Wir freuen uns sehr darüber, gemeinsam mit Carmen Pestka und Jörg Schlenker die Ausstellung „Ewald Jauch und die Kinder vom Bullenhuser Damm“ in den schönen Räumen der Stadtbibliothek von VS-Schwenningen präsentieren zu dürfen.
Grußworte und Einführung
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Roth, sehr geehrter Herr Fritz, sehr geehrte Frau Mattern, liebe Frau Pestka, lieber Jörg Schlenker, liebe Mitglieder der Theater-AG des Gymnasiums am Deutenberg, sehr geehrte Damen und Herren,
im Namen der Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg möchte auch ich Sie ganz herzlich zur Eröffnung der Ausstellung Ewald Jauch und die Kinder vom Bullenhuser Damm begrüßen.
Als grüne politische Stiftung treten wir für eine offene, vielfältige, ökologische und solidarische Gesellschaft ein. Dazu gehört für uns auch eine aktive Beschäftigung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus und die Debatte um eine zeitgemäße Erinnerungspolitik. Deshalb freuen wir uns sehr darüber, gemeinsam mit Carmen Pestka und Jörg Schlenker die Ausstellung „Ewald Jauch und die Kinder vom Bullenhuser Damm“ in den schönen Räumen der Stadtbibliothek von VS-Schwenningen präsentieren zu dürfen. Für diese Möglichkeit möchte ich mich an dieser Stelle bei Herrn Fritz, dem Leiter der Stadtbibliothek, bedanken.
Die Auseinandersetzung mit NS-Geschichte und Erinnerungspolitik sind Schwerpunkte unserer politischen Bildungsarbeit. Das ist auch unserem Namensgeber Heinrich Böll geschuldet – für ihn war die Beschäftigung mit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, den Schrecken des von Deutschland entfesselten Kriegs und nicht zuletzt dem Erbe des Nationalsozialismus in Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik ein zentrales Thema seines literarischen und publizistischen Schaffens. Daran knüpfen wir in unserer Arbeit an. Nur wer die Geschichte kennt, kann den aktuellen Bedrohungen unserer Demokratie – etwa durch rechtspopulistische Parteien und Bewegungen, Querdenker*innen oder rassistische und antisemitische Haltungen und Taten – erfolgreich begegnen. Deswegen gestalten wir nicht nur Veranstaltungen und Studien über ebendiese Bedrohungen unserer Demokratie oder geben Unterstützungsangebote für engagierte Bürger*innen und die Zivilgesellschaft insgesamt in der kritischen Auseinandersetzung mit derartigen Entwicklungen, sondern richten auch immer wieder einen kritischen Blick in die deutsche Vergangenheit.
Das Konzept von Carmen Pestka und Jörg Schlenker zu dieser Ausstellung hat uns von Anfang an aus einer doppelten Überlegung heraus überzeugt. Im Mittelpunkt ihrer historischen Recherche stehen nicht die SS, Sonderkommandos oder eine bestimmte Wehrmachtseinheit. Es geht vielmehr um einen Schwenninger Bürger, Gastwirt, Familienvater, der zum Kindermörder geworden ist. Ewald Jauch war, das darf nach der Recherche als gesichert gelten, in Schwenningen ein bekannter Mann. Sein Eintritt in die SS, seine Rückkehr nach Kriegsende, seine Verhaftung, Verurteilung und Hinrichtung werden Stadtgespräch gewesen sein – genauso wie die Verbrechen, für die er verurteilt wurde. An dieser Biografie wird konkret und lokal sichtbar, welche Lebenslüge die bundesrepublikanische Gesellschaft bis weit in die sechziger Jahre hinein begleitet hat – nichts mitbekommen zu haben, von nichts gewusst zu haben, die Täter*innen nicht zu kennen. Das Ausstellungsprojekt über den Schwenninger Bürger Ewald Jauch bringt die Auseinandersetzung mit den Täter*innen auf eine Ebene, wo sie heute – fast acht Jahrzehnte nach den Verbrechen – ihre historische Abstraktheit verliert und für viele Menschen erfahrbarer wird: in die eigene Stadt.
Die Art und Weise, wie Carmen Pestka und Jörg Schlenker ihr Projekt angegangen sind, ist ein wunderbares Beispiel für zivilgesellschaftliche Selbstermächtigung.
Hier stehst Du schweigend, aber wenn Du Dich wendest, schweige nicht
steht auf einer Tafel in der Gedenkstätte Bullenhuser Damm, wo am 20. April 1945 20 Kinder und mindestes 28 Erwachsene von Ewald Jauch und weiteren SS-Männern ermordet wurden. Diese Aufforderung, über das Verbrechen zu sprechen, und die Empörung darüber, dass über den Schwenninger SS-Mann in ihrer Heimatsstadt kaum etwas bekannt war, haben Jörg Schlenker und Carmen Pestka in enorme Energie verwandelt und dafür gesorgt, dass der Schwenninger Bürger Ewald Jauch und seine Verbrechen dem Vergessen entrissen werden. Sie haben in ihrer Freizeit recherchiert und eine Unmenge an Material über Jauch zusammengetragen, darunter auch Fotos und Dokumente, die selbst die professionellen Historiker*innen im Archiv des ehemaligen KZ Neuengamme in Erstaunen versetzt haben. Dieses Material haben sie in der Ausstellung professionell aufgearbeitet. Sie haben diese würdevolle Eröffnung organisiert, die Theater-AG des Deutenberg Gymnasiums für dieses Projekt begeistert, die Ausstellung aus der Gedenkstätte Bullenhuser Damm nach Schwenningen geholt und gemeinsam mit uns für ein umfangreiches Rahmenprogramm gesorgt.
Dieses Engagement ist das, was Heinrich Böll mit seinem Diktum
Einmischung ist die einzige Möglichkeit, realistisch zu bleiben
meinte: Nicht zu schweigen, nicht vor Entsetzen stumm zu bleiben, sondern das Wort zu ergreifen, zu machen, sich einzumischen. Dass Carmen Pestka und Jörg Schlenker auf uns zugekommen sind und wir uns so an diesem Projekt beteiligen konnten, ist für uns eine Ehre. Für ihr Engagement möchte ich mich herzlich bei ihnen bedanken.
Ich wünsche uns allen einen interessanten und nachdenklichen Abend und der Ausstellung viele Besucherinnen und Besucher! Vielen Dank.
Eindrücke der Ausstellung
Weitere Informationen mit Rahmenprogramm