihadisten verübt wurden. Wie du bereits erwähnst, wurden Geflüchtete misshandelt, Frauen und Kinder vergewaltigt, die Familien der Geflüchteten erpresst und bei Nichtzahlung des Lösegelds wurden die Angehörigen ermordet oder an Kriminelle weiterverkauft. Gab es Momente während deiner Flucht, in denen du den Glauben an das Gute im Menschen verloren hast?

Durst, Hunger, Hass, Gewalt, Vergewaltigung, Folter und unzählige Tote – es gibt viele Bilder, die ich niemals vergessen werde. Wenn ich heute bewaffnete Menschen sehe, erscheinen vor meinen Augen sofort schreckliche Bilder. Den Glauben an Gott und an meine geliebte Familie habe ich niemals verloren und werde ich auch nicht aufgeben.

Wie gehst du mit all dem Leid um, das dir auf deiner Flucht widerfahren ist? Kann man solche schrecklichen Ereignisse verarbeiten? Wie?

Am Anfang habe ich versucht, mich abzulenken, um die schrecklichen Erinnerungen zu vergessen. Ich habe mich mit Kameras, Breakdance, Zeichnen und Gedichte schreiben beschäftigt. Schon während meiner Flucht habe ich Gedichte über Heimweh und meine Erlebnisse geschrieben. Auch mein Buch hat mir geholfen, das alles zu verarbeiten.

Trotz all dieser Verbrechen, die vor den Augen der Weltöffentlichkeit passieren, zieht es die Europäische Union vor, Flüchtlingslager in Libyen zu finanzieren, um somit die Menschen von der Flucht nach Europa abzuhalten, wohl wissend, dass in Libyen Krieg herrscht und die Zustände in den Lagern menschenunwürdig sind. Wenn du wüsstest, dass die Politiker*innen aller europäischen Länder dir zuhören, was würdest sagen?

Warum ist unser Leben weniger wert als eures? Warum habt ihr Angst vor uns, wir sind Menschen so wie ihr? Warum macht ihr die Grenzen dicht? Ist Flucht ein Verbrechen? Wie kann ein Mensch illegal sein? Warum haben wir kein Recht auf ein Leben in Freiheit, Sicherheit und Selbstbestimmung? Libyen ist kein sicheres Land, obwohl ihr das wisst, lasst ihr mit eurem Geld dort Kinder, schwangere Frauen und Männer misshandeln. Warum tötet ihr uns mit eurem Geld anstatt zu helfen? Warum sind euch Menschenrechte und die Würde des Menschen egal? Wie lange müssen wir noch auf der Flucht sterben? Wie lange müssen wir noch in der Wüste verdursten und verhungern? Wie lange müssen wir noch im Mittelmeer ertrinken?

Die Fluchtroute von Filimon Mebrhatom

Leider gab es auch negative Erfahrungen, die du in Deutschland gemacht hast. Zum Beispiel berichtest du in deinem Buch von den vielen Polizeikontrollen, denen du wegen deiner Hautfarbe ausgesetzt warst. Von welchen Erfahrungen kannst du uns berichten?

Als ich in Italien war, hatte ich entschieden nach England zu gehen, aber als ich von den Schleppern hörte, dass die Reise dorthin sehr gefährlich ist und man sich dafür in einem Lkw, Zug oder Boot verstecken muss, habe ich entschieden doch lieber nach Dänemark zu gehen. Auf dem Weg dorthin wurde ich von der Polizei am Münchener Hauptbahnhof festgenommen. Sie haben mich gezwungen meine Fingerabdrücke abzugeben und hier zu bleiben, obwohl ich das überhaupt nicht wollte.

Und trotzdem hat Deutschland dann meinen Asylantrag abgelehnt und mir keine Chance gegeben, um mir eine Zukunft aufzubauen. Obwohl ich vor der politischen Unterdrückung und Diktatur in meiner Heimat geflohen bin, hat mich die Ausländerbehörde ständig gezwungen, einen Pass von der eritreischen Botschaft zu besorgen. Ich wollte nicht zurück in die Hölle und mit der mörderischen Diktatur, die ihre eigenen Leute einsperrt, sterben lässt oder selbst tötet, wollte ich niemals mehr zu tun haben. Deswegen bin ich durch die gefährlichen Länder ohne meine geliebten Eltern geflüchtet, um frei zu sein. Die eritreische Botschaft zwingt die Menschen zu bestätigen, dass sie ihr Land verraten haben und dass das Leben dort gut ist und die Menschen in Freiheit leben können. Außerdem wird man gezwungen, eine lebenslange Steuer an diese Verbrecher zu zahlen. Deshalb habe ich das nicht gemacht. Das passiert auch vielen meiner Landsleute.

Vermisst du deine Heimat?

Ich liebe meine Heimat. Ich liebe meine Familie, die Menschen meiner Heimat, die Natur, die Musik, das Essen und die Wärme dort. Das alles fehlt mir hier in Deutschland unendlich. Trotzdem habe ich meine geliebte Heimat verlassen, weil ich dort keine Hoffnung und keine Zukunft für mich gesehen habe. Seitdem habe ich meine geliebte Familie nicht mehr getroffen.

Neben seiner Tätigkeit als Rapper und Autor hat Filimon Mebrhatom eine Ausbildung zum Cutter und Kameramann abgeschlossen.

Du schreibst Rap-Texte, die du unter dem Künstlernamen FiliY BROWN STAR auf deinem eigenen YouTube-Kanal veröffentlichst. Was wünschst du dir für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass das Sterben beendet wird, dass die Menschen als Menschen anerkannt werden und, dass es sichere Fluchtwege gibt. Ich weiß, wie gefährlich das schwarze Wasser des Mittelmeers ist. Dort sterben in überfüllten Booten unzählige Menschen. Ihre Familien leiden. Ich wünsche mir, dass die Organisationen in Europa für eine sichere Flucht kämpfen, statt nur wenige Menschen zu retten und die Mehrheit sterben zu lassen. Ich wünsche mir ein Wiedersehen mit meiner Familie. Ich wünsche mir, dass mein Buch in vielen Sprachen erscheint und verfilmt wird, damit möglichst viele Menschen verstehen, was Flucht bedeutet.

Ich wünsche mir, dass kein Mensch auf dieser Erde erleben muss, was ich erlebt habe. Ich wünsche mir eine Welt, in der wir alle gemeinsam in Frieden, Freiheit und Sicherheit leben können.